Geistliches Wort bei der Andacht zum Besuch von Bundespräsident Köhler im Dom St. Peter und Paul, Berlin

Wolfgang Huber

Sehr verehrter Herr Bundespräsident, verehrte Gäste, liebe Schwestern und Brüder in Christus.

Sie haben, lieber Herr Bundespräsident, in Ihrem Amt schon manche Formulierung geprägt, die in ein Buch der Geflügelten Worte Eingang finden kann. Um auf das Wort zuzusteuern, auf das ich hinaus will, muss ich etwas ausholen.

Die Ansprache, mit der Sie Ihre Wahl zum Präsidenten unseres Landes annahmen, beendeten Sie mit folgenden Worten: „Ich grüße alle Landsleute nah und fern, unsere Nachbarn in Europa und unsere Freunde in der Welt. Gott segne unser Land!“ Und in der Rede, mit der Sie Ihr Amt antraten, am 1. Juli 2004, verdeutlichten Sie den Geist, an dem Sie uns teilhaben lassen wollen, mit folgenden Worten: „Persönlicher Kompass ist mir dabei mein christliches Menschenbild und das Bewusstsein, dass menschliches Tun am Ende immer vorläufiges Tun ist. Ich bin Optimist.“ Und Sie fügten einen Satz Goethes hinzu: „Niemand weiß, wie weit seine Kräfte gehen, bis er sie versucht hat.“

Angesichts solcher Aussagen war es vielleicht nicht verwunderlich, dass Sie im Mai dieses Jahres beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover gefragt wurden, warum Sie denn Gottes Segen für unser Land erbeten hätten. Sie antworteten – und diese Antwort haben viele Menschen geradezu als entwaffnend empfunden: „Weil ich davon überzeugt bin, dass es unserem Land mit Gottes Segen besser geht als ohne ihn.“

Was in anderen Ländern selbstverständlich ist, haben Sie auch nach Deutschland zurück gebracht: Der Segen Gottes ist eine öffentliche Kategorie. Denn diesen Segen Gottes kann niemand nur für sich selbst haben oder behalten wollen; wir haben ihn nur, indem wir ihn mit anderen teilen. Deshalb wird der Segen Gottes Menschen zugesprochen, die ihr Leben gemeinsam führen: in Ehe und Familie, in der christlichen Gemeinde – und eben auch: als Glieder eines Volkes, eines Landes.

In der biblischen Botschaft ist das klar verankert. Dass ein Land oder ein Volk gesegnet wird, begegnet in der Bibel zum ersten Mal in der Geschichte Abrahams. In ihm werden zugleich seine Nachkommen gesegnet, die das Volk Israel bilden sollen; aber in diesen besonderen Segen werden zugleich alle anderen Völker einbezogen.

Dass Gott Abraham als ersten Träger dieses Segens auswählt, ist freilich eine Überraschung. Denn: Abraham ist kein Israelit. Er lebt, wie die Geschichtsforscher uns erläutern, mit seiner Familie im Zweistromland in einer Gemeinschaft, die eine der Gestirngottheiten dieser Region verehrt. Hier trifft ihn die Anrede Gottes – eines ihm fremden Gottes, wie man mit allem Nachdruck sagen muss -  und reißt ihn aus allen vertrauten Bindungen heraus. Abraham ist bereit, einen eigenen, ungewohnten, allem Anschein nach gefahrvollen Weg zu gehen. Er tut es, weil ihm auf diesem Weg Segen zugesagt ist. Im 12. Kapitel des 1. Buchs Mose heißt es:

Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

Mit Abraham beginnt Gott seine Geschichte mit der Menschheit in gewisser Weise aufs Neue. Jetzt, mit der Erwählung Abrahams, steht sie nicht mehr im Zeichen von Fluch und Strafe, sondern im Zeichen des Segens. Dieser Segen ist für alle Völker der Erde bestimmt, aber gebunden an den Segen Abrahams. Das ergibt sich nicht aus Voraussetzungen, die Abraham selbst erfüllt hätte, sondern dieser Segen ist eine freie Gabe Gottes, ein Geschenk.

Abraham gilt als der Stammvater der abrahamitischen Religionen, des Judentums, des Christentums, des Islam. Im christlichen Glauben aber wird er in besonderer Weise als Beispiel und Vorbild des Glaubens herausgestellt. Und das hat einen einfachen Grund: Er empfängt den Segen Gottes als Gottes freie Gabe und er lässt sich darauf ein, er macht sich auf den Weg, er ist, um noch einmal Sie, Herr Bundespräsident, zu zitieren, Optimist.

In diese Segensgeschichte einzutreten und auf sie zu vertrauen, ist uns allen möglich. Wer für das eigene Land Gottes Segen erbittet, schließt niemand anderes aus. Wer Kraft daraus empfängt, dass er an einem besonderen Ort Gottes Segen spürt, gönnt diesen Segen auch allen anderen Orten, je auf ihre besondere Weise. Wer Segen empfängt, gibt ihn weiter: „Ihr sollt ein Segen sein“ haben wir deshalb mit der Abrahamsgeschichte beim Ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 gesagt.

An einem Ort besonderer Segenserfahrungen begrüßen wir Sie auch hier im Brandenburger Dom. Immer wieder hat er sich in seiner tausendjährigen Geschichte als Ort des Glaubens und der Kultur, als Ort der Bildung und der Zuversicht erwiesen. So versuchen wir ihn auch heute zu gestalten. Als „Dom in Not“, wie er noch vor wenigen Jahren bezeichnet wurde, ist er zu einem Ort pulsierenden Lebens geworden. Wir werden das im Lauf dieses Nachmittags spüren können. Denn Gottes Segen ist eine pulsierende, eine lebendige und lebenspendende Kraft. Wer sie empfängt, soll sie weitergeben. Ihr sollt ein Segen sein.

Amen.