Predigt im Festgottesdienst in der Damsdorfer Kirche

Wolfgang Huber

Gnade sei mit Euch und Frieden von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde!

„Geheiligt werde dein Name.“ So heißt die erste Bitte des Vaterunser. Es ist das wichtigste Gebet der Christenheit. Wir verdanken es Christus selbst verdanken; von ihm haben es seine Jünger übernommen. Aber gleich die erste Bitte klingt immer wieder befremdlich. „Geheiligt werde dein Name.“ Immer wieder haben Menschen über den Sinn dieser Bitte nachgedacht. Doch an diesem besonderen Tag gibt es zumindest eine Antwort, die uns leicht fällt. Wir brauchen nur in diesem Kirchenraum um uns zu schauen und die Antwort legt sich nahe: Wir heiligen den Namen Gottes, wenn wir Raum dafür schaffen, dass er gehört und wahrgenommen werden kann. Wir heiligen Gottes Namen, wenn wir dem Gottesdienst geben. Die Art, in der wir mit Kirchengebäuden umgehen, ist eine Form, in der wir versuchen, den Namen Gottes zu heiligen.

„Geheiligt werde dein Name.“ Diese Bitte ist also der tiefste Grund für das, was wir heute feiern: einen wichtigen Schritt in der Neugestaltung der Damsdorfer Kirche. Heute ist ein besonderer Tag für ihre Kirchengemeinde und für den Ort Damsdorf. Unsere ganze Landeskirche feiert diesen Tag gern mit Ihnen zusammen. „Wo ein Glied sich freut, da freuen sich alle Glieder mit.“ Einen herzlichen Glückwunsch sage ich Ihnen zu dem, was Sie hier gewagt und gestaltet haben.

Sie haben Mut zur Zukunft und Mut zur modernen Kunst bewiesen. Der Kirchenraum erstrahlt in neuem Glanz. Heute wird nun mit dem Gottesdienst der versammelten Gemeinde der neue Altar in den Gebrauch genommen. Das Altarkruzifix von Prof. Wieland Förster und das Triptychon von Peter Schubert zeigen uns, dass eine Kirche alles andere als ein Museum ist. Ihr Gotteshaus ist vielmehr eine Versammlungsstätte der lebendigen Gemeinde, die im gemeinsamen Dialog immer wieder neu nach dem Ruf des Evangeliums fragt. Diese Kirche ist ein einladender Ort für alle suchenden und fragenden Menschen, für alle, die nach einem Halt für ihr Leben Ausschau halten, die inmitten allen Zweifels neu nach Glauben suchen, die inmitten aller Ungerechtigkeit einen Ort der Anerkennung und der Gerechtigkeit brauchen, für alle, die das neu buchstabieren wollen: „Geheiligt werde dein Name.“

Als Jesus das Herrengebet, das Vater Unser formulierte, knüpfte er an Gebete seiner Tradition, der jüdischen Tradition an. Ganz besonders galt das gleich von der ersten Bitte. Denn in der jüdischen Tradition ist die Formulierung von der Heiligung des Namens bekannt und üblich. Auf einen berühmten Schriftgelehrten namens Rabbi Akiba geht folgende Erzählung zurück. Er wurde von den Römern während des zweiten jüdischen Aufstands im Jahre 135 nach Christus gefoltert und hingerichtet. Auf dem brennenden Scheiterhaufen betete er das sogenannte Schema Israel: Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Das Beten des Schema Israel gilt im Judentum als Kidusch Ha Schem – zu Deutsch „Heiligung des Namens“. Rabbi Akiba, so wird erzählt, erlitt das Martyrium mit den Worten des Schema auf den Lippen. Seit dieser Zeit erinnern sich die Juden an Rabbi Akiba. Wenn Sie von Kidusch Ha Schem reden, dann wissen Sie, dass die Heiligung des Namens bis zu dieser extremen Grenze gehen kann, bis zum Martyrium.

„Geheiligt werde dein Name.“ Das Beispiel des Rabbi Akiba weist uns auf eine zweite wichtige Bedeutung dieser Bitte hin. Wir heiligen Gottes Namen nicht nur an besonderen Orten wie dieser Kirche, indem wir Gottesdienst feiern und Gott die Ehre geben. Wir heiligen Gottes Namen ebenso im Alltag unseres Lebens, dort, wo unser Zeugnis gefordert ist, dort, wo sich unser Glaube bewähren muss – und sei es im äußersten Einsatz unseres Lebens, mit einem Lob Gottes auf den Lippen: Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Der Gottesdienst am Sonntag und der alltägliche Einsatz für den Nächsten gehören zusammen. Auf die eine wie auf die andere Weise wird Gottes Name geheiligt.

An die Herkunft dieser Bitte aus dem Gebet des Volkes Israel erinnern wir uns an einem besonderen Tag. „Israel-Sonntag“ wird der heutige Sonntag genannt. Seit alters wird an diesem Sonntag an die Zerstörung des Tempels in Jerusalem gedacht. Sie geschah im Jahr 70 nach Christi Geburt, ungefähr eine Generation nach dem Kreuzestod und der Auferweckung des Jesus von Nazareth. Viele Generationen von Christen sahen in dieser Zerstörung des Tempels eine Strafe dafür, dass die Juden sich gegen Christus entschieden hätten. Dadurch sei der Bund Gottes mit seinem Volk aufgekündigt worden. Daran wurde am Israelsonntag gedacht. Noch aus dem gerade vergangenen Jahrhundert gibt es Berichte aus dem Bereich unserer Kirche, die den besonderen Charakter der Gottesdienste am Israelsonntag unterstreichen. Schwarz gekleidet kamen die Menschen in die Kirche. Schwarz bestimmte als liturgische Farbe auch den Kirchenraum, wie am Buß- und Bettag oder am Totensonntag. Dass Israel sich dem Erbarmen Gottes verweigert und damit die Gnade Gottes verwirkt hat, war das Thema dieses Sonntags.

Die Christen und die Kirchen sind durch diese unheilvolle lange Tradition der Entfremdung und Feindschaft gegenüber den Juden hineinverflochten in die Vorgeschichte und Geschichte der Judenvernichtung. Diese Tradition hat dazu beigetragen, den Verbrechen an den Juden den Boden zu bereiten. Der Mord am europäischen Judentum, der vom nationalsozialistischen Regime ausging, war eine unvorstellbare Gewalttat, der gegenüber sich die Zerstörung des Tempels in Jerusalem ausnimmt wie eine Miniatur. Das unermessliche Leid unzähliger Menschen gebietet uns, dass wir diese schmerzhafte Einsicht anerkennen. Für uns Christen schwingt diese dramatische Erfahrung unserer jüdischen Geschwister mit, wenn wir beten: „Geheiligt werde dein Name“. Es gehört zu unserer Verpflichtung, dafür einzutreten, dass den Mitmenschen jüdischen Glaubens kein Leid angetan wird.

Das hat Folgen für das Verständnis unseres eigenen Glaubens, für unsere eigene Glaubenshaltung. Hatten einige Theologen unter Hitler versucht, nachzuweisen, dass Jesus von Nazareth eigentlich ein Arier gewesen sei, so müssen wir uns jetzt fragen, wie wir unseren Glauben leben können, ohne das Judentum als schwarzen Hintergrund für die lichte und helle Christusgestalt zu missbrauchen. Die Konsequenz ist eine tief greifende Korrektur in Theologie und kirchlicher Haltung.

Zu Recht ist der Israelsonntag in vielen Gemeinden nicht nur ein Gedenktag an die Zerstörung Jerusalems. Er ist vielmehr ein Tag der Umkehr, an dem die christlichen Gemeinden ihrer Mitschuld gedenken und sich auf das lange verschüttete Evangelium besinnen, das die unverbrüchliche Liebe Gottes zu seinem Volk bezeugt.

Christliche Gemeinden beteten auch zwischen 1933 und1945 „Geheiligt werden dein Name“. Gleichzeitig unterstützten viele von ihnen direkt oder indirekt die nationalsozialistische Rassepolitik. Seit 1933 stellten sie häufig so genannte Ariernachweise aus und überließen teilweise den Behörden widerstandslos die Kirchenbücher als die wichtigste Datenquelle für die rassistische Bevölkerungspolitik. Viele Pfarrer hielten es für falsch, so genannte „Volljuden“ zu taufen. Dass diese Pfarrer in der Konsequenz ihrer Auffassung zugleich Jesus aus Nazareth aus der Kirche als „Volljuden“ hätten ausgrenzen müssen, kam ihnen offensichtlich nicht einmal in den Sinn.

Heute steht es allen Interessierten klar vor Augen: Jesus aus Nazareth lebte im Glauben und aus der Geschichte seines jüdischen Volkes. Er war Sohn einer jüdischen Mutter. Am achten Tag nach seiner Geburt wurde er beschnitten und damit in den Bund Gottes mit Abraham und seinen Nachkommen aufgenommen. Er bewahrte die Tradition seines Volkes, indem er etwa an Wallfahrtsfesten nach Jerusalem pilgerte. Am Sabbat besuchte er die Synagoge. Dort oder im Jerusalemer Tempel diskutierte er in guter jüdischer Tradition über die Tora, Speisegebote, Reinheitsvorschriften, Ehescheidung oder Totenauferstehung. Selbstverständlich war die hebräische Bibel – Israels heilige Schrift – seine Bibel, in deren Begrifflichkeit und Vorstellungen er dachte.

Der Apostel Paulus, auch er jüdischer Herkunft, hat in eindrücklicher Weise um das Verhältnis von Israel und dem Gottesvolk aus vielen Völkern gerungen. Ausdrücklich bekennt er: Sie sind „Israeliten…, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen…“ Die alte kirchliche Tradition, die in Israel nur mehr eine Größe der Vergangenheit sah, lässt sich also biblisch nicht rechtfertigen. Im Anschluss an die berühmten Kapitel 9 bis 11 des Römerbriefes hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass alle Juden, auch die nicht an Christus glaubenden, in der Kontinuität des Bundes und der Verheißung Gottes stehen.

„Geheiligt werde dein Name“. Viele Fragen steigen in uns auf, wenn wir diese Bitte auf den Lippen haben, gerade am heutigen Tag. Bei Jesus Christus selbst finden wir eine Antwort auf diese Fragen. Seine Treue zu dem Gott Israels birgt auch für uns die Verheißung eines Neubeginns in sich. Jesus hat das Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt; der Arzt Lukas hat es aufgeschrieben. Zwei Brüder leben auf dem Hof des Vaters. Ihnen gehört alles. Der eine lässt sich das gesamte Erbe auszahlen:  die Kindschaft, die Herrlichkeit, die Bundesschlüsse, das Gesetz, den Gottesdienst, das Alte Testament und die Verheißungen. Selbstbewusst und triumphierend zieht er hinaus in die Geschichte. Er verspielt alles und wagt es nicht mehr, sein Antlitz zu erheben. Er macht sich schuldig. In der Fremde erkennt er seine furchtbaren Taten. In seiner Not kehrt er voller Reue um und geht zurück zu seinem Vater.

Liebe Gemeinde, dieses Gleichnis gilt uns. Im Vertrauen auf Gott dürfen wir umkehren und auf Gottes Barmherzigkeit hoffen. „Geheiligt werde dein Name“. Das ist eine Bitte an Gott selbst. Gott, schaffe Du selbst Anerkennung für deinen Namen. Schaffe du Raum für deine Ehre. Hilf uns zur Umkehr.

Möge die Damsdorfer Kirche ein Ort der Umkehr bleiben und immer wieder werden.

Amen