Predigt über Mt 15, 29-31 im Ökumenischen Gottesdienst zu Beginn der Pilgerreise ins Heilige Land

Bischöfin Kirsten Fehrs, Hamburg

Es gilt das gesprochene Wort.

„Wunder“

Sie ist ein Wunder – diese Reise. So ist es mir schon die ganze letzte Woche gegangen, als ich mich gefreut habe auf diese besondere Gemeinschaft der Pilgernden. Gemeinsam suchen wir nach dem heilsamen Wort. Wort das Fleisch wurde, Christus, Licht der Welt. In Bethlehem begann´s, auch das werden wir sehen. Mit uns beginnt es hier. Und angesichts dieser fremden Schönheit hier, die sich ins Auge schmiegt, sich auf sie einzulassen: wie sollten wir mit uns selbst beschäftigt bleiben, mit dem Augenmerk auf unsere Verschiedenheiten?! Wir sind auf dem Weg der Versöhnung. Indem wir uns rückbinden an ihn, Christus selbst. Und tatsächlich das erste Mal gemeinsam!!

Das Leben ist voller Wunder. Zum Wundern schön. Dies hier. Und so vieles noch. Auch, dass Bob Dylan den Literaturpreis erhält. Wer hätte das jemals gedacht? Einer, der mit dem hingeraunzten „Knockin' on heavens door“ tatsächlich Seelen erreichte und der von sich sagt: „Ich bin aufgebrochen, um nach Hause zu finden, wusste aber nie, wo das war.“

Vielleicht ist es ja genau so etwas auch mit uns? Aufbrechen, um nach Hause zu finden. Mit einer gewissen Ahnung, wo das war. Nämlich hier. Im Heiligen Land. Heute am Galliäischen Meer. Ort der Wunder, wir haben es eben im Evangelium gehört. Lahme, Bettler, Trudelnde, auf der Suche nach Hause zu kommen, geborgen zu sein in der Zuneigung des Gottessohnes, angesehen zu werden, endlich.

„Und es kam eine große Menge zu ihm“ - es waren und es sind Unzählige, Tausende, die hungern und dürsten. Nach Brot und Leben. Nach Gerechtigkeit. Frieden. Nach einem heilsamen Wort. Nach Hoffnung, dass es endlich besser wird. Gerade hier in diesem Land, wo es seit Menschengedenken Menschenrecht und Staatenrecht, Religion und Friede so schwer miteinander haben.

Faszinierend an diesem Text: Die Menschen kommen nicht nur um ihrer selbst Willen. "Sie hatten bei sich Gelähmte, Verkrüppelte, Blinde, Stumme und viele andere Kranke und legten sie Jesus vor die Füße." Schon das, meine ich, ist ein Teil des Wunders: Da kommen so viele Menschen, und sie nehmen auf die Schwächsten Rücksicht. Ja, vielleicht wollten sie genau das: Hingehen und einen Kranken mitnehmen. Und dann ereignet sich ein Wunder nach dem anderen. So viele werden geheilt, werden satt bei der anschließenden Speisung der 4000. Wie geht das? Irgendetwas ist geschehen, sicher. Aber zu viele Fragen und zu viel Erklärung zerstört das Wunder. Auch davon berichtet das Evangelium. Von den Pharisäern und Sadduzäern, die das erklärt und vorgeführt bekommen wollen: Lass doch mal ein Zeichen vom Himmel sehen. Aber Jesus denkt nicht daran, und er lässt sie stehen.

Wunder kann man nicht machen oder auf Ansage reproduzieren. Wunder gibt es. Sogar immer wieder. Es ist Überraschung, unverfügbar, glückselig, manchmal nur ein Moment. .Es wächst manchmal in der Einsamkeit, in der Zweisamkeit. Am ehesten dann, wenn man es nicht für sich selbst erwartet, sondern für einen anderen.

Deshalb die Volkmenge. Damit viele Anteil haben. Denn das war doch nicht nur damals so: dass der Durst so groß ist, und das Wasser so bemessen. Und dass die einen das Wasser abgraben, das die anderen dringend zum Leben brauchen.

(Deshalb folgte ihm die große Menge. Am Ufer entlang. Sagte er doch: Er führe weg über das Galiläische Meer. Von eben jenem Ufer weg, wo die Reichen und Wohlhabenden es den „See von Tiberias“ nannten, die die mit der kaiserlichen Macht paktierten. Jesus, und das sprach für sich, wollte an genau das andere Ufer, zu ihnen, gefolgt an Land von einem Zug der Tausenden. Sie, die es dürstet nach der Gerechtigkeit.)

Jeden Morgen, wenn ich durch die Hamburger Innenstadt gehe, dann sehe ich sie. Sehe soziale, diese gesellschaftliche Spannung: Afrikanische Flüchtlinge und chinesische Touristen. Banker und Bettler. Frauen mit Ganzkörperschleier und Frauen in knappen Miniröcken. Alle dicht beisammen und doch in ihrem Leben soweit auseinander. Solche, die am leeren Magen und solche, die an der Leere ihrer Herzen leiden.

Alle, alle sind wir in diesem Zug des Lebens. So wie damals hier am See. Und warten auf ein Wunder. Für uns selbst und für die anderen und für die Welt. Wie wäre es, wenn jeder einen anderen fände, frage ich mich manchmal, der ihn mitnehmen könnte an den Ort, wo die Wunder geschehen. Und wieder etwas heil wird in uns.

Liebe Geschwister, schön dieses Wunder, dass wir hier stehen. Zeichen auch dafür, dass wir inmitten der säkularen Gesellschaften, inmitten der gottlosen Gewalt für eine Wirklichkeit stehen, die über, in und hinter den Dingen ist. Die uns demütig auf unser Leben schauen lässt, weil wir es eben nicht uns selbst verdanken. Jede Liebe, die wir fühlen, aber auch jeder Schmerz, der uns durchfährt, macht uns das bewusst. So vieles kann man erforschen, erkennen, digitalisieren, messen – aber wie wirklich Leben entsteht, wächst und wird, das bleibt unserem Ermessen entzogen. Und deshalb ist es vor allem die Ehrfurcht vor dem Leben, für die unser Glaube in dieser so irrsinnigen Welt steht.

Das Leben ist zum Wundern schön. Sehen wir es an, wie es sich uns zuneigt. Hier und auf dem Weg des Lebens. Auf den Spuren von ihm, der uns liebt. Allezeit.

Amen