Predigt im Rahmen des ZDF-Fernsehgottesdienstes zum Thema „Freiheit – am Hindukusch verteidigt?“ (1. Könige 19, 4-13), Abflughalle des Militärflughafens Köln-Wahn

Nikolaus 'Schneider

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Gemeinde hier und liebe Gemeinde an den Bildschirmen,

„Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter“ - 
 
dieser Satz aus dem Mund des Propheten Elia bewegt mich in besonderer Weise. Wir haben ihn in der Lesung gehört.

Elia hatte gekämpft - für Gott und mit Gott gegen falsche Götter und falsche Propheten.   Und Elia hatte einen triumphalen Sieg errungen. Gott hatte sich mit seiner Macht auf die Seite Elias gestellt. Das Königspaar Ahab und Isebel hatte den Kult um die Baals-Götzen ins Land geholt - nicht zuletzt zur Sicherung der königlichen Macht. Im Rausch seines Sieges wollte Elia den ‚totalen Sieg’. Er ließ alle gegnerischen Propheten ergreifen, um sie eigenhändig umzubringen.

Nun aber will die Königin Rache und bedroht Elia mit dem Tod. Der Prophet muss um sein Leben fürchten und läuft davon. Er flüchtet in die Wüste und legt sich in den Schatten unter einen Wacholderstrauch.

Elia ist leer und ausgebrannt.  Er will nicht mehr kämpfen und nicht mehr streiten. Er will nichts mehr hören, nichts mehr sehen und nichts mehr reden.

Elia ist müde, sterbens-müde:
„Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter“
Auch wenn zwischen dem Propheten Elia und uns rund dreitausend Jahre liegen – hier kommt er uns als Mensch nahe.

Heutige Psychologen haben für den Zustand des Propheten ein Wort, das seit einigen Jahren in aller Munde ist: „Burnout“. Bevor dieses Krankheitsbild in den 90er Jahren beschrieben wurde, sprach man manchmal vom „Elia-Syndrom“ – was für eine zutreffende Aufnahme des biblischen Bildes. 
Vielleicht könnte man bei Elia auch von einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ sprechen, also eine spätere seelische oder psychosomatische Reaktion auf eine ausgesprochen belastende Erfahrung.

Wenn heute Soldaten von dieser Halle aus in den Auslandseinsatz aufbrechen, sind wegen der künftigen Belastungen Psychologen dabei, die sich mit dem Elia-Syndrom auskennen. Wir hörten es ja vorhin aus dem Mund eines Soldaten: ständig kann es geschehen, dass am Rande der Straße ein Sprengsatz gezündet oder ein Konvoi beschossen wird. Und viele, die aus dem Einsatz zurückkehren, tragen die Erfahrung von intensiven Gefechten und stundenlangen Kampfhandlungen in sich: Sie mussten schießen und auch töten. Neben ihnen wurden Kameraden getroffen. Lebensgefährliche und belastende Erfahrungen, die nicht spurlos an ihnen vorübergehen.

Es ist wichtig, dass die Menschen, die unser Land in einen solchen Einsatz schickt, nicht allein gelassen werden. Es ist wichtig, dass wir als Kirche und Gesellschaft die wahrnehmen, die aus dem Einsatz zurückkehren – verwundet oder mit belastenden Erfahrungen ihrer Seele.   

Elia bleibt mit seiner Erfahrung und mit seiner Verzweiflung nicht allein. In einer Situation, in der er an Gott, an den Menschen und am Sinn seines Lebens zweifelt, schickt Gott ihm einen Engel.

Es ist kein Engel, der mit Heerscharen und Posaunen in Elias Leben eingreift. Aber es ist ein Engel mit einem guten Blick für das, was jetzt dran ist - für das in dieser Situation für Elia „Lebens-Notwendige“.

Der Engel bringt Brot und Wasser. Dann spricht er zu Elia: Steh auf und iss.
Er belässt es nicht bei dem einen Mal. Der Engel kommt wieder. Denn manchmal braucht es Zeit, um wieder ins Leben zurückgehen zu können.

Liebe Gemeinde, als Kirche und als Mitmenschen sind wir gefragt, den Soldatinnen und Soldaten zur Seite zu stehen, die mit belastenden Erfahrungen aus den Kriegs- und Krisengebieten zurückkehren. Und wir sind als Gemeinden und Nachbarn gefragt, wenn Familien den Verlust eines Sohnes, einer Tochter, eines Vaters, einer Schwester oder eines Partners zu beklagen haben. Wir sind gefragt, ihnen nahe zu sein, zuzuhören und manchmal einfach nur das Naheliegende und Lebensdienliche zu tun. „Steh auf und iss…“
Das bedeutet nicht, dass wir den Afghanistan-Einsatz in allen seinen Punkten gutheißen. Oder ihm damit gar eine Art kirchlichen Segen geben.

Es geht uns um die Menschen, die am Hindukusch ihren schwierigen Dienst tun. Es sind Menschen aus unseren Gemeinden. Sie gehören zu uns, in unsere Mitte. Es ist richtig und wichtig, für sie zu beten. Ihnen Seelsorger an die Seite zu stellen, die sie begleiten.

Elia schließt seinen bedenkenswerten Satz mit den Worten: „Ich bin nicht besser als meine Väter“. 

Die Älteren unter uns haben noch den 2.Weltkrieg und seine Folgen erlebt. Nach dem Ende dieses Krieges mussten die Menschen in unserem Land lernen, sich der Wahrheit zu stellen: Unser Land trägt Verantwortung für furchtbares Unrecht, ja für Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen. Durch den Krieg, der von unserem Land ausging, wurde unendliches Leid über viele Völker und zahllose Menschen gebracht. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ – schrieb der Dichter Paul Celan. Für viele war es eine bittere Erkenntnis, dass er damit Recht hatte.

Unter dem Eindruck dieser Erfahrung haben viele Deutsche eine tiefe Zurückhaltung gegenüber militärischer Gewalt entwickelt. Die evangelische Kirche hat sich in die Verantwortung vor diesem Teil unserer Geschichte gestellt und sich die theologische Erkenntnis des ersten Treffens des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam nachhaltig zu Eigen gemacht:  „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“
Nein, wir sind nicht besser als unsere Väter. Aber ich denke, dass wir gelernt haben und auch weiter in der Lage sind zu lernen, was Gottes Wort von uns fordert, wenn es die Friedfertigen selig preist!

Zugleich erkennen Christenmenschen ganz nüchtern, dass es Situationen gibt, in denen wir nicht ohne Schuld bleiben können – was immer wir tun oder unterlassen. So ist es in Afghanistan und so ist es aktuell in Libyen, wo wir nicht eindeutig wissen, welches politische und militärische Verhalten den Frieden und die Gerechtigkeit unter den Menschen fördert.
Es ist nötig, dass in unserem Land und in unserer Kirche die Frage von Militäreinsätzen ernsthaft und ausführlich  diskutiert wird. 

Gottes Geist möge unseren Geist bei  diesen Diskussionen bewegen und leiten. Gottes Geist möge uns anleiten, bei all den notwendigen politischen und  theologischen Diskussionen das Leiden betroffener Menschen – auch das Leiden unserer Soldaten und Soldatinnen – im Blick zu behalten. 

Für Elia ist es nicht bei seinem Tiefpunkt unter dem Wacholderstrauch in der Wüste geblieben. Gestärkt durch Brot und Wasser ist er bereit für neue Gottes- und Menschenerfahrungen. Und so macht er sich auf den Weg zum Berg Horeb.

Der Gott, liebe Gemeinde, der Elia am Berg Horeb begegnet, ist ganz anders als erwartet. Nicht in einer Demonstration seiner Macht begegnet Gott hier dem Elia.
Nicht in grandiosen Naturgewalten, nicht im Feuer, nicht im Sturm.
 
Ganz sanft nähert sich Gott dem überlebenden Elia.
In einer „Stimme verschwebenden Schweigens“ - wie Buber undRosenzweig übersetzen - spricht Gott zu ihm.

In einem Windhauch, wie er fast überall zu spüren sein kann: wenn an einem Sommerabend zärtlich der Wind über die Haut streicht; wenn er in den Wipfeln der Bäume die Blätter leise bewegt. Eine feinfühlige Begegnung, eine Bewegung als wollte Gott sagen und zeigen: 
Ich umgebe dich, ich begleite dich, ich bin immer bei dir. Auch und gerade, wenn du schwach und verzweifelt bist.

Gott begegnete dem Elia – damals vor 3000 Jahren - nicht als eine zerstörende und alle Widerstände hinwegfegende Macht. Auch wenn Elia sich das vielleicht gewünscht hätte, um seine eigenen Machtansprüche durchzusetzen und seine Autorität als wahrer Prophet zu erweisen.

Auch 1000 Jahre später begegnete Gott den Jüngern und Jüngerinnen Jesu nicht als eine zerstörende und alle Widerstände hinwegfegende Macht. Auch wenn die Jünger und Jüngerinnen Jesu das sich vielleicht gewünscht hätten, als Jesus das Leiden und Sterben am Kreuz auf sich nahm. Himmlische Heere zum Erweis seiner Wahrheit erschienen manchen als eine verlockende Alternative.

Und Gott begegnet uns Christenmenschen auch heute nicht als eine Macht, die alle Widerstände hinwegfegt. Auch wenn wir uns das sicherlich so manches Mal wünschen, in und für unsere Kirchen und auch in unseren politischen Kämpfen gegen Terror und menschenverachtende Gewalt, um endlich der Gerechtigkeit und dem Frieden zum Durchbruch zu verhelfen.

Das Zusammengehen von Gott und Gewalt, von Gewalt und Gottesglauben, das uns in den biblischen Geschichten und in unseren diesbezüglichen Wünschen und Gerechtigkeitsphantasien begegnet, ist und bleibt zweideutig.

Auch unsere christlichen Kirchen haben – Gott sei es geklagt – oft genug im Namen Gottes das Wüten und Töten gerechtfertigt. Sie waren sogar unmittelbar daran beteiligt. Diese leidvolle und schuldbeladene Geschichte haben wir jedoch – hoffentlich für immer – hinter uns gelassen.

Jesus Christus mahnte uns:
„Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.“
Deshalb kann der Griff zum Schwert immer nur eine letzte und schuldhafte Option sein. Gottes Wort weist uns darauf hin, dass es nicht möglich ist, Krieg mit Krieg und Böses mit Bösem zu überwinden.

Vor wenigen Wochen, liebe Gemeinde, liebe Soldatinnen und Soldaten, habe ich das deutsche Kontingent in Masar-i-Sharif besucht. Wir haben dort Gottesdienst gefeiert. In einem Gebäude, das mitten im Kamp liegt und doch ein Ort der Stille ist. Die Kirche der Militärseelsorge haben die Soldaten „Haus Benedikt“ genannt. An diesem Ort können sie aufatmen, in die Stille einkehren.  Und vielleicht wurde und wird auch einigen Menschen diese Kirche zu ihrem „Berg Horeb“, zu einem Ort für eine neue, sanfte Gottesbegegnung.
Solche Begegnungen mit Gott verändern nicht auf einen Schlag die Welt. Und sie werden den Krieg in Afghanistan auch nicht plötzlich stoppen. Aber sie verändern den Menschen, der sich dieser Gottesbegegnung öffnet und diese Gottesbegegnung erfährt.

Gottes Wort begegnet Menschen manchmal als eine sehr leise Stimme oder als ein sehr sanfter Hauch. Und doch kann dieses Wort  Menschen aufrichten und ihnen einen Neuanfang schenken. Es kann Menschen mit Geduld, Kraft und Mut erfüllen.

Die Begegnung  mit Gott in seinem lebendigen Wort schafft in Menschen eine innere Freiheit. Das stärkt uns und hilft auch,  wenigstens eine begrenzte Zeit lang ungeklärte und ambivalente Situationen auszuhalten.

Elia hat nach der Gottesbegegnung am Berg Horeb seine Höhle mit neuem Lebensmut verlassen können. Er ging  gestärkt hinaus in seine Alltagswelt, um dort sein Leben neu zu ordnen und neu zu gestalten. 

Mit  unseren Verletzungen und Ängsten, mit unseren Zweifeln und enttäuschten Hoffnungen dürfen wir mit Gottesbegegnungen rechnen, auch wenn wir davonlaufen. Gottes Wort will uns ermutigen und stärken, damit wir unsere inneren Fluchten beenden können. Und auch auf uns wartet der Alltag, der neu gestaltet und geordnet werden will.

Dazu segne uns Gott!

Amen