Predigt am Ostermontag in Prieros ( Lukas 24, 13-35)

21. April 2003

Mit dem Auferstandenen Gottesdienst feiern: das ist ein guter Sinn des Ostermontags. Dies führt uns heute hier in Prieros zusammen –  in den unterschiedlichen Gruppen, in denen wir zum Gottesdienst versammelt sind: die Ortsgemeinde des Pfarrsprengels Gräbendorf-Bestensee, der Täufling dieses Gottesdienstes und diejenigen, die ihn begleiten, die Kreuzpfadfinder aus dem ganzen Bundesgebiet, die zu ihrem jährlichen Ostertreffen zusammen sind, eine beträchtliche Zahl von Gästen aus Berlin und anderswo, jungen und älteren, die sich auf den Weg gemacht haben. Eine festliche Gemeinschaft sind wir, versammelt um den Auferstandenen. Ich bin von Herzen gern dabei.

Der erste Gottesdienst mit dem Auferstandenen: davon handelt das Evangelium dieses zweiten Ostertags, der Bericht über die Wanderung der zwei Jünger nach Emmaus. Am Ende sitzen die beiden Wanderer mit Jesus um einen Tisch; und plötzlich ist Gottesdienst.

Begonnen hat es ganz anders. Besonders fromm ist den beiden Männern nämlich nicht zu Mute, als sie sich von Jerusalem aus auf den Weg machen. Wo Emmaus liegt, ist nicht mehr so genau festzustellen; Emmaus liegt überall. Zwölf Kilometer soll der Weg lang sein, den die beiden unter die Füße nehmen. Eine geradezu überragende Tagesleistung ist das nicht, für wandererfahrene Pfadfinder jedenfalls ist es ein Leichtes. Und die Exkursionen in die Mark, zu denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ostertreffens gestern von Prieros aus aufgebrochen sind, werden anstrengender gewesen sein: über Stock und Stein durch den Barnim, ins Schlaubetal oder den Spreewald, auf die Seelower Höhen oder ins Land der Wenden. Ihnen allen werden die zwölf Kilometer nicht besonders imponieren, zu denen die beiden Jünger sich auf den Weg machen. Aber sie tragen schweres Gepäck mit sich: die unverarbeiteten Erlebnisse der zurückliegenden Tage.

Nur von einem erfahren wir den Namen: Kleopas heißt er. Ein Jünger Jesu ist das, der uns sonst nie begegnet; unter die Zwölf wird er nicht gezählt. Kein besonderes Glaubenslicht; sich in ihm wieder zu finden, fällt nicht schwer. Sonst halten wir uns an den anderen; er bleibt anonym, wie wir das auch so gerne tun.

Ratlosigkeit ist ihr Begleiter. Was ist in Jerusalem geschehen? Alle Hoffnungen, die sie auf Jesus von Nazareth setzten, haben sich aufgelöst. An der Macht des Gesetzes sind sie zerschellt. Als religiöser und politischer Aufrührer wurde Jesus hingerichtet. Die neuesten Nachrichten schaffen noch mehr Verwirrung. Einige Frauen haben sich am Morgen zur Grabstätte auf den Weg gemacht, um dem Verstorbenen einen letzten Liebesdienst zu erweisen. Aber sie fanden den Leichnam nicht. Ein Engel sei ihnen erschienen und habe behauptet, er lebe. Was soll man mit einer solchen Nachricht anfangen?

So tief sind die beiden in ihre Ratlosigkeit versunken, dass sie kaum merken, wie sich ein Dritter zu ihnen gesellt. Kaum würdigen sie ihn eines Blickes, geschweige denn dass sie ihn erkennen. Nur wir als Beobachter wissen, wer es ist. Sie klagen ihm ihren Heils-Frust und reden ganz freimütig über ihre Zweifel. Jesus habe sie enttäuscht, sagen sie. Statt im besetzten Land seiner Väter die Freiheit auszurufen, hat er sich den Machthabern ausgeliefert. Statt seinen triumphalen Einzug in Jerusalem zu vollenden, endete er schmählich am Kreuz. Und nun auch noch Zweifel, wo er eigentlich geblieben ist. Der fremde Mitwanderer deutet den beiden das Geschehene aus der Heiligen Schrift; aber sie merken nichts. Denn noch immer bleibt ihnen rätselhaft, was sie erlebt haben.

Aber irgendwie erhoffen sie bei ihm doch Halt und Klarheit. In Emmaus angekommen, will er sie verlassen: sie aber bitten ihn, doch mit ihnen einzukehren: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Da sitzen sie nun um den Tisch; Jesus bricht das Brot mit den ahnungslosen Jüngern. Und dazu spricht er vielleicht das Psalmwort, das wir vorhin gebetet haben: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.“ Nicht er ist bei ihnen zu Gast; er lädt sie an seinen Tisch. Wie beim letzten Abendmahl ist das, zu dem sich Jesus mit den Seinen in Jerusalem versammelt hatte, am Abend vor seiner Kreuzigung. Wie er für sie das Brot bricht, werden ihnen plötzlich die Augen geöffnet: in diesem Brotbrechen ist er selbst in ihrer Mitte. „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Das erleben sie, und ihr Herz brennt. In Emmaus, diesem unbekannten Ort, feiern sie den ersten Gottesdienst mit dem Auferstandenen.

Doch kaum haben sie es verstanden, entzieht er sich ihnen. Man kann die Auferstehung nicht anfassen; man muss sie glauben. Aber das wissen sie nun: Eine Brücke ist geschlagen über den tiefen Graben, den das Kreuz gezogen hat. Nun haben sie mit dem Auferstandenen Gottesdienst gefeiert.

Alles haben sie erlebt, was den Gottesdienst mit dem Auferstandenen bestimmt. Um seine Gegenwart haben sie gebeten: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Für Gottes gute Gaben haben sie gedankt: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.“ Auf das Wort der Bibel haben sie gehört; der Auferstandene selbst hat es ihnen ausgelegt. Und dann hat er das Brot für sie gebrochen, in dem er sich ihnen selbst schenkt und bei ihnen bleibt. Das trifft sie ins Herz; und das Herz brennt ihnen. Da werden ihnen die Augen geöffnet. Nicht beim Wandern mit dem scheinbar Unbekannten geschieht das, auch nicht beim Zuhören, sondern über dem gebrochenen Brot.

Leicht spöttisch schauen wir gern auf die beiden Emmausjünger, diese anonymen Christen mit ihrem Heilsfrust. Schwer von Kapee sind sie. Wie soll man sich das wohl vorstellen, dass sie mit Jesus unterwegs sind, ohne ihn zu erkennen? Von ihm die Schrift ausgelegt zu bekommen und nichts zu verstehen – unglaublich!  Da ist es nachvollziehbar, dass der eine namenlos bleibt und der Name des andern auch weithin vergessen ist. Kleopas hieß er, sonst weiß man nichts von ihm. Aber ihnen wurden die Augen geöffnet, in Emmaus, dem unbekannten Ort. Denn Jesus brach mit ihnen das Brot.

Nun wären wir doch gern in ihrer Lage. Diese Klarheit hätten wir gern, geöffnete Augen und ein brennendes Herz. Auch das Beten wollen wir wieder lernen: „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden ...“. „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich“: Wie oft haben wir das gesungen! Wollen wir nicht wieder damit anfangen?

Gottesdienst mit dem Auferstandenen – das ist das Versprechen dieses Tages. Wo in seinem Namen das Brot gebrochen wird, da ist er gegenwärtig, ja da lädt er selber ein. Wo wir Brot und Wein miteinander teilen und sein Abendmahl halten, da feiern wir Gottesdienst mit dem Auferstandenen.

Wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, da ist er mitten unter ihnen. Von einer Trennung nach Konfessionen hat er dabei nichts gesagt. Wenigstens an seinem Tisch soll der Zwist der Konfessionen schweigen. Da ist seine Einladung wichtiger als alle Unterschiede des Amtsverständnisses. Wenn Christus selbst das Brot bricht, zählt nicht Luther oder der Papst. So jedenfalls verstehe ich die Emmausgeschichte.

Papst Johannes Paul II. hat am Gründonnerstag eine Enzyklika veröffentlicht, in der er sein persönliches Verhältnis zur Eucharistie, zur Feier des heiligen Abendmahls, eindringlich zur Sprache bringt. Die Erfahrung eines langen Christenlebens mit der Eucharistie tritt dem Leser eindrucksvoll entgegen. Aber die eindringliche Art, in der Johannes Paul II. seine eucharistische Frömmigkeit darlegt, verbindet sich mit schroffen Abgrenzungen. Sie sind nicht neu; aber sie werden offenbar mit Bedacht gerade jetzt vorgebracht. In Deutschland können wir gar nicht anders, als sie auch auf den Ökumenischen Kirchentag zu beziehen, der vor uns liegt. In kompromissloser Form verwehrt der Papst in seinem Schreiben katholischen Christen das Recht, an den Abendmahlsfeiern anderer christlicher Konfessionen teilzunehmen. Sie würden damit, so fürchtet er, die Wahrheit der Eucharistie verdunkeln. Der Kölner Kardinal Meisner hat sicherheitshalber hinzugefügt, damit sei auch dem, der nicht zur katholischen Kirche gehört, die Teilnahme an der katholischen Messe verwehrt.

Als evangelische Kirche können wir uns solchen Aussagen nicht anschließen. Wo im Namen Jesu Brot und Wein geteilt werden, lädt er selbst ein. Es ist dann genauso wie an dem Tisch in Emmaus, an dem Jesus für seine Jünger das Brot brach. Die evangelische Kirche jedenfalls kann gar nicht anders, als getaufte Christen anderer Konfession, die das wünschen, das Abendmahl mitfeiern zu lassen. Sie sagt das ohne jede Aufdringlichkeit; sie tut es, ohne die Gewissen derer zu bedrängen, die im Gehorsam gegen ihre eigene Kirche von der eucharistischen Gastfreundschaft, die ihnen gewährt wird, keinen Gebrauch machen möchten. Aber aus evangelischer Sich müssen wir daran festhalten: Nicht das kirchliche Amt, Christus selbst lädt zu dieser Feier ein. Deshalb ist jede Abendmahlsfeier in Wahrheit ökumenisch. Christus macht sie dazu; er lädt an seinen Tisch. Wenn gefragt wird, ob es beim Ökumenischen Kirchentag ökumenische Abendmahlsfeiern geben wird, dann heißt deshalb die Antwort: Ja – im Sinn dieser Einladung Jesu: Ja.

Wer mit dem Auferstandenen Gottesdienst feiert, der lässt die Dinge nicht so, wie sie sind. Er macht sich auf den Weg, wie die Jünger in Emmaus. So sehr brannte ihnen das Herz, dass sie gleich wieder nach Jerusalem aufmachten. Zurück wanderten sie viel schneller. Sie wollten anderen mitteilen, was sie erlebt hatten: Der Gekreuzigte lebt. Er bricht für uns das Brot. Amen.