Predigt im Ostermontagsgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu Berlin

Wolfgang Huber

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

1.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Marie Luise Beck, hat vor wenigen Wochen auf einer Pressekonferenz ein so genanntes „Handbuch für Deutschland“ vorgestellt. Diese Publikation ist als eine Art Gebrauchsanweisung für Zuwanderer gedacht, eine Einführung für Menschen, die neu nach Deutschland kommen. Das Buch soll den neu in unserem Land lebenden Menschen eine Hilfe auf dem Weg zur Integration sein. Die Basiskenntnisse über unsere Kultur sollen vermittelt werden. Ich habe mir in den letzten Tagen die Passagen des Buches angeschaut, die über das Osterfest berichten. Dabei findet man folgende kurze und zutreffende Beschreibung: „Ostern ist mit Karfreitag, Ostersonntag und Ostermontag das höchste christliche religiöse Fest in der Bundesrepublik. Es ist das älteste Fest der Kirche und mit der Auferstehung Jesu am dritten Tag nach der Kreuzigung verbunden. Der Termin des Osterfestes ist jeweils der erste Sonntag nach dem Frühlingsvollmond.“

In den Erläuterungen heißt es weiter: „Das Osterfest ist zwar das wichtigste christliche Fest, die religiöse Bedeutung hat allerdings abgenommen. Rund um das Osterfest dominieren eher nichtchristliche Bräuche.“ Als Beispiele dafür werden Osterhasen und Ostereier angeführt. Dann folgt der Osterspaziergang aus Goethes Faust. Die Osterfeuer werden erwähnt und schließlich endet der Abschnitt mit einer Passage zu den Ostermärschen. „Die Ostermarsch-Bewegung ist eine Protest-Aktion der Friedensbewegung. In Deutschland fand der erste Ostermarsch 1960 statt. Pazifisten organisieren an den Osterfeiertagen Protestmärsche gegen Krieg und militärische Aufrüstung.“

Liebe Gemeinde, das grundsätzlich begrüßenswerte Projekt eines Handbuches für Einwanderer kann man als einen Seismographen dafür werten, wie stark die Kultur-, Geschichts- und Religionsvergessenheit derzeit in gewissen Kreisen fortgeschritten ist. Das Handbuch verkennt und verzeichnet die Prägekraft des christlichen Glaubens. Dazu drei Anmerkungen:

1. Die Wertung, dass die Bedeutung von Ostern nachgelassen habe, blendet die Tatsache aus, dass jedes Jahr entschieden mehr Menschen zu den Ostergottesdiensten gehen als zu den Ostermärschen. Übrigens nimmt der Besuch der Ostergottesdienste nach meiner Erfahrung von Jahr zu Jahr zu.

2. Dass Goethes „Osterspaziergang“ auf den Gang der zwei Jünger nach Emmaus zurückgeht, von dem das Lukasevangelium so eindrücklich berichtet, ist den Verfassern jenes Buchs offenbar ganz unbekannt. Es ist also kein „heidnischer Brauch“, wenn Menschen an Ostern die frische Luft und die freie Natur aufsuchen. Dass sie dabei dem Auferstandenen begegnen könnten, ist keineswegs Aberglaube.

3. Auch der christliche Bedeutungshintergrund des Osterhasen wird ignoriert. Der Hase konnte deshalb zum Symbol der Auferstehung Jesu werden, weil man ihm die Eigenschaft zuschrieb, nie zu schlafen: Er hat keine Augenlieder und schiebt deshalb zum Schlaf die Pupillen nach oben. Brote, in Gestalt eines Hasen gebacken, wurden als Hasenbrot auf österliche Reisen und Wallfahrten mitgenommen. In ihre Mitte setzte man vielfach ein Ei. So entstand die Legende vom Eier bringenden Osterhasen.

Liebe Gemeinde, mir leuchtet nicht ein, dass wir Traditionen für gleichgültig erklären, die uns auch heute und morgen tragen und unserem Leben Halt und Richtung geben können.

Ich will mich auch nicht damit abfinden, dass wir die Zukunft einfach preisgeben und erklären, von ihr sei sowieso nichts Gutes zu erwarten. Warum, so frage ich mich, werden in unserem Land so wenig Kinder geboren? Unter 190 Ländern dieser Erde steht Deutschland, was die Zahl der Geburten betrifft, derzeit auf Rang 185. Das braucht in meinen Augen nicht so zu bleiben. Kinder sind das  größte Geschenk unseres Lebens. Später sind sie ein Halt und Trost im Alter. Menschen, die für Kinder Verantwortung tragen, haben im Alter weit mehr soziale Kontakte als Alleinstehende. Ist das verwunderlich? Kinder werden mir mein Altenheim liebevoller aussuchen als ein amtlicher Vormund.

Sage mir, wie du mit deiner Herkunft umgehst – und ich sage dir, wie du es mit deiner Zukunft hältst. Warum sollten wir uns der eigenen religiösen kulturellen Wurzeln entledigen? Die tief hinabreichende Erinnerung gilt als das Geheimnis der Erlösung. Innovationen knüpfen immer an die Kraft der Überlieferung an und lassen sie unter neuen Bedingungen wirksam werden. Jeder Baum  bezieht seine Kräfte aus den tief in die Erde hinabreichenden Wurzeln. Ohne sie würde er beim ersten Sturm den Halt verlieren und umstürzen.

Warum sollten wir unseren christlichen Glauben ablegen? Manche Magazine legen uns das zu Ostern regelmäßig nahe. Die Geschichte Jesu klopfen sie auf äußere Spannungen ab, statt sie auf ihre innere Einheit hin zu befragen. Das Verhältnis der Menschen zur Kirche sehen sie unter dem Gesichtspunkt knapper Finanzen und geringer werdender Mitgliederzahlen, statt sie von ihrem geistlichen Reichtum und einem wachsenden Engagement her zu betrachten. Das fordert uns zu einer wachsenden Klarheit heraus. Die Stimmenvielfalt unserer Zeit erfordert ein klares, ein christliches, auch ein evangelisches Profil. Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.

2.

Über diesen Grund gibt auch der Predigtabschnitt für den Ostermontag Auskunft. Wir haben ihn vorhin als Epistellesung gehört. Stark und markant hält er fest: Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind (1. Kor.15, 13.14.19.20).

Liebe Gemeinde, in unserem Glaubensbekenntnis heißt es: Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben.

Christen suchen im Laufe des eigenen Lebens einen Zugang zum alles verändernden Osterereignis über das rationale Verstehen und stoßen damit an Grenzen. Unser Bedürfnis, das Geheimnis aufzulösen, wird nicht befriedigt. Nein, das Osterevangelium befriedigt nicht Bedürfnisse, es bleibt ein Geheimnis.  Doch das ist kein Grund, sich nach dem Kinderglauben früherer lichter Tage zurückzusehnen. Für das Geheimnis Gottes offen zu sein, ist uns in jedem Alter möglich. Das Zutrauen zu Gott ist der Schlüssel. Ob wir unser Vertrauen erneuern, danach werden wir gefragt. Paulus tut das in klaren, zugespitzten Worten. Nicht umsonst wird der Apostel häufig mit einem scharfen zweischneidigen Schwert in der einen und mit der Heiligen Schrift in der anderen Hand dargestellt.  Bei der Auferstehung geht es um alles oder nichts. Wenn der gekreuzigte Christus nicht aus dem Totenreich herausgerissen wäre, dann wäre alles umsonst. Und wenn wir nicht selbst auf die Überwindung des Todes hofften, dann wäre auch unser Bekenntnis zum auferstandenen Christus leer.

Dann wären Friedrich Nietzsches verzweifelte Fragen neu zu bedenken: Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen?

Weil unser Gott dem Herrn Jesus Christus alle Feinde unter die Füße gelegt hat, können wir voller Zuversicht leben. Gott hat den letzten Feind, den Tod, entmachtet und vernichtet.  Wir fallen am Ende unseres Lebens nicht in ein schwarzes Loch der Sinnlosigkeit. Wir gehen vielmehr in der Gewissheit auf unserem Lebensweg, dass wir nicht tiefer als in Gottes offene Arme fallen können.  Unsere Hoffnung auf Christus reicht über unser begrenztes Leben hinaus.

Ostern ist das Urereignis, aus dem sich unser Vertrauen zu Gott speist. Aus den Ostergeschehnissen ging letztlich unsere Kirche hervor. Wir fragen heute erneut: Was ist die Hauptaufgabe der Kirchen?

Vielleicht kann die Aufgabe so beschrieben werden: Die befreiende, frohe Osterbotschaft von der Auferweckung Jesu Christi zu verkünden. Und zwar so, dass sie bei den Menschen ankommt. Im Wort, im gottesdienstlichen Zeichen, in der Liebe zum Nächsten und in der politischen Aktion für Gerechtigkeit, für Versöhnung und für alle Gefährdeten in Gottes weiter Schöpfung. Das Evangelium weitergeben in der Seelsorge wie in der Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen, mit Erwachsenen und alt Gewordenen. Menschen begleiten an den Knotenpunkten des Lebens und ihnen Gottes Nähe vermitteln. Die Botschaft von Gottes Liebe erfahrbar machen, im Altenheim, im Gefängnis, in der Gemeinde, der City, den Medien. Unter den von Arbeit und Erwerb Ausgegrenzten der Gesellschaft ebenso wie unter den Gestressten und Überarbeiteten. Kurz: überall, wo Menschen sich ansprechen lassen oder bedürftig sind. Den ganzen Menschen im Blick haben, weil er von Gott wahrgenommen und angenommen wird. Das bedeutet: kompetent zuhören und sprechen, kompetent begleiten und trösten. Das ist eine große, eine wunderbare und lohnende Aufgabe. Zur Evangelischen Kirche in Deutschland gehören etwa 26 Millionen Protestanten. Das österliche Bekenntnis zum Auferstandenen bildet die Mitte und das Fundament des christlichen Glaubens aller dieser Menschen.

3.

Die kleine Mareike geht mit ihrem Vater zum Gottesdienst. Sie sind recht zeitig da und sitzen beieinander in der Kirchenbank. Auf dem Weg zur Kirche waren sie am Grab des Großvaters. Sie haben eine Kerze angezündet und einen Blumenstrauß erneuert. Mareike muss an die Beerdigung denken. Sie reißt ihren Vater aus seinen Gedanken: Wo ist Großvater nun?  Ist es nicht kalt für ihn im Grab? Und wird er nicht nass, wenn es regnet? Und sag, ist es nicht schrecklich eng im Grab und dunkel in der Erde? Der Vater nimmt Mareikes kleine Hand in die seine. Was soll er nur sagen? Der Tod seines Vaters kam auch für ihn überraschend und unerwartet. In diesem Moment beginnt der Gottesdienst. Mareikes Frage bleibt unbeantwortet. Nach der Kirche spielt sie mit den anderen Kindern. Erst am Abend beim Gute Nacht Sagen ergibt sich eine Möglichkeit, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Der Vater setzt sich ans Bett: Mareike, unsere Körper brauchen wir hier auf dieser Erde. Wenn wir wie Großvater sterben und hinübergehen in das andere Leben, brauchen wir unseren Körper nicht mehr. Der Körper ist wie ein Kleid. Ein Kleid ist wichtig, wenn es kalt ist und der Wind weht. Es macht warm und kann auch schön sein. Aber abends, wenn wir schlafen gehen, ziehen wir unser Kleid aus und hängen es über einen Stuhl. Großvater ist gestorben, er hat seinen Körper ausgezogen, wie ein Kleid. Das Kleid legt man in die Erde. Da warst du dabei, Mareike. Großvater hat von Gott ein neues Kleid bekommen, und das ist noch schöner als das, das Großvater hier getragen hat. Großvater liegt nicht in der kalten Erde. Er ist einen Weg gegangen, auf dem wir ihn nicht begleiten können. Aber wir gehen immer wieder zu seinem Grab und schmücken es mit Blumen, weil wir ihn lieb haben und an ihn denken. Ich danke Gott, dass wir Großvater nicht nur in ein Grab, sondern vor allem in Gottes Hände legen durften. Aber nun ist es schon spät, gute Nacht Mareike!

Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.