Predigt beim Bayerischen Kirchentag auf dem Hesselberg

Wolfgang Huber

I.

Vor zwei Wochen schaute ich von Gunzenhausen hinüber zum Hesselberg und dachte: Wie wird es sein, auf diesem Berg zu stehen? Und wie wird es sein, dort Gottesdienst zu feiern? Nun ist es so weit; wir feiern Pfingsten auf dem Berg; wir sind zum Kirchentag zusammen – und ich bin gern in Ihrer Mitte! Das Frankenland ist in diesen Tagen ja von einer besonderen Form von Begeisterung ergriffen. Gern gratuliere ich auch in diesem Gottesdienst zu dem eindrucksvollen Pokalerfolg des 1. FC Nürnberg. Ich habe die Leistung dieser Mannschaft am vergangenen Samstag selbst in Berlin bestaunt und war auch selbst begeistert.

Auf einem Berg sind wir zu diesem Gottesdienst zusammen. Berge lehren das Staunen. Wer sie unterschätzt, kann ins Schwitzen geraten. Der Atem geht schneller und der Pulsschlag auch. Aber wer den Gipfel erreicht, hat sich den Niederungen des Lebens entzogen. Das erleben wir auch hier auf den 689 Höhenmetern des Hesselbergs. Mir gefällt übrigens besonders gut, dass er und der Staffelberg als Zeugenberge bezeichnet werden. Was sie bezeugen, soll uns heute beschäftigen.

Zunächst merken wir: Die gewohnten Sorgen fühlen sich auf dem Berg leichter an. Wir fragen weiter und ahnen neu, was uns im eigenen Leben trägt und was uns – ins Tal zurückgekehrt – helfen kann, das Leben zu meistern. Wir spüren die Erhabenheit der Schöpfung und ahnen etwas von der Gegenwart des Schöpfers.

Es scheint fast, als seien Berge Zeugen für eine besondere Nähe zu Gott. Sie sind so etwas wie Kirchtürme in der Landschaft; sie weisen in die Höhe.

II.

Immer wieder, durch alle Jahrhunderte und in den allermeisten Religionen, sind auf Bergen Kultstätten und Kapellen errichtet worden. Hier auf dem Hesselberg beginnt diese Tradition vor mehr als dreieinhalb Jahrtausenden mit einem keltischen Heiligtum. Im Jahr 1803 hat dann der preußische König Friedrich Wilhelm III. im Andenken an seine Besteigung dieses Berges die Hesselbergmesse gestiftet; deshalb haben Sie nun wohl auch einen preußischen Bischof als Festprediger eingeladen. Damit darf ich mich in eine Tradition einreihen, die nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert andauert. Seit 1951 feiert man hier Landeskirchentage; nach den Jahren nationalsozialistischer Propaganda wird hier auf der Höhe Jahr für Jahr die Botschaft von Gottes Liebe zu jedem Menschen bezeugt.

Die Bibel bringt eindrucksvolle Ereignisse mit Bergen in Verbindung: Die Arche Noahs findet nach der Sintflut am Gebirge Ararat wieder festen Grund; Mose erhält die zehn Gebote auf dem Berg Sinai; das Festmahl aller Völker am Ende der Zeit findet nach der prophetischen Verheißung auf dem Berg Zion statt; der Psalmbeter hebt seine Aufen auf zu den Bergen, von denen er Hilfe erhofft.

Jesus wird auf einem Berg verklärt, vor den Augen seiner Jünger, die er zum Schweigen verpflichtet. Auf einen Berg führt ihn der Versucher, und auf einem Berg, dem Ölberg, ringt er mit Gott und kündet davon, was am Ende der Zeit kommen wird. Auch sein Kreuz steht auf einem Hügel, Golgatha, außerhalb der alten Stadtmauern Jerusalems.

Und die eindringlichste seiner Reden hält Jesus auf einem Berg. In dieser Bergpredigt sagt er: Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.

III.

Damals war der Kreis der Jünger Jesu überschaubar. Sie waren wenige. Und trotzdem stellt Jesus ihnen die kühne Verheißung vor Augen: Ihr seid das Salz der Erde. Die Botschaft, die ihnen anvertraut ist, kann das Ganze verändern. Gemessen an allen Zutaten einer Mahlzeit scheint der Anteil an Salz, den man hinzufügt gering zu sein. Aber er verändert das Ganze – vorausgesetzt, das Salz erfüllt seine Funktion.

Heute sind wir keineswegs wenige. Gerade an einem solchen Tag wird uns das bewusst. Wir haben als Christen keinen Grund, uns zu verstecken. Und auch als Protestanten sind wir noch immer stark an Zahl. Gerade hier in Mittelfranken macht man sich das gern bewusst. Umso mehr müssen wir uns fragen: Verändern wir mit der Botschaft, die uns anvertraut ist, das Ganze? Betrachten wir den christlichen Glauben und die Werte, die aus ihm folgen, nur als das Mehl, aus dem gebacken wird? Oder auch, als den Sauerteig, der alles haltbar, als das Salz, das lebendig macht?

Der Bergprediger mutet uns diese Frage zu – und deshalb können wir sie auch hier auf dem Hesselberg nicht unterdrücken. Wie halten wir es mit dem Zeugnis unseres Glaubens als evangelische Christen in einer Gesellschaft, die das Religiöse wiederentdeckt? Öffnen wir die Türen unserer Gemeinden für Menschen, die auf der Suche nach Antworten des Glaubens sind? Haben unsere Arbeitskollegen und Eure Klassenkameraden eine Chance zu erfahren, dass wir uns für andere engagieren, weil wir Christen sind?

Die Worte Jesu treffen unsere Zeit auf besondere Weise. Über lange Zeit haben wir es weithin akzeptiert, dass Glaubensfragen aus der Öffentlichkeit verdrängt wurden. Wir haben die öffentliche Unentbehrlichkeit unserer Kirche lieber mit anderen Themen unter Beweis gestellt als mit dem Bekenntnis zu Christus und dem unverschämten Zutrauen zum Heiligen Geist. Wir haben dem Salz seine Kraft genommen. Nun wird wieder neu gefragt: Warum wurde Jesus gekreuzigt? Was ist der Heilige Geist? Warum bekennen wir Christen uns zu einem dreieinigen Gott? Jetzt müssen wir wieder zu dem Besonderen unseres Glaubens stehen. Jetzt geht es wieder um das Salz der Erde.

IV.

Der Bogen dieses Kirchentages spannt sich vom Senfkorn, aus dessen Unscheinbarkeit heraus Großes wächst, über das Salz, das kraftvoll würzt, hin zum Sauerteig, der im Verborgenen wirkt. In diesen unterschiedlichen Bildern zeigt Jesus, wie unscheinbar das Reich Gottes kommt und wie groß seine Wirkungen sind. Wer rechtzeitig auf sein Kommen vorbereitet sein will, muss auf die kleinen Anfänge achten. Wer den großen Wirkungen gegenüber nicht blind sein will, muss das Staunen lernen.

Das Reich Gottes ist der Aussage Jesu nach eine Bewegung, in der Menschen durch ihren Glauben erneuert werden. In der Gewissheit Jesu ist es eine Kraft, die die Verhältnisse verändert: Die Armen hören das Evangelium; den Gefangenen wird die Freiheit verkündigt, den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen. Gewiss gab es in der Geschichte der Kirche immer wieder Tendenzen dazu, die Seligpreisung der Armen zu vergessen und sich mit der missverstandenen Aussage Jesu zu beruhigen, sein Reich sei nicht von dieser Welt. Aber auch so lässt sich die verwandelnde Kraft der biblischen Botschaft nicht still stellen. Wir dürfen sie auch nicht verschweigen in einer Zeit, in welcher der Hilferuf der Armen neu zu uns schallt: sei es im eigenen Land oder in Afrika, dem Nachbarkontinent Europas, den wir niemals verloren geben dürfen. Wir dürfen diese Botschaft nicht verschweigen in einer Zeit, in der wir gefragt werden, wie ernst wir unsere Verantwortung für die kommenden Generationen nehmen. Hinterlassen wir ihnen eine Welt, die durch den Klimawandel elementar bedroht ist? Setzen wir den Raubbau an den Ressourcen fort, wie es vor allem in den Industrieländern nach wie vor der Fall ist? Oder bewähren wir uns als Salz der Erde – in diesen Wochen, in denen viele Menschen die klare Stimme der Christen und der Kirchen erwarten?

Gerade wenn sich die Seele dankbar für die Weite der Schöpfung Gottes öffnet – wie heute inmitten dieser eindrucksvollen Landschaft – , tritt uns auch deren Gefährdung neu ins Bewusstsein. Die Einsicht, dass der globale Klimawandel durch menschliches Handeln verursacht ist, erhält in unseren Tagen eine erdrückende Wahrscheinlichkeit. Wie wir uns als Christen dazu verhalten, hat auch mit der Frage zu tun, ob wir einem um sich greifenden Fatalismus folgen oder uns als Salz der Erde erweisen. Unsere Möglichkeiten, glaubwürdig zu leben und überzeugend zu wirken, sind längst noch nicht ausgeschöpft.

Es steht viel auf dem Spiel. Am Ende der Sintflut verspricht Gott, dass Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören werden. Unsere Aufgabe ist es, diese Verheißung Gottes in Wort und Tat zu bezeugen. Dann müssen wir aber auch unsere Verantwortung dafür wahrnehmen, dass nicht Unverstand und Egoismus Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter aus dem Gleichgewicht bringen. Als Salz der Erde müssen wir auch den Mut zu konkreten Zielsetzungen haben – zum Beispiel zu der, dass die Abgabe von Kohlendioxid an die Atmosphäre schneller und wirksamer eingeschränkt werden muss, als bisher geplant wird. Deutlichkeit ist gefragt; denn von Gott sind wir in die Verantwortung für seine Schöpfung und für die kommenden Generationen gerufen.

V.

Hören wir zum Schluss noch einmal genau auf die Worte Jesu. Jesus sagt nicht: Versucht, möglichst salzig zu sein. Bemüht euch darum, Profil zu zeigen. Die Worte Jesu sind eine Feststellung: Ihr seid das Salz der Erde. Wenn vom unnützen Salz die Rede ist, meinte mancher, in Jesu Wort eine vernichtende Drohung zu hören. Diesem Verständnis aber steht die klare und unzweideutige Aussage Jesu selbst entgegen. Für ihn gibt es keinen Zweifel. Folgen wir ihm nach. Machen wir uns nachher auf den Weg hinab aus der Höhe – getragen von der Gewissheit und der Verheißung Jesu. In seinen Augen sind wir es längst: Salz der Erde und Licht der Welt.

Amen.