Predigt in der Dormitio-Abtei in Jerusalem

Heinrich Bedford-Strohm

Es gilt das gesprochene Wort.

Epheser 4,1-6: So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe 3 und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: 4 "ein" Leib und "ein" Geist, wie ihr auch berufen seid zu "einer" Hoffnung eurer Berufung; 5 "ein" Herr, "ein" Glaube, "eine" Taufe; 6 "ein" Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

Liebe Schwestern und Brüder,

ein Leib, ein Geist, ein Glaube, eine Taufe – wenn man sich diesen Abschnitt aus dem Epheserbrief, den wir eben gehört haben, nach einer Woche gemeinsamen Pilgerns von Katholiken und Protestanten, nach einer Woche gemeinsamen Singens und Betens, nach einer Woche gemeinsamer Besuche der Lebens- und Wirkungsstätten Jesu vor Augen führt und nach vielen Begegnungen mit Menschen, die hier leben und in den Kirchen oder an anderen Orten Verantwortung tragen, dann sind diese Worte für mich wie ein lange gehegter Wunsch, der nun in vieler Hinsicht in Erfüllung gegangen ist. Was der Apostel im Epheserbrief schreibt, ist eine Ermahnung an die Gemeinde in Ephesus, sich vor Augen zu führen, dass wir alle berufen sind zur Einigkeit im Geist. Viele Jahrhunderte war die Christenheit weit davon entfernt, dass diese Ermahnung aus dem Epheserbrief Wirklichkeit geworden wäre. Immer wieder in der Geschichte hat es Fortschritte gegeben und dann aber auch wieder Rückschritte. Nach dieser nun zurückliegenden Woche habe ich das starke Gefühl tief im Herzen, dass wir diesen Appell des Apostels gehört haben, dass wir ihn in die Seele aufgenommen haben und etwas von der Einheit wirklich erfahren haben, auf die er gerichtet ist. Dies nun mit Ihnen allen hier in der Dormitio zu bedenken, dem Ort, an dem seit rund 40 Jahren junge Männer und Frauen unterschiedlicher Konfessionen gemeinsam Theologie studieren, ist für mich ein ganz besonderer Moment.

Natürlich liegt noch ein ganzes Stück Weg vor uns, bis wir wirklich eine Einheit erleben werden, die alle kirchentrennende Elemente überwunden haben wird. Aber ich glaube, wir haben den richtigen Weg eingeschlagen – Gott sei Dank!

Der Apostel, der diese Worte spricht, steht ganz für seinen Glauben ein und ist bereit, sogar dafür ins Gefängnis zu gehen. Es ist jemand, von dem man sich die Ermahnungen für den Weg, den wir gehen, wirklich gefallen lassen kann, die da ausgesprochen werden: So ermahne ich euch nun, …dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.

Hier spricht jemand aus den Tiefen seiner Seele heraus. Und deswegen sind seine Ermahnungen missverstanden, wenn man sie als moralische Belehrung, als moralischen Zeigefinger versteht. Wenn diese Worte einfach nur moralisch gemeint wären, dann könnten wir heute eigentlich nur nach Hause gehen und uns schlecht fühlen. Denn natürlich sind wir nicht immer so wie das da beschrieben wird, demütig, Sanftmut ausstrahlend, geduldig, so dass wir einander in Liebe ertragen. Aber der Autor des Epheserbriefes will auch gar nicht sagen: jetzt werdet endlich gute Menschen. Jetzt befolgt endlich die moralischen Regeln, die einen guten Menschen ausmachen. Jetzt seid endlich wahrhaft ökumenische Menschen. Er spricht von etwas viel Tieferem, etwas Grundlegendem, etwas unsere ganze Existenz Berührendem. Ich ermahne euch, sagt er, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid.

Eine Berufung ist nichts Äußerliches. Sie kann mir auch nicht von anderen aufgezwungen werden. Wenn wir von Berufung sprechen, dann sagen wir damit gerade: da ist etwas, das mich im Innersten trifft, es ist etwas, das in irgendeiner Weise von außen auf mich zukommt, von dem ich aber existentiell spüre, dass ich diesem Ruf auch folgen muss, nicht weil ich Vorteile davon habe, nicht weil ich irgendetwas damit erreichen will, sondern einfach, weil ich diesen Ruf spüre. Wenn jemand seinen Beruf nicht nur als Job versteht, sondern als Berufung, dann widmet er sich seiner Arbeit mit ganzem Herzen und eben nicht nur des Geldes oder der Karriere wegen. Deswegen hat es nichts mit Moralismus zu tun, wenn der Verfasser des Epheserbriefes sagt: lebt der Berufung würdig, mit der ihr berufen seid in aller Demut und Sanftmut, in Geduld!

Ihr spürt, sagt der Text zu uns allen, wie reich ein Leben ist, das von Demut geprägt ist, weil ihr genau wisst, dass alles, was wir haben, alles, was wir können und alles, was wir sind, ganz Gabe Gottes ist und uns nicht zukommt, weil wir so überzeugende Christen sind oder weil wir hohe kirchliche Ämter bekleiden, sondern allein, weil Gott es uns gönnt und Gott es uns schenkt.

Und ihr wisst, wie viel lebenswerter ein Leben in Sanftmut und Geduld ist als ein Leben mit Ellenbogen und Rücksichtslosigkeit. Ihr habt vielleicht selbst schon erfahren, dass sanftmütig sein, tatsächlich selig macht, sowie Jesus es in den Seligpreisungen verheißt.

Und ihr ertragt einer den andern in Liebe, weil ihr ganz genau wisst, dass ihr selbst darauf angewiesen seid, dass die anderen euch ertragen und euch so nehmen wie ihr seid mit allen Ecken und Kanten. Ja, manchmal müssen die anderen euch auch ertragen in Liebe und weil ihr das wisst, deswegen handelt ihr an ihnen genauso. So lässt sich als Gemeinde Jesu Christi leben! So lässt sich auch jenseits der unterschiedlichen Temperamente und Charaktere, die wir alle mitbringen die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens bewahren.

Und die Grundlage für diese Einigkeit wird knapp und klar dann noch einmal genannt: "ein" Leib und "ein" Geist, "ein" Herr, "ein" Glaube, "eine" Taufe. Da steht ganz klipp und klar, was unsere Berufung ist! Nach dieser Woche höre ich das noch viel eindringlicher als bisher, verbunden mit der Hoffnung, dass es uns gelingen wird. E-Mail: pressestelle@ekd.de - Internet: http://www.ekd.de

Dabei schaue ich noch einmal auf die Worte aus dem Epheserbrief, die dem direkt vorangehen: So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.

Es wird hier nicht zu Leisetreterei aufgefordert, auch nicht zum Abschied von der Leidenschaft für die Wahrheit. Aber zum Innehalten, vielleicht zum ökumenischen Innehalten, rufen diese Worte schon. Werden wir die ökumenische Hoffnung bewahren und weitertragen können? Müssen wir vielleicht viel mehr Geduld haben als wir uns jetzt vorstellen können? Sind es vielleicht gerade jene ökumenischen Erfahrungen, die die Einheit nicht in allen Teilen sichtbar werden lassen, in denen sich Sanftmut erst zu bewähren hat? Und bleibt nicht auch dann diese Einheit des Geistes aus Christus, die uns in allen ökumenischen Schwierigkeiten am Ende doch wie ein Band des Friedens hält? Gewinnen wir vielleicht erst dadurch wieder einen Blick für die Zeichen der Hoffnung?

Ein solches Zeichen der Hoffnung ist für mich diese zurückliegende Reise sowie alle ökumenischen Stationen, die im kommenden Reformationsjubiläumsjahr vor uns liegen. Der Gottesdienst zu „Healing of memories", an dem wir der gegenseitigen Verletzungen gedenken und Versöhnung feiern wollen, wird für uns sicher eine der wichtigsten Stationen im ökumenischen Miteinander werden.

Wir haben von der Berufung gehört, auf die der Verfasser des Epheserbriefes uns anspricht. Wir haben von den Tugenden der Demut und der Sanftmut und der Geduld gehört, die sie in uns wachruft. Wir haben davon gehört, wie diese Tugenden uns helfen können, die ökumenische Vision von dem einen Herr, dem einen Glauben und der einen Taufe zu bewähren, von der da die Rede ist.

Aber das Wichtigste, liebe Gemeinde, das Wichtigste kommt zum Schluss. Da ist nämlich von der einen Quelle die Rede, aus der das alles kommt. Da rückt derjenige ins Zentrum, ohne den wir nichts sind, ohne den die Ökumene nichts ist denn Schall und Rauch, ohne den ein jeder von uns nicht wäre: "ein" Herr, "ein" Glaube, "eine" Taufe; "ein" Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

Es ist eine ungeheure Kraft, die in diesem Satz steckt. Er spricht von dem einen Gott, der der Urgrund des Lebens ist, der wie ein bergender Raum ist für die Welt, ein Vater aller, einer der jeden von uns in der Hand hält und trägt.

Er spricht nicht von einem Gott, der irgendwo im Weltall thront und sie in seiner Allmacht regiert und lenkt und dann eben einmal auf den Fruchtbarkeitsknopf drückt und es eine gute Ernte gibt und dann ein anderes Mal auf den Dürreknopf, der richten oder prüfen will und dazu auf den Erdbebenknopf drückt oder gar auf den Knopf, der die Bombe auf Aleppo abwirft! Ein Gott, der die Welt von außen betrachtet und sie nach seinem Ratsschluss, unberührt vom Schicksal der Menschen und ihrem Leid, „herrlich regieret", selbst-herrlich regieret!

Von einem solchen Gott spricht dieser Satz genau nicht! Sondern von einem Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. Gott ist nicht nur über allen. Er ist auch durch alle und in allen.

Liebe Schwestern und Brüder, dass das da steht, ist entscheidend. Dadurch, dass Gott an unserem Leben teilnimmt, wird alles anders. Indem Gott durch alle und in allen ist, ist Gott uns nahe. Ist Gott nahe in allem Glück, das wir erfahren dürfen. Ist Gott nahe in allen Abgründen, vor denen wir stehen. Ist Gott wirklich unser Hirte und geht mit uns, wenn wir wandern im finstern Tal. Weidet uns Gott wirklich auf einer grünen Aue. Führt Gott uns wirklich zum frischen Wasser.

Warum vertrauen wir auf Gott? Warum halten wir uns an diesen Gott, obwohl wir doch wissen, dass das keine Versicherung gegen die Abgründe des Lebens ist? Obwohl wir uns doch bewusst sind, dass die Gesundung an Leib oder Seele, auf die wir vielleicht hoffen, die Überwindung von Konflikt und Streit, die wir ersehnen, sich nicht einfach herbeten lässt. Warum vertrauen wir trotzdem auf Gott?

Für mich liegt die Antwort genau in diesem Satz: Gott ist ein Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. Wir glauben nicht an irgendein jenseitiges Wesen, das von außen die Welt lenkt und uns damit am Ende einfach nur fremd bleibt. Wir glauben an den Gott, der sich in Jesus Christus gezeigt hat, und das heißt doch vor allem: der uns in einer Radikalität nahe gekommen ist, die fast nicht zu fassen ist. Der uns in Jesus mit seiner Reich-Gottes-Verkündigung die Herzen geöffnet hat, der uns in ihm mit seinen Gleichnissen die Sinne geweitet hat, der uns mit seinen Zusagen die Seele getröstet hat, der in Jesus die Erfahrung abgrundtiefen Leidens mit uns geteilt hat, der gar am Ende den Ruf selbst ausgestoßen hat, den mancher von uns vielleicht selbst genau kennt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! --- Das ist der Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. Das ist der Gott, an den wir glauben. Das ist der Gott, an den wir glauben dürfen! Denn was kann es Schöneres geben als sein ganzes Leben aufgehoben zu wissen in einer Kraft, die uns so zugewandt ist, die versteht, wer wir sind, was wir erleiden und was wir erhoffen, von der eine Liebe ausgeht, die froh macht, die stark macht, die uns heil werden lässt.

Alles, was wir von unserer Berufung gehört haben, alles, was sich daraus für unser Leben ergibt, alles, was wir für unsere Kirche und ihre Einheit erhoffen, kommt von daher. Dass Gott über uns ist, durch uns ist und in uns ist, das macht uns neu und das führt uns an diesem Samstagmorgen hier in der Dormitio zusammen. Es stärkt uns alle und es lässt uns, die wir jetzt eine Woche lang auf dieser ökumenischen Pilgerreise unterwegs waren, heute nach Hause fliegen mit diesem tiefen und durch nichts zu ersetzenden Gefühl, dass es in unserem Leben eine Hand gibt, die uns führt auf unserem Weg, die uns Orientierung gibt an den Weggabelungen und die uns auffängt, wo wir fallen. Eine Kraft, die uns nährt und die nie versiegt.

Das zu wissen, liebe Gemeinde, das macht wirklich frei. So dürfen wir in diesen Tag und in die vor uns liegende Zeit des Reformationsjubiläums und –gedenkens gehen in der wunderbaren Freiheit eines Christenmenschen und aus der Kraft dessen, der über uns ist und durch uns ist und in uns ist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus.

AMEN