Predigt im Gottesdienst des 12. Ev. Gemeindetages für Ausländer

Wolfgang Huber

Es gilt das gesprochene Wort.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

Liebe Gemeinde,

herzlich willkommen zum Aussiedlertag hier in Neuruppin. Jahr für Jahr kommen wir wieder zusammen zu diesem großen Gemeindetag. Jahr für Jahr begegnen wir vertrauten Freunden und Verwandten oder bisher Unbekannten. Viele von Ihnen sind zum wiederholten Mal dabei. Andere erleben die Gemeinschaft dieses Tages zum ersten Mal. Für die einen wie für die anderen soll es ein Tag der Stärkung und der Ermutigung sein. Uns alle soll die Zusage begleiten, die unseren Glauben und unser Leben trägt: Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Wir sind unterwegs. Aussiedler wissen das am besten. Auch für unseren Aussiedlertag gilt das. Jahr für Jahr treffen wir uns an einem andern Ort in unserer großen Landeskirche. In Cottbus waren wir schon und in Potsdam, in Brandenburg und natürlich in Berlin. In diesem Jahr haben wir uns in Neuruppin versammelt. In jedem Jahr begegnen wir einem andern Teil der neuen Heimat; so kommt Jahr für Jahr etwas an Vertrautheit hinzu.

Nun also Neuruppin, eine Stadt mit einer besonderen Geschichte. Versetzen Sie sich für einen Augenblick zwei Jahrhunderte zurück. Neuruppin war damals, im 18. Jahrhundert eine kleine Garnisonstadt. Einer musste das Kommando über die Garnison innehaben. Für einen künftigen Herrscher war das vielleicht ein gutes Übungsfeld, vielleicht aber auch ein Verbannungsort. Der damalige preußische König, Friedrich Wilhelm I., jedenfalls wählte diesen Ort für den Kronprinzen, seinen Sohn Friedrich, der später als Friedrich der Große berühmt werden sollte, am Ende seines Lebens dann schließlich auch der „alte Fritz“ genannt. In seiner Neuruppiner Zeit aber war er noch jung, kaum dreißigjährig. Über acht Jahre prägte Friedrich die Geschicke dieser Stadt, bevor er dann im Jahre 1740 König von Preußen wurde.

Sein Vater, König Friedrich Wilhelm I., auch der „Soldatenkönig“ genannt, war ein tiefgläubiger Christ. Er ließ zahlreiche Kirchen erbauen und bemühte sich darum, dass seinen Untertanen das Evangelium nahe kam. Zwischen dem Vater und dem Sohn  allerdings herrschte tiefe Zwietracht. Der Vater war von seinem Sohn enttäuscht. Schon als Junge war er zierlich, weich, an Büchern und an der Musik interessiert. Da half keine noch so harte Erziehung. Immer wieder kam es zu schweren Auseinandersetzungen, regelmäßig prügelte der Vater den Sohn. In der Seele des Sohnes aber setzte sich eine tiefe Abneigung gegen den Vater fest. 

Einen traurigen Höhepunkt erreichte dieser Familienstreit, als der Vater den Sohn zur Heirat zwang. Nicht Zuneigung und Liebe, sondern politische Interessen bestimmten die Wahl der Ehefrau Elisabeth-Christine. Aus Verzweiflung versuchte der achtzehnjährige Kronprinz zu fliehen.  Die Flucht misslang und Friedrich wurde gefasst. Der wütende Vater forderte für Friedrich, den eigenen Sohn, und für seinen Fluchthelfer Hans Hermann von Katte die Todesstrafe wegen Hochverrats. Das zuständige Militärgericht lehnte ab. Doch der König ließ den Sohn seinen eisernen Willen spüren. Friedrich musste auf der Festung Küstrin zusehen, wie sein Freund Hans Hermann von Katte vor seinen Augen hingerichtet wurde.

An diesen Friedrich also muss ich denken, hier in Neuruppin, wo er acht Jahre seines Lebens verbrachte, ja verbringen musste. An dieses Drama zwischen Vater und Sohn muss ich denken, wenn ich höre, wie der 1. Johannesbrief von der Liebe spricht, von der Liebe Gottes ebenso wie von der Liebe unter uns Menschen:

Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist; so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.

Seit der Hinrichtung seines Freundes war der junge Friedrich dem Vater gegenüber, äußerlich betrachtet, angepasst und gehorsam. Insgeheim aber sehnte er den Tod seines Vaters herbei. Doch erst zehn Jahre später, im Jahr 1740, wurde er König. Bald schon ließ er sich ein neues Schloss bauen, das berühmte Schloss Sanssouci. „Ohne Sorge“ wollte er sein, wie der Name dieses Schlosses sagte. Die Qualen seiner Jugend wollte er hinter sich lassen.

Es fällt auf, liebe Gemeinde, dass in der reizvoll gelegenen Potsdamer Sommerresidenz keine noch so kleine und bescheidene Schlosskapelle zu finden ist. Meine Erklärung ist einfach, wenn auch bedrückend: Wer unter einem tyrannischen Vater leidet wie Friedrich, der wird, weil er diesen Vater verabscheut, auch dessen Glauben ablehnen. Wir Väter haben eine besondere Verantwortung für den Glauben unserer Kinder – nicht nur die Mütter.

Im 1. Johannesbrief heißt es: Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Ich füge hinzu: Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Sohn, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder oder seinen Sohn nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder und seinen Sohn lieben soll.

Liebe Gemeinde, das sollen Sie alle von diesem 12. Aussiedlertag mitnehmen: An uns liegt es, dass unseren Kindern Gottes Liebe begegnet. „Nehmt einander an“ – so rufen wir es uns Jahr für Jahr zu. Begleitet den Weg eurer Kinder und eurer Enkel! Sei ihnen zugetan und zugewandt. Und ihr Jungen: Achtet die Eltern und Großeltern! Nehmt auf, was sie euch an Erfahrung anvertrauen, auch die Erfahrung im Glauben!

Sie alle haben lange Wege hinter sich. Vertrautes haben Sie verlassen, einen  Neuanfang haben Sie gewagt. Das Vertrauen zu Gott, zu dem wir in unserer Not rufen können, hat sie über lange Jahre getröstet und begleitet. Gott hat uns zugesagt, dass er unser guter Hirte sein will. Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Liebe Gemeinde, hier in Neuruppin, in der Stadt des jungen Friedrich, rückt uns die Frage nahe, wie wir unseren Kindern weitergeben, was uns selbst wichtig ist. In der Mitte steht die Aufgabe, den eigenen Kindern das Vertrauen zu Gott nahe zu bringen. Manchmal ist das schwer. Aber es ist die schönste Aufgabe, die es gibt. Hier in Neuruppin sehen wir deutlich: Mit Zwang und Gewalt, mir Furcht und Strafe lässt sich niemand für den barmherzigen Gott gewinnen. Denn zur Freiheit sind wir berufen. Gott ist die Liebe; in Liebe sollen wir weitergeben, was uns mit ihm verbindet. In die Freiheit hat Gott sein Volk gerufen und aus der Knechtschaft Ägyptens herausgeführt. Zum aufrechten Gang hat er uns ermutigt auf unserem langen Weg – wie Sie auf dem langen Weg aus Ihrer alten in die neue Heimat. Wer solche Erfahrungen macht, der lernt die Haltung des Glaubens. Sie sagt: Beuge dich vor Gott, sonst vor niemanden auf dieser Welt, aber beuge dich für deinen Nächsten.

Ja, Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Lasst uns lieben, denn Gott hat uns zuerst geliebt. Amen