Grußwort im Deutsch-Norwegischen Festgottesdienst in der Friedenskirche zu Potsdam

Wolfgang Huber

Sehr geehrter Bischof Wagle, verehrte Botschafter und Exzellenzen, liebe Gemeinde und Gäste in der Friedenskirche zu Potsdam,

es ist noch immer ungewöhnlich, wenn die Erinnerung an ein politisches Ereignis zum Anlass eines Gottesdienstes gemacht wird. Doch in diesem Fall habe ich die Anregung zu einem solchen Gottesdienst ganz besonders gern aufgenommen. Denn in der Geschichte Europas gibt es – Gott sei Dank – nicht nur Beispiele für Konflikt und Zwietracht, sondern auch Entscheidungen, die dem Frieden gedient haben. Die Erinnerung an ein solches Geschehen und seine Bedeutung für die Beziehungen zwischen Norwegen und Deutschland führt uns heute zusammen. Seien Sie namens der Evangelischen Kirche in Deutschland, namens der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und namens der evangelischen Gemeinden in Potsdam alle herzlich willkommen geheißen in diesem schönen Gotteshaus am Park von Sanssouci mit dem beziehungsreichen Namen: Friedenskirche.

Im Juni 1905 antwortete das norwegische Parlament auf die Ablehnung einer norwegischen Gesetzesvorlage durch den König mit dem Beschluss, die politische Union mit Schweden aufzulösen. König Oskar II. dankte ab.

Die Volksabstimmung im August 1905, in der die Norweger mit überwältigender Mehrheit das Ende der politischen Union bestätigten, musste ernst genommen werden. Es ist der Weisheit und Weitsicht der schwedischen wie der norwegischen Politiker jener Zeit zu danken, dass aus diesem Ergebnis die entsprechenden politischen Konsequenzen gezogen wurden. Am 18. November 1905 wurde der dänische Prinz Karl aus dem Haus Glücksburg als Håkon VII. zum König von Norwegen gewählt. Deutschland konnte mit dem nun selbständigen Norwegen diplomatische Beziehungen aufnehmen. Im Vertrag von Kristiania übernahmen das Deutsche Reich, Frankreich, Großbritannien und Russland im Jahr 1907 die Garantie für die Integrität von Norwegen.

Wir alle kennen geschichtliche Beispiele dafür, dass politisch Verantwortliche sich über den Willen eines Volkes hinweg gesetzt haben. Die daraus erwachsenden Konflikte und das darauf folgende, oft unermessliche Leid, sind uns hinreichend bekannt. Ich erwähne als ein Beispiel die Lage im ehemaligen Jugoslawien. Umso mehr verdienen die Beispiele es, dankbar erinnert zu werden, in denen es gelungen ist, auf lange Frist ein friedliches Zusammenleben zu sichern. Die Ereignisse des Jahres 1905 sind ein Beispiel dafür. Ein Frieden ist das in diesem Fall, der durch die Gewähr wechselseitiger Eigenständigkeit und Selbstbestimmung erreicht wurde.

Schon aus der biblischen Tradition kennen wir Beispiele dafür, wie bei Konflikten Trennungen zwischen Menschen so vollzogen wurden, dass hinterher ein friedliches, ja sogar versöhntes Miteinander möglich war. Ich denke beispielhaft an die Geschichte der Brüder Abraham und Lot, die sich nach vielem Zank und Streit ihrer Viehhirten schließlich trennten und jeweils ein eigenes Weidegebiet übernahmen. Gewiss ging es zwischen den norwegischen und schwedischen Diplomaten vor hundert Jahren anders zu als zwischen Abraham und Lot; aber einen eigenen Weg gingen beide Länder. In welch enger Gemeinschaft alle nordischen Länder diesen Weg gehen, steht uns heute in Berlin durch den gemeinsamen Bau der Nordischen Botschaften deutlich vor Augen.

Selbstbestimmung und Zusammenarbeit – das ist in unserer Zeit insgesamt der Schlüssel für dauerhaften Frieden. Als Christen und Kirchen können wir in Europa wie in der Welt dazu einen Beitrag leisten. Unsere ökumenischen Bemühungen wie auch die Gespräche mit anderen Religionen können diesem Ziel zu Gute kommen. Wir haben gelernt, dass wir für die Herrschaft des Rechts eintreten müssen, wenn wir den Frieden dauerhaft fördern wollen. Und wir wissen, dass wir auch die Quellen der Kultur und des Glaubens fruchtbar machen müssen, wenn wir eine Atmosphäre dauerhaften Friedens entwickeln und bewahren wollen.

An diesem besonderen Tag, an dem ich mit dem norwegischen Bischof Wagle zusammen diesen Gottesdienst leite, möchte ich an ein Bischofstreffen von historischer Bedeutung erinnern. Es fand vor 65 Jahren, im Januar 1940, im niederländischen Appeldorn statt. Das war drei Monate vor dem deutschen Überfall auf Norwegen. In Appeldorn trafen sich der norwegische Bischof Eivind Berggrav aus Oslo, der Erzbischof der Schwedischen Kirche, Erling Eidem, und Bischof George Bell aus Chichester. Zum anglikanischen Bischof von Chichester, George Bell, hatte Dietrich Bonhoeffer, dessen Geburtstag sich in wenigen Monaten zum hundertsten Mal jährt, seit 1933 enge Beziehungen. Das Gespräch war auch der Frage gewidmet, ob eine Zusammenarbeit mit der Bekennenden Kirche dem Grauen des Zweiten Weltkriegs eine Grenze setzen könne. Dass unsere Kirchen dafür zu schwach waren, bildete einen der entscheidenden Anstöße dafür, dass wir nach 1945 unsere Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit mit neuer Intensität ins Zentrum gerückt haben.

Die 12. Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen, zu der Sie, verehrter Bischof Wagle, 2003 nach Trondheim eingeladen haben, stand unter dem Leitsatz: Jesus Christus heilt und versöhnt - unser Zeugnis für Europa. In dem Schlussdokument dieser Zusammenkunft heißt es: Europa ist bereit, sich über seine Wunden hinweg zu versöhnen, die Feindseligkeiten in Gastfreundschaft zu verkehren und seine Selbstbezogenheit in eine Kultur der offenen Türen zu verwandeln.

Wir können die Erinnerung an Leid und Schuld vor Christus bringen und in seinem Namen um Vergebung bitten. Und wir spüren Zeichen solcher Vergebung. Norwegen hat die Kinder deutscher Besatzungssoldaten, die als tyskebarnen mit ihren norwegischen Müttern lange gesellschaftlich geächtet waren, in den letzten Jahren rehabilitiert. Das gehört zu den Entwicklungen, in denen ich solche Zeichen der Versöhnung erkennen möchte.

Möge dieser gemeinsame Festgottesdienst, in dem Wort und Sakrament, Gebet und Musik zusammenklingen, uns im Vertrauen auf die Kraft der Versöhnung stärken, damit wir mit dem Apostel Paulus sagen können: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Amen.