Predigt über Matthäus 28, 1-10 am Ostersonntag

Präses Nikolaus Schneider, Johanneskirche zu Düsseldorf

Liebe Gemeinde!

Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!
Wir feiern heute Ostern. Ostern, das Fest des Lebens!

Wir feiern Ostern, weil Gott am ersten Ostermorgen vor aller Welt offenbarte: in seiner Gegenwart ist das Leben Jesu aufbewahrt. Denn ein Leben, das an Gott gebunden ist, ist unzerstörbar. Das gilt auch für unser Leben - inmitten und angesichts unserer Erfahrungen von Tod und Zerstörung.

Mit unserem Osterbekenntnis verleugnen wir nicht die grausamen Realitäten von Jesu Passion, von Jesu Leiden und Sterben am Kreuz. Und mit diesem Osterbekenntnis wollen wir auch nicht die Leidens- und Kreuzeserfahrungen unserer Tage verleugnen, wir wollen sie nicht verdrängen und nicht beschönigen. Wir feiern heute Ostern inmitten und angesichts eines Lebens, in dem uns der Tod noch als Feind begegnet.

Damit der Tod und die Angst vor dem Tod unser Denken und Fühlen nicht gefangen halten, hören und vergegenwärtigen wir uns jetzt ein biblisches Zeugnis von der Auferstehung des Gekreuzigten.

Der Evangelist Matthäus schreibt im 28. Kapitel, in den Versen 1-10: „Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.“

Unter drei Perspektiven möchte ich diesen Bericht auslegen:

  1. Vom realistischen Umgang mit unserer irdischen Realität.
  2. Furcht und Freude, aber die Freude bleibt!
  3. Galiläa, ein Ort, an dem vergrabene Hoffnungen lebendig werden!

1. Vom realistischen Umgang mit unserer irdischen Realität

Jesus wurde gekreuzigt. Jesus ist begraben. Ein Stein versiegelt das Grab Jesu. Eine römische Wache sichert sein Grab. Jesus ist tot. Das sind die realen Fakten. Und mit dieser Realität leben die beiden Frauen. Was zu tun bleibt, ist das Salben des Leichnams. Und deshalb waren sie unterwegs zum Grab.

Zur Realität der Jünger und Jüngerinnen Jesu gehörte in den Tagen nach dem Karfreitag auch das, was Jesu Leiden und sein Tod am Kreuz für sie bedeutete: Mit seinem Leichnam waren für sie auch die Hoffnungen auf Gottes heilsame Gegenwart unter uns Menschen begraben.

Einen letzten Liebesdienst wollten die Frauen ihrem Herrn und Bruder noch tun. Deshalb kamen sie zum Grab, Maria von Magdala und die andere Maria, als der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach.

Und sie sehen und hören Wunderbares. Sie erfahren: Das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz, sein Tod und sein Grab sind nicht der Schlusspunkt der Geschichte des Gottessohnes auf unserer Erde. Und erst recht nicht das letzte Wort und der Schlusspunkt der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Menschen müssen ihr Vertrauen, ihr Hoffen und ihr Lieben nicht unter Leid und Todeserfahrungen begraben. Das Evangelium, die Botschaft von der Menschennähe und Menschenliebe Gottes, endet nicht mit Leichenpflege und frommen Gedächtniszeremonien für den Gekreuzigten.

„Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.“

Die Frauen gingen keine Sekunde davon aus, dass sie jemand narren wollte. Oder, dass sie Halluzinationen haben könnten. Sie ließen sich davon leiten, dass unsere irdische Realität offen ist für die Wirkungsmacht Gottes. Die Frauen gingen davon aus, dass Gott in die Geschichte der Menschen ihres Volkes immer wieder eingegriffen hatte und immer wieder neu in die menschliche Geschichte eingreifen wird.

Ganz selbstverständlich war ihnen, dass unsere reale Welt eingebettet ist in eine größere Schöpfung, die mehr ist als das, was wir mit unserem Verstand erfassen und begreifen können. Dieser „Realismus“, der mit Gottes heilsamem Handeln rechnet, ermöglichte ihnen die Begegnung mit dem Engel Gottes. Deshalb zeigen sie keine Panik beim Erdbeben und keinerlei Irritationen beim Anblick einer strahlenden Engel- Gestalt. Furcht blieb allerdings und gehörte zu ihrer Freude hinzu. So konnte das neue Kapitel der Geschichte Gottes mit uns Menschen beginnen. So begann der Ostermorgen, damals in Jerusalem.

So – also mit einem Realismus, der offen ist und bleibt für Gottes wirkmächtiges Handeln - beginnt der österliche Glaube für uns alle. Er lässt uns ein Hoffnungslied gegen die zerstörerische Macht des Todes anstimmen. Der Grabstein Jesu wird auch zu unserer Kanzel für den Engel des Herrn: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden!“

2. Furcht und Freude, aber die Freude bleibt!

Die Frauen eilen nun, voller Furcht und Freude, um die Engelbotschaft weiterzusagen. Aber wieso nicht allein voller Freude? Warum gehörte und warum gehört die Furcht zur Osterfreude hinzu? Weil die Realität auch für glaubende Menschen oft so erschreckend ist und bleibt. Und weil es Menschen erschrecken lässt, wenn sie unmittelbar von Gott angesprochen werden oder von seinem Engel.

An Gottes Wirkmächtigkeit in unserer Welt und in unserem Leben zu glauben,  das bedeutet eben nicht, alles durch eine rosarote Brille zu sehen. Ganz im Gegenteil: Christenmenschen verschließen nicht die Augen vor den schrecklichen Realitäten der Welt. Und Christenmenschen weichen ihnen auch nicht aus.

Wenn wir Menschen unser Leben an Gott binden, dann bewegen auch nach dem Ostergeschehen noch die Furcht vor zerstörerischen Mächten unser Fühlen und Denken.  Aber die Furcht kann uns nicht mehr lähmen. Im Gegenteil: Unsere Furcht, die verbunden bleibt mit der Ehrfurcht vor Gott und mit unserer Osterfreude, setzt uns in Bewegung! Sie hilft uns, vor dem Leid unserer Mitmenschen nicht abzustumpfen. Das gilt etwa für unsere Anteilnahme an den Schicksalen der Menschen in Fukushima. Sie hilft uns, solche Ereignisse nüchtern einzuschätzen und daran zu arbeiten, dass sie in Zukunft verhindert oder zumindest abgemildert werden. Furcht in Verbindung mit Ehrfurcht und Osterfreude dient der Fähigkeit, sich in die Lage der von Erdbeben, Tsunami und Super-Gau eines Atomkraftwerkes geschlagenen Menschen zu versetzen.

Und das gilt auch für die Opfer von Krieg und Bürgerkrieg, für Flüchtlinge auf klapprigen Booten auf dem Mittelmeer. Wir werden bewegt zu Anteilnahme, zum Mitleiden und zur Hilfe. Wir können an der Not auch der fernen Nächsten nicht einfach vorüber gehen.

Die Osterfreude ist Kraft und Triebfeder, die Herrschaft einer uns lähmenden Furcht zu brechen. Furcht gepaart mit Ehrfurcht vor Gott und die unvergängliche Freude, die uns aus dem Osterglauben erwachsen, setzen uns in Bewegung, wie die Frauen damals, am ersten Ostermorgen der Geschichte.

Der Auferstandene selbst tritt den Frauen entgegen. Sie erkennen einander. Jesus spricht sie an. Er lässt Berührung zu. Die Frauen vertrauen nicht nur den Worten Jesu. Sie vertrauen ihm selbst, weil die Gemeinschaft zwischen Jesus und den Frauen lebendig geblieben ist. Die Freude, in der Lebensgemeinschaft mit Jesus schon jetzt am Gottesreich teilzuhaben, diese Freude bleibt. Diese Freude ist stärker als alle Furcht.

Das ist Grund und Begründung für das Osterfest und für die Osterfreude – inmitten und angesichts der uns so bedrängenden Realität und inmitten und angesichts aller Furcht, die wir nach wie vor kennen. Der Gekreuzigte ist auferstanden! Jesus Christus lebt und hat uns Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten Gemeinschaft mit ihm zugesagt. Und seinen Beistand bis an der Welt Ende.

Unsere Hoffnungen auf Gottes heilsame Gegenwart in unserem Leben und in unserer Welt laufen nicht ins Leere - auch wenn Kummer, Leid und Tod nach uns greifen, auch wenn Naturkatastrophen und kriegerische Auseinandersetzungen so viel Leben zerstören. In unserer Gemeinschaft mit dem Auferstandenen haben auch wir Teil am ewigen Gottesreich! Die Freude bleibt!

3. Galiläa, ein Ort, an dem vergrabene Hoffnungen lebendig werden

Der Engel des Herrn und der Auferstandene schickten die Frauen und Jünger nach Galiläa. In Galiläa will ihnen der Auferstandene begegnen. In Galiläa, wo der Gottessohn sie die Nachfolge lehrte. In Galiläa, wo er mit ihnen geschwisterlich zusammenlebte und ihnen seinen Gott offenbarte, der allen Menschen als ein liebender Vater nahe kommen und nahe bleiben will. In Galiläa, wo Jesus Kranke und zerbrochene Gemeinschaft heilte, wo er über das Verstehen Gottes und seiner Gebote lehrte und auch stritt. In Galiläa, wo Jesus den Anbruch des Gottesreiches lebte und predigte. In Galiläa werden die Jünger dem Auferstandenen begegnen, dort, wo alles begann. Das Neue begann im Vertrauten.

Wo ist unser Galiläa? Wo ist für uns der Ort, an dem vergrabene Hoffnungen wieder lebendig werden und wir die Realität unseres Lebens neu und realistisch sehen lernen? Wo ist für uns der Ort, der unser Denken und Fühlen für neue, „Wunder-volle“ Gotteserfahrungen öffnet? Selig sind wir, wenn wir solche Orte haben! Möge unsere Kirche, mögen unsere Gottesdienste für viele Menschen ein solcher Ort sein. Ein Ort, der uns eine Begegnung mit dem Auferstandenen ermöglicht. Ein Ort, der uns mit dieser Begegnung immer wieder neu „begreifen“ lässt: Wenn wir unser Leben vertrauensvoll an Gott binden, dann hat der Tod nur noch eine begrenzte Macht über uns. Dann ist unser Lebenslauf von Furcht und Freude bestimmt. Und die Freude ist auch bei uns stärker als die  Furcht. Dann erwarten wir und dann erwartet uns unzerstörbares Leben im Reich Gottes. Die Freude bleibt!

Das ist keine billige Jenseitsvertröstung. Denn das Reich Gottes hat mit Christi Leben, Sterben und Auferstehen schon mitten in unserer irdischen Wirklichkeit Wurzeln geschlagen.

Diesen vielleicht manchen Menschen etwas „verrückt“ erscheinenden österlichen Glauben beschreibt der Schweizer Theologe und Poet Kurt Marti in einem Ostergedicht so:

„Mag sein
dass ich nie recht begriff
was geboren-sein heißt
mag sein
dass ich warte
auf verlorenem posten
mag sein
dass verrückt ist
wer immer noch rechnet mit wundern
verrückt wie die frauen
in der gruft eines toten
entdeckten die neue geburt.“

„Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ –
Gesegnete Ostern!

Amen