Predigt am Buß- und Bettag 2014 in der Münchner St. Matthäuskirche

Heinrich Bedford-Strohm

Liebe Gemeinde,

er war einer jener Menschen, die sich nehmen, was sie brauchen. Ein Machtmensch, der gewohnt war, das zu bekommen, was er begehrte. Und keiner wagte, es ihm abzuschlagen. Es war Abend geworden und er ging auf der Terrasse seines Penthauses auf und ab und blickte herab auf die Häuser. Einer jener warmen Abende, an denen die Stadt pulsierte und die Leute auf den Dachgärten ringsherum das Leben genossen. Als er die Frau sah, spürte er ein Begehren, das ihn nicht mehr losließ. Sie war so schön anzusehen, als sie da auf dem Dach ihres Hauses badete und sich wusch, dass er nur noch eines wollte: sie haben. Ja, er war gewohnt zu bekommen, was er begehrte. Also ließ er sie holen – eine verheiratete Frau. Und nahm sich, wonach es ihm war. Sie wird schwanger. Er will sie ganz. Ihren Ehemann lässt er beseitigen. Und nach Ablauf der Trauerzeit muss sie ihn heiraten.

Ein richtig mieser Typ, der das getan hat. Und dieser miese Typ ist der Autor, dem Psalm 51 zugeschrieben wird. Seine Worte sind die Worte, an denen wir heute am Buß- und Bettag 2014 unser Nachdenken orientieren wollen.

„Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde, denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir. Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus.“.

Dass wir so konkret etwas über die Lebensumstände erfahren, aus denen ein Psalm stammt, ist einmalig in der Bibel. Und dass Worte, die wir so hochhalten wie Psalm 51, von einer solch fragwürdigen Gestalt stammen, haben wir auch selten. 

„Ein Psalm Davids“, heißt es am Anfang, „vorzusingen, als der Prophet Nathan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba eingegangen war.“ Die Geschichte vom König David, dem legendären König Israels, und der schönen Batseba gehört zu den großen sex and crime-Geschichten der Bibel. Machtmissbrauch, Selbstsucht, Untreue, Gewalt, Rücksichtslosigkeit mögen uns nicht immer in solcher filmreifer Drastik begegnen – aber wir kennen sie. Und wir kennen die Folgen, die das alles hat, wie es die Beziehungen vergiftet.

Es gibt Leute, die Treue in Partnerbeziehungen für altmodisch halten. Sie haben keine Ahnung. Kaum etwas verletzt Menschen so wie das Fremdgehen des Partners. Für den Betrogenen bestätigt eine Studie der Universität Göttingen ist der Seitensprung ein „traumatisches Erlebnis“. Der Verlust von Vertrauen – in den Partner und damit auch in sich selbst, wiegt schwer – sagt die Studie. Noch Jahrzehnte später. In vielen Fällen zerstört es die Beziehung.

Wer auch immer für Treue und Verlässlichkeit wirbt, tut das nicht aus Moralismus oder Prüderie, sondern plädiert damit für ein gutes, für ein erfülltes Leben, - gerade auch bei der Sexualität.

Der Bußpsalm von König David ist das Dokument einer Gewissensschulung. Vielleicht hat der König David im Innersten seins Herzens ganz genau gewusst, welch übles Spiel er da spielte, wie drastisch er mit seinem Verhalten gegen die Leitplanken eines guten Lebens verstieß, wie sehr sein Verhalten in die Sackgasse führte. Vielleicht hat er es innerlich gespürt. Aber es musste erst ein Mann Gottes, der Prophet Nathan kommen, um es ihm zu Bewusstsein zu bringen. Der Prophet wagt es, den König zu konfrontieren.

Und jetzt kommt das eigentlich Erstaunliche, das wirklich Spannende: Der König versteht. Der mächtigste Mann Israels lässt sich von dem Propheten ins Gewissen reden. Er erkennt, was er getan hat. Er versteht, in welche Sackgasse ihn das geführt hat.

Und er spricht die Worte des Psalms. Bittet um Gnade, um ein reines Herz und einen neuen Geist.

David kann nichts mehr tun, um sein Fehlverhalten wieder gut zu machen. Er kann sich nur in die Arme Gottes werfen. Er wäre verloren, wenn es diese Arme nicht gäbe. Wenn es nur die Option gäbe zu verdrängen und zu leugnen – oder aber an der eigenen Schuld zu zerbrechen.

„… ich erkenne meine Missetat und meine Sünde ist immer vor mir…“ – dass das kein Selbstgespräch ist, sondern ein Gespräch mit Gott, das ist lebensrettend. Denn Gott kann vergeben. Gott kann reinigen. Gott kann ein reines Herz schaffen.

Wie gut, dass es die Arme Gottes gibt, in die wir uns werfen können, wenn wir unsere Missetaten erkennen. Wie König David stehen wir da, jede und jeder mit seiner eigenen Geschichte. Mit leeren Händen vor Gott. Und mit diesem Gebet:

Teil II

Das ist das Faszinierende an der Buße: gerade da, wo wir anerkennen, wo wir bekennen, dass wir in einer Sackgasse gelandet sind, geht es weiter. Das ist im persönlichen Leben so und es ist so in der großen Politik.

Man kann das schön sehen an dem wohl wirkmächtigsten öffentlichen Bußakt der jüngeren Geschichte. Der Kniefall des damaligen deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt in Polen vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos am 7. Dezember 1970 hat nicht nur die deutsche Politik verändert, sondern die Weltpolitik. Das Aufrechnen der jeweiligen Verletzungen zwischen Ost und West im Kalten Krieg war in eine Sackgasse geraten.

Und nun kniete der deutsche Bundeskanzler vor dem Ehrenmal spontan nieder und verneigte sich damit vor den Opfern deutscher Gewaltherrschaft. Eine Geste der Demut. Eine Geste der Buße. Genau darin eine souveräne Geste.

Diese Geste hat die Welt verändert. Sie war der Weg aus der Sackgasse der Ost-West-Konfrontation. Sie war der symbolische Ausdruck einer Bereitschaft zur Versöhnung, die zur Grundlage der Entspannungspolitik wurde und am Ende in das vereinigte Deutschland in ein neues Europa mündete.

Ich vermisse sie heute, solche öffentliche Buße.

Der Eiserne Vorhang ist verschwunden. Aber es gibt noch immer einen Goldenen Vorhang, der die arme und die reiche Welt trennt. Der Reichtum auf dieser Welt ist unermesslich. Wer die Vermögensstatistiken weltweit liest, in die auch die Gelder der Eliten in den armen Ländern einfließen, der kann die Nullen kaum noch zählen. Die Güter auf dieser Welt reichen für alle. Und trotzdem ist es uns immer noch nicht gelungen, die Welt so zu organisieren, dass jeder Mensch auf dieser Erde eine Chance bekommt. Der Rat der EKD hat in seiner Stellungnahme zur Wirtschafts- und Finanzmarktkrise „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ 2009 das Ziel auf den Punkt gebracht, dem ein Wirtschaftssystem dienen muss: „eine Wirtschaft, die den Menschen heute dient, ohne die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu zerstören, sowie eine (Welt-)Gesellschaft, die die Verbesserung der Situation ihrer ärmsten und schwächsten Mitglieder zu ihrer vorrangigen Aufgabe macht…“

Die traurige Realität ist, dass jeden Tag viele Tausend Menschen sterben, weil sie nicht die Nahrung oder Medizin haben, die sie brauchen. Das ist eine moralische Bankrotterklärung für unser globales Wirtschaftssystem.

Menschen in den armen Ländern arbeiten hart und können dennoch nicht davon leben. Und trotzdem zahlen Unternehmen aus der reichen westlichen Welt Hungerlöhne, damit wir billig einkaufen können. Die Dürren in Afrika nehmen wegen des zuallererst von uns verursachten Klimawandels immer mehr zu.

Und trotzdem wollen unsere politisch Verantwortlichen den Umstieg auf regenerative Energien nur fördern, solange er nicht zu teuer wird. Die Menschen in den armen Ländern brauchen geschützte Märkte, in denen sie zuallererst ihre eigenen Produkte verkaufen können. Und trotzdem verstehen wir Handelspolitik noch immer als Instrument der eigenen wirtschaftlichen Interessen.

Der König David war in Israel der mächtigste Mann seiner Zeit. Er hat als Mensch und Politiker nach vielen Fehlern verstanden, dass „Gott lieben“ heißt, das Recht der Schwachen zu schützen.

Niemand hat einen genauen Bauplan für eine Weltwirtschaft, in der alle in Würde leben können. Aber der Bußtag kann der Ort dafür sein, uns dazu zu verpflichten, dass wir den jetzigen Zustand nie und nimmer hinnehmen. Dass wir unsere Energien zukünftig zuallererst darauf richten, dass nicht nur wir, sondern alle Menschen leben können.

Es hat seinen guten Sinn, dass der Bußtag auch Bettag heißt. Denn nur wer betet, findet auch die Sprache für Buße und die Kraft zum Neuanfang. Das Beten gibt uns Sprache für die Selbsterkenntnis, die nicht nur im Sprichwort der erste Schritt zur Besserung ist. „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir.“ Wer so beten kann, macht die Erfahrung einer großen Reinigung. Es ist etwas Wunderbares, wenn wir uns alles von der Seele reden können. Buße schafft die Voraussetzung für Vergebung und deswegen öffnet sie die Tür in die Freiheit. Ja, es kommt noch was! Der neue Himmel und die neue Erde, die Gott uns versprochen hat, ist kein Wolkenkuckucksheim. Sie sind da, wo wir Buße tun und Vergebung erfahren. Sie sind da, wo wir spüren, wie unser Herz rein wird. „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist.“

Diese Bitte, liebe Gemeinde, wird heute – an diesem Buß- und Bettag des Jahres 2014 - erhört. Die Tür in die Freiheit öffnet sich.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN