Morgenandacht, Monika Astrid Kittler

7. Tagung der 11. Synode der EKD, Dresden, 9. bis 12. November 2014

Guten Morgen, liebe Synodale,

lassen Sie uns die Schwestern und Brüder, die auf dem Weg in den Plenarsaal sind, mit dem Kanon "Vom Aufgang der Sonne", EG 456, herbeisingen.

Gebet:
Am Morgen dieses neuen Tages kommen wir zu dir, Gott, und bitten dich um Geleit und Segen für all das, was heute vor uns liegt.
Lege Freundlichkeit in unsere Herzen und auf unsere Gesichter. Gib Brot unseren Seelen und unserem Verstand. Halte schützend deine Hand über uns und lass uns ein Segen sein. Amen.

Lied: Tut mir auf die schöne Pforte: EG 166,1+6

An einem Vormittag vor ein paar Wochen trafen sich unser jüngster Sohn und ich vor unserem großen Spiegel im Flur. Letzte prüfende Blicke vor dem Verlassen des Hauses. Er trug ein Oberhemd, das ich bislang noch nicht kannte. Ich staunte nicht schlecht, als er sich umdrehte und ich die Applikation auf seinem Rücken sah. „Unser täglich Brot“ stand da.

Wow, habe ich gesagt, das gibt’s doch nicht, was macht der Satz aus dem Vaterunser auf Deinem Arbeitshemd? Er erklärte mir: Das ist der Name des Bistros, in dem er seit einigen Tagen arbeitet. Dort strömen um die Mittagszeit die Angestellten der umliegenden Banken und Versicherungen in ihren gediegenen Anzügen und Kostümen zu diesem kleinen Restau¬rant, um sich für ihren hochpreisigen Kaffee und ihr belegtes Brot in die meterlange Schlange zu stellen. Danach steht man draußen oder drinnen beim täglichen Brot in kleinen Gruppen um die Bistrotische oder man sitzt in den kastigen LoungeMöbeln draußen unter den Arkaden.

„Das ist Enteignung“, dachte ich, als ich ein paar Tage später selbst in diesem Bistro stand. Enteignung und Aushöhlung von christlichen Grundbegriffen. Steht die VaterunserBitte um „Unser täglich Brot“ nicht eher für das Ganze unserer Bedürftigkeit, für die Basis menschlicher Existenz?

Da standen sie also, die Menschen des sogenannten modernen Milieus, und wirkten auf den ersten Blick überhaupt nicht bedürftig – zumindest nicht, was ihr äußeres Erscheinungsbild betraf. Ganz anders als die Menschen, die sich wenige Gehminuten entfernt in der Frankfurter Innenstadt in einem Zentrum der Diakonie einfinden, um dort Essen und Kleidung zu bekommen.

Was hat es auf sich mit diesen Restaurants, die christlich klingen, aber etwas anderes verkaufen, in denen es eher um Profit geht?

„Unser täglich Brot“, „Abendmahl“ oder „Laube, Liebe, Hoffnung“ heißen sie in Frankfurt am Main, sind durchweg gut besucht und eher im oberen Preisniveau angesiedelt.
Diese Restaurants werden in einer Zeit gegründet, wo wir uns in der Kirche die Frage stellen, wie wir Menschen ansprechen können, die dem sogenannten Modernen Milieu angehören und die sich, wenn man der SinusStudie glauben darf, eher als kirchenfremd und kirchendistanziert verstehen. Sie sind online und offline gut vernetzt, haben vielfältige intellektuelle Interessen und ihr Leben ist deutlich beschleunigt. Es sind diejenigen, die wir eher selten in unseren Gottesdiensten oder Gemeindegruppen antreffen.

Der Neutestamentler Klaus Berger sagt, dass die frühen christlichen Gemeinden die soziologische Zusammensetzung der allgemeinen Gesellschaft widerspiegelten. Es gab wenige Reiche und viele Arme. Damals waren die Ernten instabil. Es gab öfters Hungersnöte. Die VaterunserBitte um das tägliche Brot erschien durchaus sinnvoll.

Vielleicht gibt es eine Parallele zwischen damals und heute, die in der Frage nach der Namensgebung weiterführen kann.

Die Menschen, die sich im Zentrum des Frankfurter Bankenviertels zu ihrem täglich Brot treffen, haben Erfahrung mit der Instabilität von finanziellen Ernten und strukturell
entstandenen Hungersnöten. Sie kennen sich aus in den Abhängigkeiten des Weltmarktes und wissen, wie schnell Aktien abstürzen können. Von ziemlich weit oben kann man relativ schnell auf den Boden einer anderen Realität kommen oder in Abgründe schauen – davon haben sie Kenntnis. Meist aus der Ferne, manchmal aus der Nähe. Und vielleicht halten diese Erfahrungen das Gespür wach, dass es neben Geld und Versicherungen noch anderes für das Leben braucht. 

Der Mensch lebt nicht vom DAX allein. Das könnte erklären, warum Betreiber ihren Restaurants solche Namen geben. Zumindest erklärt es sich für mich ein kleines Stück. Die Betreiber siedeln ihre Bistros in einer sprachlichen Gedankenkette an, bei der es um mehr als physisches Essen geht. Mit der Namenswahl öffnen sie Zusammenhänge, die die Besucher in größere Gedankenräume stellen. Und sie betreten damit das Feld unseres christlichen Glaubens.

Der Mensch braucht Brot, ebenso wie spirituelle Nahrung. Manchmal Vollkorn und Roggen, gelegentlich knuspriges Knäcke oder etwas aus der Vielfalt der Brötchenwelt. In unseren Gemeinden und Kirchen können wir da durchaus mithalten. Unsere Angebote im Bereich von Verkündigung und Bildung sind groß. Wir alle hier können Beispiele aus unserer täglichen Arbeits und Lebenswelt aufzählen. Und wir wissen, auch wenn wir das selbst nicht unbe¬dingt pflegen, von den verschiedenen elektronischen Wegen, die Menschen zu erreichen. Die Bibel wird getwittert, es gibt die Losungen als App, biblische Texte sind online, manche Form ist schon ausprobiert. Die Menschen sollen ihre spirituelle Nahrung in vielfältiger Ge¬stalt abholen können.

Damit die, die nicht zu den inneren Kreisen unserer Gemeinden gehören, einen Zugang zur biblischen Botschaft haben, beschäftigen wir uns auch während dieser Synode mit den modernen Medien. Das, was in den spirituellen Garküchen unserer Gemeinden und Kirchen zubereitet wird, soll auf unterschiedlichen Wegen zu den Menschen kommen und zur Verfügung gestellt werden. Wir sind auf dem Weg, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir Menschen erreichen können, die spüren oder ahnen, dass es neben dem leiblich erlebten Essbedürfnis auch einen spirituellen Hunger gibt. Menschen, die vielleicht aus dem Blick verloren haben, wo dieser Hunger gestillt werden kann. Und möglicherweise holen wir uns damit wieder etwas von der Deutungshoheit und von dem zurück, was mit den Namen „Laube, Liebe Hoffnung“, „Unser täglich Brot“ oder „Abendmahl“ in den falschen Zusammenhang gestellt worden ist.

Möge Gott Segen auf diesen Weg legen. Amen.

Vaterunser

Lied: Herr gib uns unser täglich Brot, EG 464, 1+2