Predigt im Ökumenischen Gottesdienst zum 450. Jahrestag des Augsburger Religionsfriedens (Römer 5, 1-5)

Wolfgang Huber

St. Anna-Kirche in Augsburg

"Von Augsburg lernen, heißt siegen lernen.“ Diese Schlagzeile sprang mich vor einigen Tagen förmlich an. Von einer internationalen Musikmesse wurde berichtet. Die Augsburger Musikszene wurde als vorbildhaft gelobt.

Ich will dagegen halten und heute sagen: Von Augsburg lernen, heißt Frieden lernen. Ein Engel ist das Symbol dieses Friedens. Durch ihn wird das Jubiläum des Augsburger Religionsfriedens derzeit ins Land getragen. Die Sonderbriefmarken, die diesem Anlass gewidmet sind, bringen sein Bild in alle Teile der Republik. Auf diesen Briefmarken ist der Engel zu sehen, der über mir auf dem Kanzeldeckel steht. Damals, im 16. und 17. Jahrhundert, hat man an vielen Orten Friedensengel aufgestellt.

Denn der Frieden brauchte schier übermenschliche Kraft. Den Auseinandersetzungen um des Glaubens willen, den Kriegen aus Gründen der Konfession musste er abgerungen werden. 
Dieser Aufgabe galt der Augsburger Religionsfriede von 1555. Noch einmal ein Jahrhundert dauerte es, bis er sich durchsetzte, am Ende des schrecklichen dreißigjährigen Krieges. Seine bleibende Bedeutung hat das eher noch gesteigert. 

Den Landesherren wurde die Pflicht auferlegt, die Ausübung der Religion zu gewährleisten. Sie selbst konnten dabei die Konfession frei wählen, nicht aber ihre Untertanen. Für sie galt vielmehr die Konfession des Landesherrn als verbindlich. Allein durch Auswanderung konnten sie sich dem entziehen. Der Frieden zwischen den Konfessionen wurde damals ermöglicht, doch die Konfessionsspaltung wurde zum Dauerzustand. Die Verantwortung der Fürsten wurde gestärkt; aber die Religionsfreiheit der einzelnen, von den Protestanten schon damals gefordert, rückte erst einmal in weite Ferne.

Anders war es nur in einigen Freien Reichsstädten wie Augsburg selbst. Hier konnte man sich im Zusammenleben der verschiedenen Konfessionen üben – ein frühes Modell für das, was alle lernen mussten.

Von Augsburg lernen, heißt Frieden lernen. Doch der Weg des Friedens ist lang; mühsam ist er dazu. Es ist ein Weg, den der Apostel Paulus im fünften Kapitel seines Briefs an die christliche Gemeinde in Rom so beschreibt:

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung. Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Von Augsburg Frieden zu lernen, reicht allein offenbar nicht. Gott schenkt Frieden. Darauf kommt es an. Er führt durch Bedrängnis, Geduld und Bewährung hindurch. Denn der Frieden, den Menschen machen, bleibt in Widersprüche gefangen, verstrickt in ungelöste Fragen. Wer dem standhalten will, braucht eine Hoffnung, die sich an Gottes Herrlichkeit hält. Sie hilft dabei, auch aus der Bedrängnis noch Gutes zu lernen, nämlich Geduld, und auch die Geduld sich zu nutze zu machen, weil sie Kraft schenkt, die Kraft zu immer neuer Hoffnung.

Deshalb feiern wir am Augsburger Religionsfrieden den Anfang vom Ende religiöser Gewalt. Wir feiern die Parität der Konfessionen, in der schon die Pflicht zur ökumenischen Zusammenarbeit beschlossen lag. Heute stellen wir uns dieser Pflicht – nicht aus politischem Zwang, sondern aus eigener Glaubenseinsicht. Mit Augsburg respektieren wir das Recht, die eigene Konfession selbst zu wählen. Aber wir sprechen dieses Recht nicht nur den Fürsten zu, sondern jeder und jedem einzelnen. Und wir erwarten diese Religionsfreiheit nicht nur im eigenen Land. Wir fordern sie auch in den Ländern ein, in denen Christen heute in der Minderheit sind und beides entbehren: den politischen Schutz und die persönliche Freiheit. Weil keine Macht der Welt die Menschen davon abhalten kann, ihr Seelenheil zu suchen, muss es die Freiheit dazu geben.

Wer den Frieden von Gott empfängt, ist auch in der Lage, die Brüchigkeit und Widersprüchlichkeit menschlichen Friedens zu ertragen. Er geht mit Unstimmigkeiten und Spannungen in Liebe um. Aber das heißt auch: Er sucht sie zu überwinden, wo immer das geht.

Mit dem Frieden Gottes beginnt alles; aus Gottes Güte sind wir, was wir sind. Trotz enttäuschter Hoffnungen, trotz ungelöster Konflikte, trotz bleibender Schuld und offener Fragen gibt es keinen Zweifel, dass das die Wahrheit ist: mitten im Unfrieden steht Gottes Friedensreich offen.

Dafür steht das Kreuz Jesu in der Zerrissenheit unserer Welt. Es sagt und zeigt: Niemand bleibt von Gottes Frieden ausgeschlossen. Vom Kreuz her, dem entscheidenden Friedenszeichen, hoffen wir auf Frieden und mühen uns um gelebte Toleranz. Wir sind noch längst nicht am Ende des Weges, der vom Kreuz auf Golgatha nach Augsburg, und von da nach Westfalen – nach Münster und Osnabrück – führt, und dann weiter nach Nantes und Potsdam, nach Dublin und Sarajewo und hoffentlich auch nach Jerusalem.

Und immer wieder einmal nach Augsburg. In dieser Stadt gelang vor sechs Jahren mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen Lutherischem Weltbund und katholischer Kirche ein entscheidender Schritt. Was bis heute ökumenisch erreicht wurde, ist ein kostbares Gut, das uns auch weiterhin verpflichtet. Die Gemeinschaft im Evangelium gibt uns die Kraft, uns bleibenden Unterschieden zu stellen, Verschiedenheiten in Glaubensweise und Kirchenstruktur zu respektieren und lässt uns zuversichtlich miteinander die Botschaft von Gottes Frieden bezeugen. In unseren unterschiedlichen christlichen Profilen bleiben wir Glieder einer Familie, der großen Familie Gottes, in der Jesus Christus unser aller Bruder und Herr ist.

Der Friede Gottes ermutigt uns zu der Klarheit, in der unser Glaube sichtbar leuchtet. Aber er verpflichtet uns auch zu der Liebe, in der wir uns wechselseitig achten. Nur so können wir Gottes Liebe in unserer Welt bezeugen. Darauf warten viele. Und sie mögen es spüren an diesem Tag, in diesem Gottesdienst: Wo Menschen miteinander Gott ehren, wo sie sich an Christus halten, wo sie deshalb selbst einen Schritt zurücktreten, da wächst die Gemeinschaft seiner Nachfolger, da beginnt der Friede unter uns. Amen.