Predigt im zentralen ökumenischen Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt

29. Mai 2003, Gendarmenmarkt Berlin

Voller Überschwang redet der Brief an die Epheser. Zu gewaltig ist, wovon er sprechen will. Christus ist bei Gott, seinem Vater im Himmel. Deshalb haben wir Gemeinschaft mit ihm. Weil Gott ihn zu sich erhöht hat, kann er bei uns sein bis an das Ende aller Tage.

Das ist die Botschaft des Himmelfahrtstages. Gottes Menschenfreundlichkeit findet mit der Himmelfahrt Christi kein Ende, sie wird vielmehr bekräftigt. Gott nimmt Christus zu sich auf, damit er uns nahe bleiben kann. Das bekennen wir, wo immer wir in der Welt Gottesdienst feiern – auch auf diesem herrlichen Platz in der Mitte Berlins. Christus ist in unserer Mitte; in ihm sind wir schon eins. Deshalb haben unsere Trennungen nicht das letzte Wort.  Das ist der wahre Grund der Ökumene. Christi Himmelfahrt, so verstanden, ist das ökumenische Grunddatum schlechthin.

Die Antwort darauf ist ganz und gar auf den Ton des Dankes gestimmt.  Das Lob Gottes verbindet die Christenheit mehr als alles andere. Das spüren wir auch auf diesem Kirchentag. Die Freude an Gott ist in ihrer ganzen Vielstimmigkeit zu hören. Dankbarkeit als Lebensform verdrängt unsere dunklen Erfahrungen nicht. Aber sie fängt mit der Freude darüber an, dass wir sind und dass Gott uns in Christus nahe ist. „Gott loben, das ist unser Amt.“ So sagt es ein altes Kirchenlied. „Nun dankt dem Herren, alle Welt“ – so beginnt es. Gemessen an dem gemeinsamen Amt der Christenheit zum Lob Gottes treten alle Gegensätze im Verständnis besonderer kirchlicher Ämter in den Hintergrund. Vor diesem gemeinsamen Amt der Christenheit treten unsere Unterschiede ins zweite Glied.

Das Loben ist das gemeinsame Amt der Christenheit, nicht das Jammern. Im Danken sind wir zuerst verbunden, nicht im Klagen. Die Botschaft des Himmelfahrtstages sagt auch nicht: Ihr müsst ein Segen werden. Sie sagt: Ihr seid es schon. Freilich nicht durch eure eigenen Leistungen, sondern durch euer Verbundensein mit Christus. Klar und unzweideutig heißt es im Brief an die Epheser: „Gott hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.“  Wenn diese Zusage uns Christen ergreift, wird das auch ausstrahlen in die Öffentlichkeit unseres Landes.

Dann kehren sich die Gewichte um: Das Loben wird wichtiger als das Jammern, das Danken erhält den Vorrang vor dem Klagen. Oft genug ist es umgekehrt. Das Klagen kommt uns leichter von den Lippen als das Danken, das Jammern schneller als das Loben.

Auch das Wort „Reform“ ist in dieser Klagestimmung ziemlich verkommen. Nicht mehr Neues zu gestalten, sondern Altes abzubauen, gilt heute schon als Reform. Unter der Überschrift „Reformpolitik“ wird nur noch erklärt, was nicht mehr geht. Es wird nicht mehr gesagt, was besser werden soll.

Die Zwänge, die dazu führen, sind groß. Wir haben lange über unsere Verhältnisse gelebt. In der Altersstruktur unserer Gesellschaft vollzieht sich ein dramatischer Umbruch. Und wir Älteren können es nicht einfach der nächsten Generation überlassen, dafür die Zeche zu bezahlen und für unsere Altersversorgung einzustehen. Das sind unangenehme Wahrheiten. Konsequenzen sind zu ziehen. Wer ihnen ausweicht, macht es nur schlimmer. Einschnitte bleiben nicht aus. Eine Haltung ist verbreitet, die solche Einschnitte bejaht, wenn sie andere treffen, sich ihnen aber verweigert, wenn man selbst betroffen ist. Ich finde das unaufrichtig. Besitzstandswahrung sichert die Zukunft nicht. Vielmehr müssen diejenigen, die wirkliche Besitzstände zu verteidigen haben, mehr beitragen als diejenigen, bei denen man von einem Besitzstand gar nicht reden kann. Gerechtigkeit ist ein Maßstab nicht nur für Zeiten des Überflusses; um Gerechtigkeit geht es erst recht, wenn es knapp und klamm wird.

Aber noch wichtiger ist mir: Wer Reformen zustande bringen will, braucht ein Bild von der Zukunft der Gesellschaft. Wer unsere Kirchen auf den Weg bringen will, braucht ein Bild von der gemeinsamen Zukunft der Kirchen. Der Ökumenische Kirchentag ist für mich eine großartige Möglichkeit, über solche Visionen für Kirche und Gesellschaft nachzudenken. Denn hier versammeln sich Menschen, die sich durch die Schwierigkeiten unserer Zeit die Zuversicht nicht austreiben lassen.

Wer aber auf die Zuversicht setzt, muss sagen, auf welche Zukunft er schaut. Da gibt es diejenigen, die sich selbst genug sind. Meine Zukunft ist, was ich selbst daraus mache. So sagen sie. Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Dann gibt es die, die reisen und nicht wissen wohin. Erich Kästner hat sie so beschrieben: „Wir sitzen alle im gleichen Zug / und reisen quer durch die Zeit. / Wir sehen hinaus. Wir sahen genug. / Wir fahren alle im gleichen Zug. / Und keiner weiß, wie weit.“ Schließlich gibt es Menschen, die sagen: Gottes Liebe in Christus – das ist die Zukunft der Welt. Für diese Zukunft finden und erfinden wir jetzt schon Gleichnisse: darin, wie wir uns verstehen und miteinander feiern, darin, wie wir miteinander streiten und uns versöhnen, darin, wie wir uns denen zuwenden, die unsere Hilfe brauchen.

Für diesen dritten Weg brauchen wir den Atem der Dankbarkeit. Wer ein Segen sein will, muss zunächst Segen annehmen. Dazu hilft uns der heutige Tag. Deshalb wird unsere Seele an diesem Morgen auf das Lob Gottes gestimmt. Wir bekennen: Christus ist beim Vater, deshalb bleibt er bei uns. Wir bekennen seine Gegenwart; sie vereint uns. Darüber können wir staunen – wie der Dichter Friedrich Hölderlin einmal staunte: „Wie der Zwist der Liebenden sind die Dissonanzen / der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit und / alles Getrennte findet sich wieder.“ Amen.