Dialogpredigt mit Bischof Phaswane in der St. Bartholomäus-Kirche zu Berlin

Wolfgang Huber

„Vergebt einander“: Das ist der Ton, den Bischof Phaswane aus dem Predigtabschnitt für den heutigen Sonntag aus dem Kolosserbrief aufgenommen hat. Ich will fortfahren und einen weiteren Akzent aufnehmen: „Zieht an die Liebe“. Das eine schaut zurück: Vergebt einander, was euch aus der Vergangenheit belastet. Denn Gott schenkt euch die Versöhnung. Christi Kreuz ist dafür das Zeichen. Das andere schaut nach vorn: Zieht an die Liebe. Sie ist die Kraft der Zukunft. Und dafür dieses Bild: Zieht euch richtig an.

Meistens bedenken wir gut, was wir anziehen. Manchmal wechseln wir sogar die Kleidung mehrfach am Tag. Gestern war ich am Vormittag zu einer großen Gedenkfeier auf einem Friedhof, auf dem Opfer von Krieg und Nachkriegszeit bestattet sind. Nachmittags war ich Zuschauer bei einem Fußballspiel im Olympiastadion. Abends feierten wir ein Fest unserer Diakonie. Jeweils zog ich mich entsprechend an: der ernste Bischof am Morgen, der Fußballfan am Nachmittag, der beschwingte Gast – jeweils anders gekleidet.

Aber es gibt ein Kleid, das wechseln wir nicht. Es gibt eine Bestimmung unseres Lebens, die sich nicht ändert: Wir sind die Auserwählten Gottes. Gott hat mit uns etwas Besonderes vor. Er will, dass wir Botschafter seiner Liebe sind. Diese Liebe müssen wir dann aber auch sichtbar tragen. Sie hat größere Bedeutung als unsere Unterschiede. Wir unterscheiden uns durch Sprache und Kultur, durch Hautfarbe und Wohlstand. Wir unterscheiden uns durch unsere Lieder und Gebete. Aber als Auserwählte Gottes können wir in die Haut des andern schlüpfen, in seinen Schuhen gehen und seine Lieder singen. Denn wir gehören alle zu dem einen Leib Christi. Das ist das große, einmalige Geschenk unseres Glaubens.

Was wir aus dieser Liebe heraus tun, bleibt zweideutig, unvollkommen, kritikbedürftig. An der Geschichte der Mission und an unseren kirchlichen Beziehungen haben wir uns diese Zweideutigkeit klar gemacht und unsere Schuld bekannt. Aber zugleich dürfen wir Gott loben, dass Menschen diese Botschaft gehört haben und auch heute und morgen hören: „Zieht an die Liebe.“ Ich werde nie vergessen, wie Nelson Mandela bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Harare 1998 auftrat und bekannte, was er persönlich und mit ihm viele andere in Südafrika den Missionaren und ihren Missionsschulen zu verdanken hatte: den Mut zum aufrechten Gang, die Bereitschaft zum Widerstand. „Zieht an die Liebe.“

In Südafrika haben um dieser Liebe willen unzählige Menschen an der Mauer der Apartheid zwischen Schwarzen und Weißen gerüttelt. In Deutschland und in Europa sind Menschen aufgestanden und haben der Unfreiheit wie der Teilung des Kontinents eine Absage erteilt. In diesen Tagen wird uns wieder sehr deutlich bewusst, was es bedeutet, dass der Eiserne Vorhang zwischen Ost- und Westdeutschen im Jahr 1989 eingerissen werden konnte.  Es geht uns wie euch in Südafrika: Die Mauer steht nicht mehr, aber ihre Folgen spüren wir noch deutlich. Doch die Arbeit der Liebe geht weiter. In Europa wollen wir den neu gebildeten Raum der Freiheit und des Friedens als gute Gabe Gottes annehmen und mit Leben zu füllen. In Südafrika soll die Regenbogennation Gestalt annehmen – zehn Jahre nach den ersten freien Wahlen und dem Amtsantritt von Nelson Mandela.

Ich bin davon überzeugt, dass uns der Geist Gottes neu zusammengeführt hat. Nicht nur durch unsere Geschichte gehören wir zusammen. Nein, durch die Liebe gehören wir zusammen. Wir können gar nicht allein bleiben, Christen in Deutschland und in Südafrika, weiße oder schwarze Christen voneinander getrennt. Mit der Kleiderordnung der Auserwählten Gottes wäre das unvereinbar. Wir sind dabei, die neue Gemeinschaft zu gestalten. Brückenbauer sind gefragt – in Südafrika und in Europa. Wir brauchen keine Spielregeln für ein frommes Getto. Wir brauchen Gottes Geist, der uns erneuert und in Christus zusammenführt. Wenn wir heute und morgen unsere Glaubenserfahrungen vor Gott teilen, dann wird Gottes Geist uns erneuern und wie einst die Wolken- und Feuersäule vor uns herziehen. „Zieht an die Liebe.“ Amen.