Geistliches Wort im Ökumenischen Gottesdienst anlässlich der konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, St. Lukas-Kirche (Jeremia 17,14)

Wolfgang Huber

Heile Du mich, Herr, so werde ich heil; hilf Du mir, so ist mir geholfen. Dieses Wort aus dem Buch des Propheten Jeremia steht über der Woche, in der sich das Abgeordnetenhaus von Berlin zu Beginn einer neuen Legislaturperiode konstituiert. In einer befreienden Weise unterscheidet dieses biblische Wort das, was wir selbst verantworten können, von dem, was wir von Gott erwarten. Dass Gott uns Heil schenkt, erbitten wir von ihm; dass wir uns um das Wohl der Menschen bemühen, ist unsere Verantwortung. Dass er uns aufrichtet, ist die Hilfe, die wir allein von ihm erhoffen. Dass wir einander beistehen, ist das, wozu er uns beruft. Um Gottes Heil bitten wir; aber wir bitten zugleich darum, dass er uns in unserem besonderen Amt und Auftrag beisteht. Wir wollen Zukunft gestalten, aber dafür brauchen wir eine Zuversicht, die über das hinausreicht, was wir selbst zu Wege bringen. Deshalb feiern wir Gottesdienst zu Beginn des Tages, an dem sich das Berliner Abgeordnetenhaus aufs Neue an seine Arbeit macht.

Worauf Menschen hoffen, können wir besonders deutlich von den Kindern lernen. Eine Umfrage hat in diesen Tagen gezeigt, was den Erwachsenen von Morgen wichtig ist. Der Zusammenhalt in der Familie und unter Freunden steht bei Kindern genauso hoch im Kurs wie ein vertrautes Umfeld, in dem sie sich geborgen und geschützt fühlen. Kinder sprechen unverblümt aus, wie wichtig ihnen Vertrauen, Geborgenheit und Zuverlässigkeit sind. Sie erhoffen von ihren Eltern wie von anderen Bezugspersonen vor allem anderen Sicherheit, emotionale Unterstützung und Orientierung.

Wie ein Echo klingt das auf die Bitte: Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf mir, so ist mir geholfen. Eine Wahrheit tritt uns entgegen, die nicht nur für Kinder gilt. Dass diese Geborgenheit Raum behält und die Familie in ihrem Wert gewürdigt wird, ist uns als Kirchen ein besonders wichtiges Anliegen.  Dass den Familien gemeinsame freie Zeit bleibt, legen wir Ihnen deshalb besonders ans Herz. Die eng mit Familie und Freundschaft verknüpften Werte wie Vertrauen, Geborgenheit und Zuverlässigkeit müssen sich entfalten können. Ich habe mir sagen lassen, dass dies selten auf der Rolltreppe im Kaufhaus geschieht.

Wenn wir Gottes Segen für diejenigen erbitten, die in unserer Stadt herausgehobene politische Verantwortung tragen, machen wir zugleich bewusst, dass der „Beruf zur Politik“ uns alle einschließt, uns Bürgerinnen und Bürger Berlins. Aber wir erweisen in besonderer Weise denen unseren Dank und unseren Respekt, denen stellvertretend Verantwortung auf Zeit  übertragen wird.

Und wir bekräftigen unser Ja zu unserer demokratischen Staatsform. Denn sie hat mit grundlegenden Überzeugungen und Werthaltungen des christlichen Glaubens zu tun. Die unantastbare Würde jedes Menschen, die Anerkennung von Freiheit und Gleichheit, der nüchterne Blick auf die Irrtumsanfälligkeit und Schuldhaftigkeit der menschlichen Natur und der Respekt vor der Verschiedenheit der Menschen stehen beispielhaft für Gesichtspunkte, in denen christlicher Glaube und Demokratie sich treffen.

Wir wissen, dass vielen Menschen wichtige Stücke ihrer Zukunftsgewissheit abhanden gekommen sind; darunter leidet auch das Zutrauen zur Demokratie. Schon deshalb dürfen wir von keinem einzelnen und keiner Gruppe sagen, sie seien „abgehängt“ und seien als „Unterschicht“ zur gesellschaftlichen Beteiligung nicht mehr im Stande. Aber die Zukunftsgewissheit, die alle brauchen, kann nicht mehr einfach aus dem Versprechen erwachsen, es werde für alle materiell immer aufwärts gehen. Gerade hier in Berlin wird eine Zukunftsgewissheit gesucht, die trägt, auch wenn das Bundesverfassungsgericht keinen Schuldenausgleich über 60 Milliarden Euro in Aussicht stellt.

Uns alle eint die Berufung zum Dienst am Nächsten in unserem Gemeinwesen. Das Berliner Abgeordnetenhaus und der Berliner Senat sind darauf angewiesen, dass die Bürgerinnen und Bürger den institutionellen Rahmen der Demokratie mit Leben füllen, also am politischen Prozess teilnehmen und sich in die politische Meinungsbildung einbringen. Und die Bürgerinnen und Bürger können erwarten, dass diejenigen, die von ihnen gewählt wurden, Rechenschaft über ihr Tun wie über ihre Vorhaben ablegen. Zu diesem Zusammenwirken gebe Gott seinen Segen. Miteinander bitten wir darum, dass wir aus dem Zutrauen zu Gottes Geleit leben und unserer Verantwortung entsprechen können: Heile Du mich, Herr, so werde ich heil; hilf Du mir, so ist mir geholfen. Amen