Predigt im Gottesdienst zum Kreiskirchentag im Kirchenkreis Lehnin-Belzig (Apostelgeschichte 2,1-4)

Wolfgang Huber

I.
Und als der Kreiskirchentag am 16. September 2007 in Lehnin heran gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus... So, liebe Gemeinde, möchte man beginnen, wenn für den Kreiskirchentag eine Predigt zu der großen Pfingsterzählung aus der Apostelgeschichte angekündigt ist. Und dann mag sich in jedem die Hoffnung ausbreiten: Und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist. Doch hören wir zunächst noch einmal auf die biblische Erzählung selbst:

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.

Wie verträgt sich, so möchte man fragen, die sengende Hitze der Feuerzungen zu der weit kühleren Form von Frömmigkeit, die unsere brandenburgische Landschaft prägt? Denn Generalsuperintendent Hans-Ulrich Schulz hat ja Recht, wenn er die Mark als eine „religiös gemäßigte Zone“ bezeichnet. Dieser Ausspruch ist inzwischen zu einem geflügelten Wort geworden; denn er beschreibt die Lage genau. Feuerflammen in einer religiös gemäßigten Zone – wie mag das gehen?

Weht der Geist wo er will, nur nicht bei uns? Gibt es Grund zum Klagen, weil uns Geistesgrößen wie Philipp Jakob Spener, August Hermann Francke oder Nikolaus Graf von Zinzendorf fehlen? Oder beruht eine solche Einschätzung auf einer verengten Wahrnehmung?

II.
Es gibt auch bei uns mehr Feuer, als manche denken. Zahlreiche Menschen in unserer Region leben ihren Glauben mit Leidenschaft, setzen sich für ihre Kirche ein und begeistern andere damit. Auch in diesem Kirchenkreis Lehnin-Belzig ist das so. Ein Kreiskirchentag ist ein guter Anlass, dafür von Herzen zu danken. Menschen, die so aus Glauben leben, sind Vorbilder, die zur Nachahmung einladen. Wir alle kennen solche Mitmenschen, deren Geistesgegenwart und Leidenschaft uns Respekt abverlangt. Sie sind „Feuer und Flamme!“

Sie lassen sich auf das Neue ein, das unsere Jahreslosung beschreibt, wenn sie sagt: „Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jesaja 43, 19). Diese Worte weisen uns darauf hin, dass wir nur allzu schnell übersehen, was sich um uns herum entwickelt. Deshalb brauchen wir einen Blickwechsel. Der prophetische Hinweis auf das Neue bezieht sich auf eine Situation, in der das Volk Israel von der Gefangenschaft in die Freiheit aufbrach, vom Exil in Babylon wieder in die Heimat zurückkehrte. Zu einem ähnlichen Blickwechsel lädt auch die Pfingstgeschichte ein. Die Feuerflammen weisen auf die Gegenwart Gottes hin. In seinem Geist ist er mit den Jüngern unterwegs. Er motiviert sie so, wie schon die zurückkehrenden Israeliten motiviert wurden. Er motiviert auch uns dazu, das Neue anzunehmen, auf das es ankommt und das auf uns zukommt.

Und diese Neue lässt sich einfach beschreiben: auf Gott vertrauen, in die Freiheit aufbrechen, wissen, wo man zu Hause ist.

Auf Gott vertrauen: Niemand von uns hat die Zukunft in der Hand. Sie lässt sich auch für Geld nicht kaufen. Wir nehmen unser Leben dann in die Hand, wenn wir darauf vertrauen, dass Gott Gutes mit uns vorhat. Das hilft auch dabei, nicht nur auf den eigenen Vorteil zu schauen, sondern das gemeinsame Wohl im Blick zu haben. Gottvertrauen und Nächstenliebe gehören zusammen.

In die Freiheit aufbrechen: So viel Freiheit war noch nie. Wir wählen uns Lebensform und Aufenthaltsort, Schule und Berufsausbildung. Aber es kommt darauf an, was wir mit diesen Wahlmöglichkeiten anfangen. Entscheidend ist, ob wir verantworten können, wozu wir uns aus Freiheit entscheiden. Verantworten vor uns selbst, vor den anderen und vor Gott. Dazu brauchen wir Maßstäbe, an denen wir uns orientieren, Werte, die uns gemeinsam wichtig sind.

Wissen, wo man zu Hause ist. Freiheit und Heimat schließen sich nicht aus, sie gehören zusammen. Das wussten schon die alten Israeliten; und das haben die Christen über die Jahrhunderte wieder und wieder gemerkt. Aber Heimat ist nicht nur ein Stück Erde, auf dem man zu Hause ist. Heimat sind die Menschen, die uns wichtig sind, die Sprache, die wir sprechen, die Kultur, in der wir leben, der Glaube, der uns trägt. Letztlich muss jeder selbst entscheiden, was ihm Heimat ist. Aber dafür braucht er starke und überzeugende Angebote.

Wir teilen unsere Heimat mit anderen. Wir stützen uns auf eine Vielzahl von Überzeugungen. Wir haben Nachbarn, die ihr Leben mit uns teilen wollen, auch wenn sie nicht in Deutschland geboren wurden. In einer Zeit, in der die NPD aggressiv auf Stimmenfang geht, müssen wir gegenhalten und die Schwachen schützen. Wir wollen erreichen, dass die Verschiedenen sich verstehen und tolerant miteinander umgehen. Doch möglich ist das nur, wenn Menschen wieder wissen, wo sie zu Hause sind, und wenn junge Menschen das lernen.

III.
Gott vertrauen, in die Freiheit aufbrechen, wissen, wo man zu Hause ist. Das ist die neue Blickweise. Das ist unsere Antwort darauf, dass Gott Neues schafft und uns darauf aufmerksam macht, wo es wächst. Und wenn wir die Augen aufmachen, dann staunen wir, wie viele Menschen in Brandenburg in diesem Sinne Feuer und Flamme sind. Gerade im ländlichen Raum muss das Bild vom Strohfeuer nicht großartig erklärt werden. Es kommt vielmehr darauf an, in längeren Bögen zu denken, das Feuer zu hüten und die Glaubensglut weiterzugeben.

Statt vom brennenden Feuer reden heute viele vom „burn out“ – vom sich ausgebrannt fühlen. Niemand ist davor geschützt. Insbesondere dort, wo es nötig ist, alle Kraft auf einen Punkt zu konzentrieren, wächst die Gefahr, dass die eigenen Reserven restlos aufgezehrt sind.

Es gibt bittere, aber heilsame Lektionen. Manche von uns müssen lernen, dass wir ein Pfingstereignis nicht herbeizwingen können. Ein Feuer, das brennt, ohne sich selbst zu verzehren, wird in der Bibel beschrieben. Es bleibt allerdings Gott selbst vorbehalten. Erinnern wir uns:

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt.

Uns bleibt es vorbehalten, gemeinsam mit anderen Leuchtfeuer zu entzünden, Windlichter aufzustecken und es so zu halten, wie die klugen Jungfrauen im Matthäusevangelium: Für den Fall, dass der Bräutigam kommt, sollten wir etwas Öl für unsere Lampen bereit halten, damit wir ihn gebührend begrüßen können.

IV.
Und noch etwas: Für den Umgang mit der Geisteskraft Gottes lässt sich etwas von dem Hermannsburger Erweckungsprediger Ludwig Harms lernen. Er glühte für seinen Glauben. In der Hermannsburger Pfarrstube dieses Heidepastors begann 1849 die Erfolgsgeschichte einer Erweckungsbewegung - die Hermannsburger Mission. Pastor Harms sammelte Jung und Alt um sich herum. Es gelang ihm, seine Zuhörerschaft für die neue Idee zu begeistern: Gottes Wort den „Heiden“ im fernen Afrika zu verkünden. Er wollte Missionare ausbilden, ein Missionsschiff bauen und die Missionszöglinge nach Äthiopien entsenden, um den Menschen dort das Wort Gottes zu predigen. Viele Stunden lauschte die Gemeinde den Auslegungen von Ludwig Harms in Plattdeutsch.

Eines Tages wurde er von einem Gemeindeglied gefragt, ob denn der Heilige Geist auch am letzten Sonntag zu ihm gesprochen habe und was er ihm denn gesagt habe. Ludwig Harms, so heißt es, habe geschmunzelt und dann geantwortet: Ich hatte wenig Zeit zur Predigtvorbereitung. Als ich wie jeden Sonntag vor der Predigt auf der Kanzel niederkniete, bat ich den Heiligen Geist, mir beizustehen. Die Antwort kam sofort: „Ludwig Harms, du bist faul gewesen!“

Wenn man heute diesen Kreiskirchentag erlebt, wird man das niemand vorwerfen können. Alle waren fleißig und haben dieses Fest des Glaubens nach Kräften vorbereitet. Und nun erbitten wir für unser Zusammensein Gottes guten Geist. Dann wird man die Geschichte dieses Tages so erzählen können:

Und als der Kreiskirchentag gekommen war, waren viele Gemeindeglieder nach Lehnin gekommen. Es gab auch Gäste, die sich mit dem Gedanken trugen, sich taufen zu lassen. Gott sei Dank – es wurden keine Strohfeuer abgefackelt. Das gemeinsame Singen im großen Kreis erfüllte das ganze Haus, in dem sie beieinander waren. Es gab kein Zungenreden, dafür aber eine Gemeinschaft im Gebet, die viele als Stärkung empfanden. Sie dankten Gott für diesen Tag der Gemeinschaft in Christus Jesus. Amen.