Predigt im ZDF-Fernsehgottesdienst am 26. Juni 2016 in der St. Johanniskirche Meldorf

Pastorin Ina Brinkmann

Aber eins kann mir keiner - eins kann mir keiner. Eins kann mir keiner nehmen und das ist die pure Lust am Leben! Die pure Lust am Leben, liebe Mitmenschen dieser Stunde, diesen Ruf spüre ich genauso. Sein. Einfach Da-Sein. So klingt Gegenwart. So klingt Zukunft. So hat Gott, der ICH-BIN-DA, dich und mich gemeint. Das ist so schön zu spüren. Darauf lasse ich mich gern ein. Ich darf lieben. Ich darf lachen. Wie Sie auch. Wie jeder Mensch. Jetzt will ich mal bedenken, was das eigentlich heißt.

Denn so manches Mal komme ich mir beim Reden so klein vor mit meinen großen Tönen. Wenn ich beispielsweise höre, was Heike Iwers über ihr Leben weiß und das ihrer Schwester. So klar. Wirklich weise klingt das für mich. Manchmal komme ich mir ungelenk und umständlich vor. Wenn ich merke, mit welcher Kraft Julia Maart Mahrt ihr Leben lenkt. Mit welcher Leidenschaft sie ihre Pläne verfolgt. Dagegen fühle ich mich als Schwächling.

Heike Iwers, Julia Mahrt und andere hier. Und natürlich auch Mose. Der Botschafter Gottes mit der Sprachbehinderung. Sie gehören seit geraumer Zeit zu meinem Leben. Sie sind für mich von Nutzen. Und das ist anders als du denkst. Sie tun mir gut. Denn sie erinnern mich an mich selbst. Durch sie komme ich zu mir selbst. Ohne sie würde ich mich nicht erkennen. Jedenfalls nicht das, was es wirklich bedeutet Mensch zu sein. Sie zeigen mir, dass das, was Gott zu Mose sagt, auch mir gilt. Und für dich. Was für uns eine gemeinsame Zukunft heißt.

Ich meine damit nicht diesen ganzen Zirkus von Oben und Unten. Von Verlieren und Macht haben. Vom Können und Haben wollen. Und was es sonst noch so an eitlen Angelegenheiten gibt. Einteilen und Vergleichen, Abgrenzen und Bewerten. Das ist doch an der Tagesordnung. So funktioniert unsere Welt.

Auch bei Frank Schnabel. Herr Schnabel ist Geschäftsführer dreier Häfen hier in Schleswig-Holstein. Leistung ist ein wichtiges Gebot seiner täglichen Arbeit. Dass Leistung aber auch anders sein kann, hat er zusammen mit Silvia Klehn, einer der Mitarbeiterinnen in der Strandkorbmanufaktur bei Stiftung Mensch ausprobiert.

Frank Schnabel, (Statement): Ich glaube gerade wenn man in Verantwortung steht, wenn man jeden Tag letztlich nur nach Zahlen arbeitet, nach Ergebnissen, nach Erfolgen, dann ist es ganz wichtig sich auch mal rückzubesinnen und zu schauen, was im Leben wichtig ist. Dazu gehören soziale Themen, menschliche Themen und ich hab vor vielen Jahren den Weg zur Stiftung Mensch gefunden u.a. über meinen Sohn, der sein Freiwilliges Soziales Jahr hier gemacht hat. Seitdem habe ich einen sehr engen Draht zur Stiftung und bin offen für die Teile in meinem Leben, die ich nicht so stark besetzt hab, nämlich den sozialen Bereich.

Ich durfte ich `ne gute Stunde mitarbeiten, mit anfassen, dort wo solche wunderschönen Strandkörbe gefertigt werden. Durfte genau auf der Ebene mitarbeiten und erleben wie geschickt und wie fähig, wie gut, wie gewissenhaft die Mitarbeiter ihre Arbeit machen und dabei eine wahnsinnige Freude ausstrahlen. Dabei habe ich Silvia Klehn kennengelernt, die seit Jahrzehnten in der Strandkorbmanufaktur arbeitet…

Silvia Klehn, (Statement): Mal sehn, ob der Schlipsträger das auch so hinkriegt, habe ich gedacht und das auch so zu meiner Kollegin gesagt. Also zum Anfang war er ja auch ganz schön unbeholfen und er wusste noch nicht so richtig, was auf ihn zukommt.

Frank Schnabel: Am Anfang gab es zwischen uns beiden eine gewisse Distanz. Frau Klehn hat mich etwas beäugt, ob ich jemand bin, der wirklich mitarbeiten will. Und ich habe versucht, mich dann einzubringen, obwohl ich persönlich nicht handwerklich so begabt bin.

Silvia Klehn: Das habe ich gemerkt und zu Ihnen gesagt: Doch, das bekommen Sie schon hin, Herr Schnabel! Wie ich dann mit Ihnen am Flechten war, ist die Scheu auch ganz schnell weggefallen. Und es machte Ihnen richtig Spaß – und mir auch!

Frank Schnabel: Ich fand das für mich wirklich ein Erlebnis. Ich habe Demut gespürt. Und gemerkt, dass, ja, das Glücklichsein nicht von materiellen Dingen abhängen muss, sondern mehr von Gefühlen geprägt sein sollte. Und gerade Frau Klehn und ihre Kollegen haben mir gezeigt, dass das geht. Mein Erkenntnisgewinn.

Ina Brinkmann: Wenn die Menschen sich so begegnen, wie Silvia Klehn und Frank Schnabel zum Beispiel, dann ist das ein besonderes Glück. Ich wünschte, wir alle - du und ich – wir hätten das immer. Wie wäre das Leben dann rund und schön.

Aber der Alltag sieht doch meistens anders aus. Einteilen und Vergleichen. Abgrenzen und Bewerten. So erleben wirs doch. Und gleichzeitig wissen wir: es macht uns alle auf die Dauer unbarmherzig. Verzerrt die Zukunft, für die Gott uns alles zutraut. Denn dann kommt schnell dabei heraus: Ich rede wie Mose. Das kann ich nicht. Das traue ich mich nicht. Das weiß ich nicht.

Nun meinst du vielleicht, das sei doch aber nichts, wenn man – sagen wir mal – eine schwerfällige Zunge hat? Im Rollstuhl sitzt? Du befürchtest, das Leben sei dann zu eingeschränkt, zu krank, zu passiv? Diese Art von Leben sei kein Leben? Wäre nicht von Nutzen? Hätte keine Zukunft?

Die mitleidigen Blicke, die du ertragen müsstest. Voller Ungeduld. Und natürlich zu viele Stufen. Zu enge und zu schwere Türen. Ganz zu schweigen von den Gesetzen, die das Arbeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt behindern.

Wer sagt uns denn, dass Heike Iwers, Julia Mahrt und Silvia Klehn und viele andere so an ihrem Leben leiden? Nur weil sie ihre Alltagsdinge anders machen als ich?  Jedenfalls leiden die drei wohl nicht mehr und nicht weniger als du und ich an ihrem Leben. Heike Iwers, Julia Maart- Mahrt, Silvia Kleen sind nämlich genauso radikal in ihren Träumen wie du und ich. Sie ärgern sich und sie sehnen sich. Frag sie doch mal nach ihrem Glück und woran sie Spaß haben, wofür ihr Herz schlägt.

Woran die Frauen aber leiden, und andere natürlich auch: Wenn wir sie behindern. Mit unserem Mitleid. Mit unserer Bevormundung. Mit unserer Abwertung. Mit den Gesetzen und Bestimmungen. Wenn wir nicht wirklich hinsehen und hinhören.

Zukunft haben heißt, selbstbestimmt zu leben. So weit wie möglich. So gut es geht. Für alle. Mit allen. Mit der Anmut eines Augenblicks. Sogar im Dunkel mancher Traurigkeit. Das ist schon mal sicher. Niemand gehört in dieser Welt aufs Abstellgleis. Auf keinen Fall. Wenn das gelingt, sind wir schon sehr weit. Aber selbst die besten Gesetze,  treffen doch nicht im Kern, was selbstbestimmtes Leben für alle meint.

Ein Beispiel: Wer sechs Jahre alt wird, ist schulreif. Also ab zur Grundschule. Mit einem Schulhelfer geht das schon. Die Schulpflicht gilt ja für alle. Nein, so nicht. Oder noch eins: Alle haben das Recht auf eine eigene Wohnung. Selbstverständlich. Was aber, wenn die geforderte Selbständigkeit mehr Angst als Glück einbringt? Nein, so nicht.

Schutz zu bieten heißt nicht immer gleich, abhängig zu machen. Wir können nicht aus jedem Willen ein Prinzip machen. Schauen wir doch lieber mal hin und hören auf die Menschen, um die es geht. Gott tut es bei Mose doch auch.

Also hören wir auf das Leben. Heute fängt meine und deine Zukunft an. Heute fängt an, was wir daraus machen. Sein. Da-Sein. So hat Gott, der ICH-BIN-DA, dich und mich gemeint. Gott grenzt nicht ab, grenzt nicht aus. Gott schaut hin und verbindet. Gott hat allen den Ruf des Lebens geschenkt.

Also finde dich. Entdecke den Menschen neben dir. Schau hin und  sieh mit deinem Herzen. Höre genau hin. Lerne von ihm. Und − vor allem − resigniere nicht. Selbst wenn mal was schief geht. Mit dir und anderen dabei.

Ganz gleich, wie du aussiehst. Ob du eine schwere Zunge hast wie Mose, ob du laufen kannst oder nicht. Die pure Lust am Leben ruft dich und mich. Das ist unser Auftrag. Gemeinsam sind wir doch unschlagbar. Jeder mit dem eigenen Talent. Der Energie. Den Bedürfnissen.

Lass uns loslegen. Dann kann die Zukunft wachsen, die Gott uns zugedacht hat. Wie für Mose und Aaron. Gott, der ICH-BIN-DA hilft und ist bei uns. Vertrauen wir darauf. Dann wird vieles anders. Anders als wir’s je erträumt hätten. Amen.

(Es gilt das gesprochene Wort)