Grußwort zum Auftakt der Initiative „Die kleinste Kirche der Welt“ im Berliner Dom

Wolfgang Huber

Lieber Bruder Parzany,

verehrte Gäste,

vor dem Berliner Dom, der größten Kirche unserer Stadt, geben Sie den Startschuss zu einer Aktion, die Sie „die kleinste Kirche der Welt“ genannt haben. In rund siebzig Städten und Regionen werden in den kommenden 10 Monaten die orangenen Smart-Autos unterwegs sein. Sie werden pilotiert von Christen, die sich - im Wortsinne - vom christlichen Glauben bewegen lassen, und die keine Scheu davor haben, über ihn ins Gespräch verwickelt zu werden.

Sie fahren hinein in eine Situation, in der neu nach dem eigenen Leben gefragt wird.  Unsere Zeit hält eine schier unüberblickbare Zahl von Möglichkeiten der Lebensgestaltung bereit. Viele Menschen sind durch diese Vielfalt verwirrt und werden zugleich von der Angst getrieben, sie könnten etwas versäumen. Mit der Unübersichtlichkeit der Lebensmöglichkeiten wächst zugleich die Sehnsucht nach Orientierung. Besonders deutlich haben das wieder die letzten Wochen zum Ausdruck gebracht: die Bilder aus Rom sprechen da eine deutliche Sprache. Ebenso bewegend war die Suche nach einem Maßstab, an dem ein angemessenes Erinnern und Gedenken des Kriegsendes möglich ist. Die Sehnsucht nach Tröstlichem und Bleibendem ist spürbar. Gefragt wird danach, was für unser Leben verbindlich ist.

Gerade haben wir das Pfingstfest gefeiert. Gottes Heiliger Geist gibt Orientierung. Er zeigt die Richtung für ein Leben nach Gottes Willen. Gerechtigkeit ist das Gestaltungsprinzip Gottes in seiner Beziehung zu den Menschen. Nach Gottes Willen prägt sie auch das Zusammenleben der Menschen. Denn Gottes Gerechtigkeit ist lebensschaffende Macht. Gerechtigkeit dient dem Leben, weil sie auf das Recht des anderen aufmerksam macht und damit der Vergrößerung oder gar der Verabsolutierung des eigenen Vorteils wehrt. Wenn diese gute Nachricht von siebzig Smarts an siebzig Orte getragen wird – das wäre die beste Verwendung dieser Autos, von der ich bisher gehört habe!

Es sind viele Ehrenamtliche, die diese Aktion ermöglichen. Ihnen gilt mein herzlicher Gruß und mein Gebet. Sie geben durch ihr Engagement bei dieser Aktion dem Fragen nach Gott einen Anlaufpunkt, der über die Kirchengemeinden vor Ort hinausgeht. Mögen Menschen, denen die Schwelle zur Kirchengemeinde zu hoch erscheint, in dieser „kleinsten Kirche der Welt“ jemanden finden, mit dem sie sich nach Gott fragen und ihn selbst finden können.

Diese Aktion hat die Möglichkeit, ganz nah auch an Kirchenferne heranzukommen und auf die großen Fragen zu hören, die sich oftmals hinter den kleinen Nöten des Alltags verbergen. Dafür ist schon der Titel der Aktion Programm: „Die kleinste Kirche der Welt“ verstehe ich als Symbol dafür, dass Gott für das Kleine Partei ergreift. Für das, was allzu oft übersehen wird oder untergeht, weil anderes angeblich wichtiger ist.

Gottes Option gilt dem Kleinen, Schwachen, Armen: Gott erwählt Israel als „das kleinste der Völker“. Der Messias, der Erlöser der Menschen, kommt aus Bethlehem, das die „kleinste Stadt in Juda“ genannt wird. Die Kleinen werden zu Boten des Evangeliums: der Zöllner Zachäus, der auf einen Baum steigen muss, um Jesus zu sehen, oder der Apostel Paulus, der als klein und untersetzt geschildert wird, sind Beispiele dafür. Jesus vergleicht das Himmelreich absichtlich mit einem Senfkorn. Es ist - so sagt er - „zwar das kleinste unter den Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, so dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen.“ Und als seine Jünger die Kleinsten, die Kinder nämlich, wegdrängen wollen, ergreift Jesus entschieden Partei für sie, lässt sie zu sich und segnet sie.

Das Kleine trägt Gottes Verheißung in sich. Daraus erklärt sich die Parteinahme für die, die wenig oder gar nichts haben, für die Armen und Kranken. Daraus auch erklärt sich die Parteinahme für Familien und für Kinder.

„Die kleinste Kirche der Welt“ startet nur wenige Tage vor der größten Versammlung, die der Protestantismus in Deutschland kennt: dem Deutschen Evangelischen Kirchentag. Sein Motto – in der nächsten Woche in Hannover – heißt: „Wenn dein Kind dich morgen fragt“. Die Frage der Kleinen zeigt dem Glauben den Weg. Nur so gibt es eine Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation. Die Möglichkeiten, die wir dazu haben, sollen wir nutzen. Feiertage gehören dazu. Deswegen halte ich die neue Attacke auf einen christlichen Feiertag - diesesmal war es der Pfingstmontag - für instinktlos und falsch. Kirchentage gehören dazu. Deshalb freue ich mich auf die Tage in Hannover. Die kleinste Kirche der Welt gehört dazu. Den kleinen Autos wünsche ich großen Erfolg und Gottes Segen.