Festgottesdienst zur Tausendjahrfeier der Ersterwähnung von Doberlug, 14. Sonntag nach Trinitatis (Genesis 28,10-19)

Wolfgang Huber

Klosterkirche St. Marien

„Der Himmel auf Erden. Tausend Jahre Christentum in Brandenburg“. So heißt ein Leitwort, das in diesem Jahr 2005 landauf, landab viele Menschen in Brandenburg zusammenbringt. An vielen Orten werden die Spuren unserer christlichen Geschichte aufgesucht und aufgedeckt. An vielen Orten wendet man sich dieser Vergangenheit zu, weil man ohne deren Kenntnis auch in der Gegenwart keinen festen Stand gewinnt. Wer seine Herkunft nicht kennt, kann auch die Zukunft nicht bestehen. Das wird heute immer mehr Menschen bewusst.

Tausendjährige Erinnerung! Für keinen Ort passt das besser als für Doberlug. „Dobra luh“ heißt zu deutsch: „gute Wiese“. Diese „gute Wiese“ ist einer der Orte, an denen seit tausend Jahren „der Himmel auf Erden“ erlebt wird, einer der Orte, an denen Himmel und Erde sich berühren. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass in jener Zeit vor tausend Jahren, der wir die Ersterwähnung von Doberlug verdanken, auch der christliche Glaube in diese Region gekommen ist. Die Anfänge des Christentums in und um Doberlug werden nämlich mit dem Feldzug von Kaiser Heinrich II. in die Niederlausitz in Verbindung stehen, in dessen Zusammenhang von Doberlug zum ersten Mal urkundlich die Rede ist. In der wechselvollen Geschichte jener Zeit werden sowohl deutsche als auch polnische Missionare hier tätig geworden sein. Das hat dazu beigetragen, dass sich dann hundert Jahre später in Doberlug das erste Zisterzienserkloster in Brandenburg ansiedelte.

Der Himmel auf Erden“: Heute steht uns der große Spannungsbogen dieses Jahrtausends vor Augen. Und wir fragen uns, welche Botschaft für die Zukunft sich daraus ergibt. Mit Ihnen allen freue ich mich, dass es an diesem Wochenende in Doberlug-Kirchhain so festlich zugeht. In der großen Öffentlichkeit von Bürgergemeinde und Christengemeinde wird dieses Jubiläum gefeiert. Gäste aus nah und fern sind gekommen. Feierliche Klänge erfüllen das Gotteshaus. Wir feiern in dieser wunderbaren Kirche, die in ihrer ursprünglichen Gestalt zu den frühesten gewölbten Bauten östlich der Elbe zählt. Eine wechselvolle Geschichte hat sie erlebt. Aber sie ist zugleich ein Zeuge dafür, dass  Christen an diesem Ort über die Jahrhunderte hin den christlichen Glauben empfangen und an die nächste Generation weitergegeben haben. Auch im Jubiläumsjahr Ihres Ortes stehen wir in der Generationenkette. Wir erinnern uns an die Erzählungen der Alten und versuchen Orientierung für den vor uns liegenden Weg zu gewinnen. Hören wir auf den Predigttext für diesen Sonntag:

Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen von den Steinen der Stätte und richtete ihn für sein Haupt und legte sich an der Stätte schlafen. Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.

Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, auf dem sein Haupt geruht hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf und nannte die Stätte Bethel.

Der Himmel auf Erden. In dieser biblischen Erzählung ist das Bild vorgezeichnet. An einem unwirtlichen Ort, an einer kargen Lagerstätte, wo nur ein Stein als Kopfkissen dient, dort sieht Jakob eine Leiter, die Himmel und Erde verbindet. Boten Gottes steigen auf dieser Leiter auf und ab. Himmel und Erde sind nicht mehr getrennt. Gott ist nicht mehr fern. Die Beziehung zu ihm steht offen.
Unser Leben ist insgesamt Beziehung. Mit dem Glück einer Liebesbeziehung beginnt das Leben. Wir alle wären heute nicht hier, wenn sich unsere Eltern nicht in Liebe einander zugewandt hätten. Uns allen erschiene das Leben sinnlos, wenn wir nicht immer wieder Beziehungen knüpfen und tragfähige Beziehungen erleben würden. Zu diesen Beziehungen gehört auch die Beziehung, in der Himmel und Erde zusammenkommen, die Beziehung zu Gott. Dafür steht Jakobs Traum.

Jakob war auf krummen Wegen unterwegs. Er hatte seinen Bruder Esau übervorteilt und ihm den Erstgeburtssegen des Vaters abgeluchst. Eine lange Wanderschaft ist die Folge. Das vertraute Elternhaus und die familiäre Gemeinschaft hat er zurückgelassen. Diese Trennung war nötig geworden, denn sein Verhalten hatte die Beziehungen belastet.

Gänzlich unerwartet kommt es zu einer Begegnung mit dem lebendigen Gott. Zu erwarten war das nicht. Warum sollte sich Gott auf einen Menschen wie Jakob einlassen? Er war, wie gesagt, auf krummen Wegen unterwegs. Und doch träumt ihm an dieser fremden Stätte, dass sich der Himmel öffnet. Die Engel Gottes steigen auf und nieder. Gott ergreift das Wort und spricht Jakob an.  Dieser war auf der Flucht und hätte ganz sicher nicht gedacht, dass ihm dies geschehen könnte. Gott nimmt die Beziehung zu ihm auf.

Er erfährt das Geleit Gottes, der ihm Bewahrung schenkt. Über all unser Verdienst hinaus bewahrt zu werden, ist eine Erfahrung, die wir alle kennen. Jakob ist das Urbild dieser Erfahrung. Er, der einem anderen den Erstgeburtssegen wegnahm, erhält nun für sich und seine Nachkommen den Segen Gottes zugesprochen. Einer, der – nicht besser als wir – mit Fehlern behaftet ist, wird zum Bild dafür, wie Gott uns nachgeht und uns bewahrt, wenn wir nicht mehr weiterkönnen. Das soll nicht vergessen werden. Deshalb richtet Jakob einen Gedenkstein auf. Der fremde Ort erhält einen Namen: Bethel – Haus Gottes.

Die „gute Wiese“, „Dobra luh“ – so hieß der Name, den unsere Vorfahren vor einem Jahrtausend diesem Wort gegeben haben. Auch dies ist ein Name für Gottes Segen und Bewahrung. Ein Ort zum Siedeln, der Nahrung verspricht – im gleichmäßigen Rhythmus von „Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“. Und in eben diesem Rhythmus wurde die Beziehung zu Gott lebendig, im Hören auf sein Wort, im Gesang der Mönche, im Gebet der Jungen wie der Alten. Die Menschen dankten Gott und brachten ihre Verzweiflung über erfahrene Not zum Ausdruck. Eine Kirche wurde gebaut, weil Gott uns um sein Evangelium von Jesus Christus versammeln will. Ein Gedenkort sollte das sein – wie der Stein, den Jakob aufrichtete und mit Öl übergoss.

Eintausend Jahre sind nur schwer zu überschauen. Viele Generationen haben seither gelebt und gearbeitet, Freude und Leid erfahren. Sie hinterließen ihre Spuren. Diese Geschichte, mit ihren Höhen und Tiefen, ihren Siegen und Niederlagen fügt sich dann zusammen, wenn wir uns daran erinnern lassen, dass Gottes Wort den Himmel öffnet und uns einen Neuanfang schenken will. Der Himmel auf Erden. 

Es gibt gute Gründe, uns an unsere Vergänglichkeit zu erinnern. Aber das löscht den Wert der Zeit nicht aus, die uns anvertraut ist. Heute steht sie uns vor Augen: Tausend Jahre gewährte Zeit, trotz aller menschlichen Anmaßung, trotz aller Verblendung der Macht. Gewährte Zeit ist ein großes Geschenk, im Leben der Einzelnen, in der Gemeinschaft von Menschen, die einander anvertraut sind, wie im gemeinsamen Leben eines Gemeinwesens. Wir verstehen dieses Geschenk erst, wenn wir es hineinstellen in Gottes Ewigkeit. Dass er uns nahe ist und uns seinen Segen schenkt, darauf dürfen wir vertrauen.

Gewiss: Viele Menschen haben es verlernt, von Gott zu reden und an Gott zu glauben. Gottvergessenheit hat sich ausgebreitet. Wie sollen wir denn noch von Gott reden, so fragen viele. Die Antwort ist einfach: Wir lernen von Gott zu reden, indem wir zu Gott reden: „Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“ Von Menschen, die Gott danken, muss niemand befürchten, sie wollten ein neues tausendjähriges Reich errichten. Die nächsten tausend Jahre können wir Gott anvertrauen. Auch sie sind vor ihm „wie ein Tag und wie die Nachtwache, die gerade vergangen ist“. Wir feiern dieses Jubiläum nicht als einen Triumph der Macht, sondern der Liebe. Wir begehen dieses Jubiläum unter dem offenen Himmel Gottes und wollen deshalb auch unseren zweifelnden Mitmenschen gern eine Tür zum Glauben öffnen. Wenn das geschieht, finden Himmel und Erde zusammen, weil Gott seinen Segen dazu gibt.

Jesus Christus brach einst auf wie zuvor Jakob. Er sprach Menschen an und sammelte die Jünger um sich. Zu Ihnen sprach er: Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und hinabfahren über dem Menschensohn. Die Jünger hatten ihr Schlüsselerlebnis mit Jesus Christus. Er ist für uns den Königsweg gegangen, den Weg der Sanftmut und der Liebe. An ihn können wir uns halten, an ihm wollen wir uns ausrichten.  Amen.