Predigt im Gottesdienst am Reformationstag 2005 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu Berlin (Psalm 46)

Wolfgang Huber

Die Sache ist schon eine Weile her
So fünfhundert Jahre ungefähr
Und Wittenberg heißt die kleine Stadt
Wo sie sich zugetragen hat
Ein Bischof brauchte damals sehr viel Geld
Dafür hat er sich einen Redner bestellt
Tetzel hieß dieser gute Mann
Der schaffte ihm die Kohle ran.
Er zog dafür die Leute aus bis aufs Hemd
Das ist was man so "fundraising" nennt
Du musst nur toll spenden dann hat Gott dich lieb
Hier ist die Kiste, leg was rein und gib!
Ja wenn das Geld im Kasten klingt
Die Seele in den Himmel springt.
Erzählt den Leuten nicht so´n Schrott.
Ein feste Burg ist unser Gott
Eine feste Burg wo ich Sicherheit hab
Ganz egal was sonst in der Welt mich plagt
Man kann Gott nicht kaufen, das ist sure
Er schenkt seine Liebe aus Gnade nur.

So heißt es im Luther-Rap von Ingo Koll aus dem Jahr 2005. Ein feste Burg – diese Formulierung ist zu einem Wahrzeichen der Reformation geworden wie sonst nur noch Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen. Im Internet findet man in Windeseile 625 000 Einträge für diesen Reformations-Slogan. Dabei wird er inzwischen längst ökumenisch in Anspruch genommen. Kerzen zu Ehren von Papst Benedikt XVI. heißen ebenso Ein feste Burg wie ein Institut zur christlichen Partnersuche. Auch schon in die Welt der Tarifverhandlungen hat dieser Ausdruck Eingang gefunden. Der Tarifvertrag – so sagt es der IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters – muss eine feste Burg sein, auf die man bauen kann. Und Hans Arnfried Astel dichtet:

Ein feste Burg ist unser blauer Himmel.
Den Augen täuscht er vor ein Firmament,
den blauen Vorhang vor dem Welttheater,
das Netz der Blicke vor dem bodenlosen
Abgrund des Weltalls, vor der Finsternis.
Wir lesen noch im Schein des Lampenschirms,
schließen die Augen, ruhen sanft zur Nacht.

Dass solche Ruhe trügerisch ist, war Luthers Erfahrung. Ein feste Burg ist unser Gott hieß die Grunderfahrung seines Lebens. Sein Lied entwickelte besondere Kraft, wo Ohnmacht und Verzweiflung um die Ecke lauerten. Zum Protestlied wurde es zur Zeit des Kirchenkampfs wie in anderen Zeiten der Bewährung.

Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Mit diesen Worten beginnt der 46. Psalm. Martin Luther Lied schöpft aus den Worten dieses Psalms. Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten. Bereits der erste Vers des Psalms dringt zum Kern vor. Es folgt eine Selbstaussage: Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.

Auch dann fürchten wir uns nicht? Wie von einem Katapult getrieben, springt der Widerspruch hervor: Wer kann so etwas von sich sagen? Diese Gegenfrage drängt sich auf. Sollen wir also den Psalm lieber nicht mehr beten, weil er uns zu anstößig ist und den Anschein der Überheblichkeit erweckt? Der Zyniker, der es schon immer gewusst hat, wird die Frage bejahen. Die Kirche, das sei  ja ohnehin die Insel der Glückseligen: Die  Stadt Gottes, in der alle hinter ihren Mauern fein lustig bleiben und sich an den Brünnlein freuen, weil Gott auf ihrer Seite ist. Und das Leben der Menschen?

Viele Worte der Bibel klingen nach Überforderung. Der junge Mann, der all seine Habe dran geben soll, die Jünger, die aufgefordert werden, Eltern, Frauen und Kinder zu verlassen, Jesu Aussage, er sei nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert: Für die meisten von uns sind solche Worte zu schwer. Wenn wir uns selbst zum Maßstab dafür nehmen wollten, was an der Bibel Bestand hat, kämen wir aus dem Streichen von Bibelworten nicht heraus. Die Worte der Schrift aber sind uns voraus, sie sind – dafür sei Gott gedankt - zu groß für uns. Sie schaffen dem Glauben Raum. Sie nehmen uns auf mit unseren Schwächen und Zweifeln. Nicht wir verantworten die Worte der Schrift, sondern die Bibel zeigt uns, dass Gott unser Leben verantwortet und voller  Güte begleitet.

Gott ist unsere Zuversicht und Stärke. In Luthers Lied wird aus Zuversicht und Stärke eine feste Burg. Martin Luther schrieb das Lied 1527 oder 1528. Er durchlebte damals schwere Krankheitszeiten und litt unter Depressionen. Als die Universität wegen der Pest zeitweise nach Jena verlegt wurde, blieb er in Wittenberg. Ihn bedrängten die Nachrichten vom gewaltsamen Tod evangelisch gewordener Christen, darunter auch junger Prediger, die bei ihm studiert hatten. Die Macht des Bösen schien losgelassen; der freudige Lauf des Evangeliums geriet ins Stocken und drohte kläglich zu versanden. Kein siegesbewusster und selbstgewisser Luther hat das Lied gedichtet, sondern ein gebeugter und angefochtener Christenmensch in einer vom schwarzen Tod bedrohten Stadt.

Das Wort sie sollen laßen stahn
Und kein'n Dank dazu haben;
Er ist bei uns wohl auf dem Plan
Mit seinem Geist und Gaben.
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr', Kind und Weib:
Laß fahren dahin,
Sie haben's kein' Gewinn,
Das Reich muß uns doch bleiben.

Leichtfertige Gleichgültigkeit gegenüber Weib und Kind spricht aus diesem Vers nicht. Wie Luther zu seinen Kindern stand, zeigen die Briefe an sein Söhnchen Hans genauso wie die ergreifenden Zeugnisse vom Sterben seiner dreizehnjährigen Tochter Magdalena. Und von seiner Frau Katharina bekannte er, dass er sie für die größten Besitztümer – Venedig und Frankreich nennt er ausdrücklich – nicht hergeben würde. Denn zum einen habe Gott sie ihm anvertraut. Zum andern habe er festgestellt, dass andere Frauen mehr Fehler hätten als seine Käthe, ob schon sie auch etliche hat. Und schließlich sei sie ihm in Treue und Ehre zugetan; genauso wolle er es als Mann auch halten.

Nicht Leichtfertigkeit prägt dieses Lied, sondern ein Vertrauen zu Gott, das auch in der äußersten Bedrängnis noch Stand hält, weil es sich auf Jesus Christus verlässt und nicht auf die eigenen Kräfte. Deshalb lässt Luther den 46. Psalm für sich selbst gelten und eignet ihn sich in der Form des Liedes selber an.

Das Lied ist ein Hymnus zur Ehre Gottes und zur Selbstvergewisserung im Schatten des Todes. Als ich das Bischofskreuz wieder fand, das mit dem Anfang von Luthers Lied gestaltet ist, gab es für mich keinen Zweifel daran, dass ich es tragen wollte.

Luthers Lied weist uns auf den Kern des christlichen Glaubens. Heute geht es in neuer Weise um diesen Kern. Aus der Angststarre, in die unsere Gesellschaft zu verfallen droht, befreit sie nur ein neuer Geist. Aus dem Kleinmut, der sich in unser Leben schleicht, führt uns nur das Vertrauen zu Gott. Aus der Missgunst, unter der sich unser Herz verkrampft, hilft uns nur das reine Herz heraus, das allein Gott geben kann. Die Leidenschaft für den Mitmenschen, die das Leben erst lebenswert macht, gewinnen wir erst, wenn wir uns an Gott halten und an seine Leidenschaft für uns Menschen. Diese Leidenschaft Gottes hat einen Namen: Jesus Christus. Auf ihn lasst uns hören.

Es geht heute um nichts Geringeres als darum, den Glauben wieder als Lebensaufgabe zu begreifen. Um der Menschen willen geht es darum, den Ausverkauf der Ideen nicht mitzuvollziehen, sondern die Verantwortung für das eigene Heil, das eigene Leben, den eigenen Glauben ernst zu nehmen. Reformatorisch ist unsere Kirche, wenn sie mit neuer Überzeugungskraft sagt:

Mit unsrer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren;
es streit’ für uns der rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
der Herr Zebaoth,
und ist kein andrer Gott,
das Feld muss er behalten.

Um dieser Strophe willen ist Martin Luthers Lied Ein feste Burg das Reformationslied. Um dieser Strophe willen ist es auch ein ökumenisches Lied. Denn der Sinn der Reformation war es nicht, die Kirche zu spalten, sondern dem Glauben Raum zu schaffen. Diese Aufgabe stellt sich heute den Kirchen gemeinsam.

Gewiss brauchen wir auch heute in wie zwischen den Kirchen den offenen Dialog, wo nötig auch den Streit um die Wahrheit. Der Disput über Bibelübersetzung, Amtsverständnis und Abendmahl muss geführt werden. Dabei geht es weder um überflüssige Spitzfindigkeiten noch um Besserwisserei. Für uns als evangelische Kirche ist es unaufgebbar, dass wir die Heilige Schrift in ihrer Fülle als Quelle des Glaubens wahrnehmen und dass wir Menschen dazu ermutigen, sich auch in Glaubensfragen ihres Verstandes zu bedienen. Der Exodus der Vernunft aus jeder Form der geistigen Gefangenschaft erinnert uns daran, dass wir zur Freiheit berufen sind.

Um dieser Freiheit des Glaubens willen steht unsere Kirche vor der Aufgabe, sich zu erneuern und ihre Stimme kräftig einzubringen. Darum wahren wir die Erinnerung an die durch Martin Luther angestoßene Reformation. Darum singen wir sein Lied. Es geht um ein Erinnern für die Zukunft.

Wir sind Bettler, das ist wahr, stand auf einem Zettel, der sich neben Luthers Sterbebett fand. Wir Menschen stehen vor Gott mit leeren Händen – mit geöffneten Händen, die annehmen, was Gott selbst in sie hineinlegt. Wir brauchen uns nur ganz und gar unserem Gott anzuvertrauen, jeden Tag aufs neue: Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten.

Amen.