Ostersonntag: Predigt über 1. Samuel 2, 1 – 2 und 6 – 8 a

Präses Dr. h.c. Nikolaus Schneider in der Johanneskirche zu Düsseldorf

Gott macht lebendig!

Das, liebe Gemeinde, ist die frohe Botschaft der Heiligen Schrift. Der Weg Gottes mit seinen Menschen führt ins Leben - auch wenn uns seine Wege oft unbegreiflich bleiben. Und auch wenn es uns oft scheinen will, als ob mit dem Tod alles ans Ende kommt: Gottes Weg mit seinen Menschen endet nicht im Tod. Gottes Weg führt durch den Tod hindurch zu neuem Leben. Gott macht lebendig!

Das gilt auch, wenn der Tod immer wieder in unserer Welt und in unserem Leben zu triumphieren scheint. Deshalb feiern wir Ostern - auch und gerade angesichts aller Karfreitage in unserer Welt.

Gott macht lebendig! - diese Gewissheit hat Menschen schon vor Christi Leiden und Sterben getröstet und getragen. Davon erzählen uns viele Psalmen, Geschichten und Weissagungen der Hebräischen Bibel. Schon vor Christi Tod und Auferstehung haben Menschen Gottes Lebens-Macht erfahren können.

Menschen hatten in ihren tiefen existentiellen Nöten Gott um Hilfe angefleht:

  • weil sie Schaden genommen hatten an ihrem Leib und an ihrer Seele,
  • weil ihre Würde verletzt war und sie ihr Leben als sinnlos erachteten,
  • weil sie mit ihren eigenen Möglichkeiten am Ende waren.

Im Vertrauen auf die Lebens-Macht Gottes wurde ihnen dann aus dem sozialen Tod eine "Auferstehung im Leben" geschenkt. Sie erlebten eine "Heilsgeschichte" inmitten ihrer unheilen Gegenwart.

Und so sangen sie ihrem Gott schon in vorösterlichen Zeiten ein Oster-Lied. Einen Lobgesang, der davon Kunde gibt: Gott macht lebendig!

Ein solches vorösterliches Osterlied ist der Predigttext für diesen Gottesdienst. Es ist der Lobgesang der Hanna, wie er uns im ersten Buch Samuel überliefert ist. Ich lese die Verse 1 bis 2, und 6 bis 8a:

"Und Hanna betete und sprach:
Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN,
mein Haupt ist erhöht in dem HERRN.
Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde,
denn ich freue mich deines Heils.
Es ist niemand heilig wie der HERR,
außer dir ist keiner,
und ist kein Fels, wie unser Gott ist.
Der HERR tötet und macht lebendig,
führt hinab zu den Toten und wieder herauf.
Der HERR macht arm und macht reich;
Er erniedrigt und erhöht.
Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub
Und erhöht den Armen aus der Asche."

"Es war ein Mann, der hieß Elkana. Der hatte zwei Frauen: die eine hieß Hanna, die andere Peninna. Pennina aber hatte Kinder und Hanna hatte keine Kinder."

Mit diesen Sätzen nimmt uns das erste Buch Samuel mit hinein in Hannas Not. Kinderlosigkeit konnte Frauen damals einen seelischen und sozialen "Tod" erleiden lassen. Hanna hatte ihn erlitten. In ihrer Not flehte sie zu Gott, er möge ihr doch einen einzigen Sohn schenken. Gott schenkte ihr Samuel.

Und jetzt singt sie dieses Lied. Sie singt von ihrer Auferstehung im Leben. Sie singt von ihrer Freude und von ihrer wieder gewonnenen Würde. Vor allem aber singt sie von Gott, von seiner Heiligkeit und Einzigartigkeit und von seiner Lebens-Macht!

Für uns Christinnen und Christen bedeutet die Auferstehung Jesu Christi noch mehr und noch grundsätzlich Anderes als eine Auferstehung während unseres Lebens. Wir lesen und hören deshalb das Lied der Hanna auch im Licht der Auferstehungsbotschaft des Neuen Testamentes, gerade heute am Ostersonntag.

Wir lesen und hören das Lied der Hanna in dem Glauben, dass durch Christi Sterben und Auferstehen für alle Menschen der Tod endgültig und "ein für alle Mal" besiegt ist. In dieser Perspektive sollen zwei Gedanken aus Hannas Lobgesang als unser Osterlied erklingen:

Zum Ersten:
Im Ende liegt der neue Anfang

Hanna bekennt in ihrem Lied: Gott ist der Herr über Leben und Tod. Auch über den "Tod im Leben" in seinen vielfältigen Gestalten von Kinderlosigkeit, Armut, Schwäche, Erniedrigung, Feindseligkeit und Ausgrenzung. Der Tod ist kein Gegengott. Sondern der eine und einzige Gott ist es, der tötet und lebendig macht!

"Der HERR tötet und macht lebendig,
führt hinab zu den Toten und wieder herauf.
Der HERR macht arm und macht reich;
Er erniedrigt und erhöht."

Es geht in Hannas Lied bei diesen gegensätzlichen Bewegungen nicht um eine ausgleichende Gerechtigkeit, bei der die Armen reich und die Reichen arm oder die Erniedrigten erhöht und die Hohen erniedrigt würden. Für Hanna ereignen sich Verwundung und Heilung an ein und derselben Person. Deshalb waren auch für Martin Luthers Verständnis der Rechtfertigung diese Verse aus dem ersten Samuelbuch so wichtig geworden. Luther erklärte: "Wenn Gott lebendig macht, tut er das durch Töten, wenn er rechtfertigt, tut er das durch Schuldigmachen, wenn er in den Himmel bringt, tut er das dadurch, dass er zur Hölle führt" (WA 18,633).

Das Ziel von Gottes Handeln ist immer das Leben. Wenn Gott erniedrigt und tötet, dann dient das dem letztgültigen Erhöhen und der Auferweckung zu unzerstörbarem Leben. Ostern als einen "neuen Anfang" können wir nur feiern, wenn wir uns zu dem "Ende" aller menschlichen Selbstrechtfertigung am Kreuz Christi bekennen. Der neue Anfang setzt das Ende alter Maßstäbe voraus. Das Ende der Gottferne ist der Anfang des neuen Lebens im Segen Gottes. Das galt für Hanna und ihren Sohn Samuel.

Das gilt für alle neuen Anfänge, die uns mitten in unserem Leben von Gott geschenkt werden. Und das wird gelten, wenn Gott uns durch unseren Tod hindurch in neues, unzerstörbares Leben im Gottesreich führt. Deshalb feiern wir Ostern: Weil im Ende der neue Anfang liegt.

Und zum Zweiten:
Die Freude über den neuen Anfang lenkt unseren Blick auf Gottes Gerechtigkeit für diese Erde!

Der Lobgesang der Hanna überrascht uns mit einer weiten Perspektive: Hanna singt und preist Gott nicht allein für das Geschenk, das sie mit der Geburt von Samuel erfahren hat. Hanna singt und preist Gott für seine Gerechtigkeit, die er auf Erden aufrichten wird. So klingt es in Hannas Lied:

"Der HERR hebt auf den Dürftigen aus dem Staub
und erhöht den Armen aus der Asche."

Hanna lenkt unseren Blick auf unrechte Machtverhältnisse und auf soziale Fragen unserer Welt. Hanna besingt keinen willkürlichen Gott, der nach einem Zufallsprinzip einmal erniedrigt und ein anderes Mal erhöht. Für Hanna hat Gottes Handeln eine eindeutige Richtung und ein eindeutiges Ziel: Gott hebt den Dürftigen aus dem Dreck und gibt ihm Ehre. Gott bringt Gerechtigkeit in eine Welt, in der Arme von Reichen unterdrückt und ausgebeutet werden.

Genauso, wie es nach ihr auch eine andere Frau in ihrem Lobgesang machen wird: Maria, als sie in Erwartung der Geburt Jesu ist, singt mit ähnlichen Worten: "Der HERR stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen"( Lukas 1,52f).

Der Lobgesang der Maria macht uns klar: Von Anfang an hat das Kommen Jesu Christi auch eine Bedeutung für das Recht und die Gerechtigkeit auf unserer Erde. Die Gerechtigkeit Gottes dient nicht allein dem Seelenheil einzelner Menschen. Die Gerechtigkeit Gottes soll sichtbar und erfahrbar werden auch in dem Zusammenleben der Menschen.

Hannas Freude über Gottes Lebensmacht schärft ihren Blick für die Not der Anderen.

So ruft auch uns die Osterfreude über die Auferweckung Christi zugleich zum Einsatz für Gottes Gerechtigkeit auf Erden. Die Auferweckung Christi ruft uns in die Verantwortung, so dass auch hier und jetzt schon die Armen und Bedrängten aus dem Staub aufgerichtet werden.

Gott schafft durch das Osterereignis - die Auferweckung Jesu Christi - Hoffnung für unser Leben vor und nach unserem Tod. Wir Christinnen und Christen werden von dieser Hoffnung getragen und sind zugleich ihre Träger: Uns ist die Verheißung unzerstörbaren Lebens anvertraut. Wir werden gleichsam zum Brief Christi und können die Hoffnung dorthin tragen, wo andere Menschen nur noch "Schwarz sehen" und entmutigt in die Zukunft schauen. Wo Menschen sich fürchten, Schritte auf die anderen zuzugehen. Wo Enttäuschungen über die Entwicklung in Deutschland, Europa und der Welt zu Teilnahmslosigkeit oder Zynismus führen.

"Es ist kein Fels, wie unser Gott ist." - so hat Hanna gesungen.
"Christ ist erstanden, Halleluja!" - so singen wir an diesem Ostermorgen.

Ostern macht uns gewiss: In jedem Ende kann Gott uns einen neuen Anfang schenken. Und die Freude über den neuen Anfang wird unseren Blick auf Gottes Gerechtigkeit für diese Erde schärfen!

Gott macht lebendig!

Das gilt, auch wenn der Tod immer wieder in unserer Welt und in unserem Leben zu triumphieren scheint. Deshalb setzen wir Hoffnungszeichen in unserer Welt und für unsere Welt - durch unser Beten und durch das Tun des Gerechten. Deshalb feiern wir Ostern, auch heute!

Gesegnete Ostern!
Halleluja