Predigt im Berliner Dom, Die königliche Hochzeit (Matthäus 22, 1-14)

Wolfgang Huber

Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach:

Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete.

Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden; doch sie wollten nicht kommen.

Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet, und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.

Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert. Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet.

Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll.

Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte.

Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein.

Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.


Das Fest findet statt!  So heißt die frohe Botschaft dieses Gleichnisses. Sie erschließt sich nicht sogleich. Sie ist in diesem Gleichnis verborgen. Das Gleichnis trägt ein Geheimnis in sich.

Ein Geheimnis, sage ich, nicht ein Rätsel. Ein Rätsel lässt sich durch Nachdenken und Klugheit auflösen; ein Geheimnis bleibt. Ein Rätsel hat geradezu seinen Sinn darin, dass es seinen Charakter einbüßt. Für jeden, der die Lösung kennt, ist es kein Rätsel mehr. Klar und ohne Fragezeichen liegt es vor ihm.  Das Geheimnis aber bleibt ein Geheimnis. Sein Charakter verstärkt sich sogar, je intensiver es durchdrungen wird.

Mit dem Geheimnis des menschlichen Lebens ist das beispielsweise so, mit dem Leben jeder einzelnen Person wie mit dem menschlichen Leben überhaupt. Wir kennen einen bestimmten Menschen nicht schon dann, wenn wir Zugang zu seiner genetischen Ausstattung haben. Und auch was den Menschen überhaupt zum Menschen macht, werden wir selbst dann nicht ein für allemal aufgeklärt haben, wenn seine DNA entschlüsselt ist. Es bleibt ein Geheimnis, warum Gott ein bestimmtes Lebewesen, uns Menschen, dazu geschaffen hat, von ihm angeredet zu werden und ihm zu antworten: Gottes Ebenbild. Und es bleibt ebenso ein Geheimnis, warum kein Mensch dem andern gleicht, jeder ein unerschöpfliches, einzigartiges Individuum.

Doch wer daraus schließt, dass es sich gar nicht lohnt, einem Geheimnis überhaupt nachzugehen, geht in die Irre. Wer nur wichtig nimmt, was er leicht auflösen kann, geht dem Leben nicht auf den Grund. Wer nur Rätsel interessant findet, Geheimnisse aber nicht, bleibt an der Oberfläche. Ihm ist es egal, wie es um ihn selber steht und um das Geheimnis des eigenen Lebens. Er interessiert sich nicht für den anderen Menschen, der immer ein Geheimnis bleibt. Er verstellt sich den Zugang zur Kunst, die immer etwas Geheimnisvolles in sich trägt. Und er wendet sich vom Glauben ab, von dem wir bekennen: „Groß ist das Geheimnis des Glaubens.“

Deshalb nehmen wir uns heute Zeit für das Geheimnis des Gleichnisses, das Jesus den Hohenpriestern und Pharisäern erzählt.

„Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden.“

Damit fängt es an. Der König lädt zum Hochzeitsfest für den eigenen Sohn. Weil er es will, soll ein Fest gefeiert werden.

Mit dieser Aktivität des Königs vergleicht Jesus das Himmelreich. Einladend ist es und unbedingt gültig. Gottes Reich ist keine bloße Fiktion, die einem erschöpften und hungrigen Christen wie eine Möhre vor der Nase hergetragen wird, damit er fröhlicher und angeregter in die Zukunft schaut. Nein, zuversichtlich können wir sein, weil wir wissen: Das Fest findet statt! Gottes Reich kommt. Die Einladung ist ausgesprochen.

Ein Fest, zu dem eingeladen wird, ist noch nicht gewesen, es ist noch nicht vorbei. Aber es kann die Gegenwart schon vibrieren lassen. Die Freude an diesem Fest kann diejenigen schon ergreifen, die bereit sind zu kommen.

Aber es kommt keiner. Die königliche Einladung erreicht die Adressaten, „doch sie wollten nicht kommen.“

Mancher Pfarrer hat sich schon mit diesem Satz getröstet. Wenn selbst die königliche Einladung ins Leere läuft, muss man sich auch damit abfinden, dass manche kirchliche Einladung kein Echo findet. Doch so kurz und so schlicht hier die Absage der Eingeladenen notiert ist, so achtsam und vorsichtig sollten wir mit ihr umgehen. Von einem billigen Trost hat sie nämlich nichts, rein gar nichts.

 „... sie wollten nicht kommen ...“ Natürlich gibt es die Desinteressierten – überall im Leben und so auch in Fragen des Glaubens. Aber darauf sollten wir uns in der Kirche jetzt nicht mehr herausreden, wenn wir über leere Kirchen meinen klagen zu müssen. Denn offenkundig gibt es unter uns eine Wiederkehr des religiösen Gespürs, eine Rückkehr der Frage nach Gott in die Mitte unserer Gesellschaft.

Nur ein Beispiel: Führungskräfte großer Konzerne bieten ihren Mitarbeitern gezielt ehrenamtliches Engagement in sozialen und diakonischen Einrichtungen an – und sei es nur für einen Tag. So haben beispielsweise vor wenigen Wochen Mitarbeiter eines Spandauer Pharmaunternehmens im Evangelischen Johannesstift in Spandau einen Tag lang das Leben und die Arbeit behinderter Menschen geteilt: vom Sortieren von Kleiderspenden über die Pflege eines Therapiegartens bis zum Reparieren von Fahrrädern und Rollstühlen.

Oder ich denke an den Kirchentag vor einer Woche in Hannover: viele Menschen sammelten sich um die Frage nach Gott und stellten sich der Verantwortung für die nächste Generation.

Viele Menschen suchen heute neu nach Sinn. Sie wollen dem Geheimnis ihres Lebens auf die Spur kommen. Sie bäumen sich gegen die Sinnentleerung auf, die unfreiwillige Arbeitslosigkeit ihnen auferlegt. Sie finden sich nicht mehr damit ab, wenn das Geheimnis des Lebens durch die Verlockungen der Werbung oder durch seichte Unterhaltung überdeckt werden soll. Ihnen können wir nur zurufen: Ihr werdet gebraucht; in euren Familien und in der Gesellschaft, in eurer Nachbarschaft und in den Kirchengemeinden, in Vereinen oder dort, wo Menschen in Not sind.

Die wenigsten werden antworten: „Wir wollen nicht kommen.“ Sie werden eher die Einladung noch gar nicht gehört oder noch nicht verstanden haben. Sie wissen zu wenig von der Möglichkeit, sich dem Geheimnis fremder Lebenswege auszusetzen, oder von der Vielfalt an Aufgaben, die ehrenamtlich in der Kirche oder an anderen Orten wahrgenommen werden können. Es ist an uns, die Einladung bekannt zu machen. Denn die Einladung gibt es: die kleine Einladung zu den kleinen Festen des Lebens wie die große Einladung zu Gottes großem Fest.

Denn das Fest findet statt! Das ist sicher.

Der Herrscher bekräftigt es. Er sendet ein zweites Mal Herolde für seine Feier aus. Sie berichten von den bereits angelaufenen Vorbereitungen für das Fest.

Doch den Festtag wollen die nicht halten, die sich im Alltäglichen verbeißen. In besonders drastischen Bildern schildert das Gleichnis die Folgen für die Verächter des Feiertages. Auf seine Weise unterstreicht es damit die besondere Wichtigkeit von Tagen, die nicht von Alltagsaufgaben überwuchert sind. Sie machen Gespräche möglich, die keinem bestimmten Zweck gewidmet sind: Ungeplante Begegnungen zwischen Fußgängern auf dem Wege, unvermutete Gespräche zwischen Eltern und Kindern, neue Spontaneität zwischen Ehepartnern. Wo nur noch Zwecke herrschen, wo es nur auf das Ergebnis ankommt, wo allein Leistung zählt, wo alle Abläufe zeitgenau eingetaktet sind, verliert die Vorfreude ihren Ort, die ahnungsvolle Ungeduld, die kribbelnde Erwartung, die Fähigkeit zum Fest, die Hoffnung auf das Himmelreich. Eine Gesellschaft, die sich selbst die gemeinsame freie Zeit raubt, amputiert einen Lebensnerv. Sie vergeht sich an sich selbst; sie stößt sich selbst in das Verhängnis, von dem das Gleichnis mit so drastischen Bildern spricht.

Aber das Fest findet statt. Denn der König gibt nicht auf. Er unternimmt einen dritten Anlauf.

„Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet ... Und die Knechte brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden voll.“ Die Einladung überschreitet alle Grenzen. Welch ein Glück. Nur deshalb gilt sie auch uns. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“

Jeder ist willkommen. Und jeden nimmt der König wahr. Im Himmelreich sind alle gleich. Aber es ist kein Ort der Beliebigkeit. Denn dem König ist es ernst mit dem Fest. Eine frohe und feierlustige Gästeschar muss keine Spaßgesellschaft sein. Keiner hat das Recht, die Feierlaune aller dem eigenen Lustgewinn zu opfern. Der Hausherr im Gleichnis kennt Grenzen der Toleranz. Und einer verspielt sein Glück. Die fehlende Festtagskleidung wird zum Zeichen für den mangelnden Ernst.

Aber wie kann das zusammenpassen: Die Einladung ergeht an alle, und doch gibt es Grenzen der göttlichen Toleranz? Gottes Gnade, so heißt die Antwort, ist unbegrenzt, aber sie ist nicht billig. Von der Nachfolge Jesu ist niemand ausgeschlossen, aber sie wird auch niemandem leicht gemacht. Das Geheimnis des Glaubens ist keinem verschlossen, aber es kann sein, dass Menschen sich ihm selbst verschließen. „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“

Manchmal allerdings finden Menschen den Weg zu diesem Geheimnis nicht, weil die Glaubenden selbst ihnen im Weg stehen. Manchmal wird die Einladung zum Fest im Himmelreich überhört, weil Gottes Bodenpersonal die Einladung gar nicht weitergibt. Die Folgerung ist klar: Erkennbare Kirche, erkennbare Gemeinde, erkennbare Christen müssen wir sein. Dann sind wir unserem Bekenntnis treu. Dann werden wir auch unserer Berufung gerecht. Unsere Gesellschaft braucht die Stimme der Christen. Sie braucht Menschen, die sich verständig und mit klarem Profil zu Wort melden. Sie braucht den christlichen Glauben, um sich für Gott zu öffnen und dem Nächsten zugewandt zu bleiben, für das Fest des Glaubens wie für die Orientierung an den Werten, die unsere Gesellschaft prägen und prägen sollen.

Die Feier findet statt. Je mehr wir das verstehen, desto näher kommen wir an das Geheimnis der Einladung. Zu diesem Geheimnis gehört, dass „Gute und Böse“ gemeinsam an der himmlischen Tafel sitzen werden. Zu Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit besteht kein Anlass. Aber zu Freude und Zuversicht gibt es allen Grund. Denn eines steht fest: Das Fest findet statt. Gottes Reich kommt. Amen.