Predigt im Kantatengottesdienst an Epiphanias in St. Marien (2.Korinther 4,3-6)

Wolfgang Huber

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Weihnachtsüberraschungen können unterschiedlicher Art sind. Frühere Studenten der Chemie bekommen noch heute leuchtende Augen, wenn sie von der Weihnachtsvorlesung ihres Professors erzählen. Keine Rede kann davon sein, dass Chemiker humor- oder gefühlslose Zeitgenossen wären. Groß ist vielmehr die Überraschung, mit der manche Professoren dieses Fachbereichs ihre Studierenden in die Weihnachtsferien verabschieden. Selbst Jahrzehnte nach dem Studium erzählen mit den Jahren älter gewordene Familienväter oder inzwischen selbst in Forschung und Lehre tätige Frauen davon.

Immer wieder erwähnen sie die atemberaubende Vorführung im abgedunkelten Hörsaal der Universität. Mit Asbesthandschuhen wurden zwei Trockeneisblöcke aus ihren Kühlbehältern gehievt. Trockeneis – das ist auf unter Minus 70 Grad heruntergekühltes Kohlendioxid, zu einem Eisblock gefroren. Der eine Trockeneisblock hatte oben eine handtellergroße Mulde. In ihr entzündete der Professor Magnesiumspäne, um dann schnell den zweiten Eisblock über das mit gleißend heller Flamme verbrennende Magnesium zu stülpen.

Das im Eis eingeschlossene Feuer verbreitete seinen gleißenden Lichtglanz - vielfach gebrochen - im Hörsaal. Unvergesslich hat sich die Erinnerung an diesen Moment in das Gedächtnis eingeprägt.

Der Chemieprofessor mag nicht daran gedacht haben, dass auch eine solche Weihnachtsüberraschung ein Gleichnis ist für das Weihnachtswunder, das uns auch in dieser Weihnachtszeit wieder nahe kommen wollte. Unvergesslich wie ein gleißendes Magnesiumfeuer möge sich die Geburt unseres Heilands einprägen in unsere Herzen und Sinne! Der großräumig angelegte Eingangschor der Bach’schen Weihnachtskantate fordert uns auf, die Geburt Jesu Christi als das zu erkennen, was sie ist: als archimedischen Punkt, der den unheilvollen Lauf der Welt unterbrochen und aus den Angeln gehoben hat.

Christen, ätzet diesen Tag
In Metall und Marmorsteine!
Kommt und eilt mit mir zur Krippen
Und erweist mit frohen Lippen
Euren Dank und eure Pflicht;
Denn der Strahl, so da einbricht,
zeigt sich euch zum Gnadenscheine.

Noch einmal wird uns Chemie zugemutet mit den Eingangsworten dieser Kantate. Sie werden über die Ankündigung ebenso erstaunt gewesen sein wie ich: „Christen, ätzet diesen Tag“. Doch die Fortsetzung macht es klar: „Ätzet diesen Tag in Metall und Marmorsteine.“ Für den ersten Weihnachtstag, den 25. Dezember, hat Johann Sebastian Bach diese Kantate bestimmt. 1714 hat er sie in Weimar zum ersten Mal aufgeführt, 1723 hat er sie in seinem ersten Leipziger Jahr noch einmal aufgenommen – ein Zeichen dafür, dass ihm diese Kantate besonders am Herzen lag. Sie beginnt gleich damit, das Besondere dieses Tages hervorzuheben. Auf Dauer soll dieser Tag in Metall und Marmor geätzt werden; so nachhaltig soll dieses Datum festgehalten werden, dass es niemals wieder auszulöschen ist. Eine Weihnachtskantate ist dies, die strahlenden Jubel mit nachdenklicher Innerlichkeit verbindet. Aber es geht Johann Sebastian Bach dabei nicht um Hirtenmusik und Wiegenlieder. Offensichtlich wollte er nicht Hintergrundmusik für eine weich gezeichnete Idylle in der Weihnachtsstube liefern. Bachs Kantate geht auf’s Ganze. Jubel, Tanz und Innerlichkeit verbinden sich zu dem Siegesruf: Das Kind, das im Stall von Bethlehem zur Welt kam, ist der Heiland der Welt, der seinen Weg bis zum Kreuz gehen wird und damit den Mächten des Bösen entgegentritt.

So kehret sich nun heut
das bange Leid,
mit welchem Israel geängstet und beladen,
in lauter Heil und Gnaden.
Der Löw aus Davids Stamme ist erschienen,
sein Bogen ist gespannt, das Schwert ist schon gewetzt,
womit er uns in vor’ge Freiheit setzt.

Jeder Brief, in den wir oben rechts die noch etwas ungewohnte Jahreszahl 2008 eintragen, verbindet uns mit der Geburt Jesu Christi. Jedes Datum, ja auch unser neuer Kalender für 2008 und damit unsere gesamte Jahresplanung, richtet unsere  Vorhaben am Glanz des Evangeliums aus, den Gott in unergründlicher Weise auf das Antlitz eines schutzbedürftigen Kindes gelegt hat.

Der Jubelruf über unsere Rettung umgreift unser Leben in Zeit und Ewigkeit. Er ist als feiner Goldfaden eingewebt in unsere Kultur. Mitten im Alltag leuchtet er auf. Festhalten will ich diesen Faden, weil ich von ihm auch auf unbekannten Wegen Halt und Hilfe erwarte.

Wie verbindet sich diese Kantate mit dem Predigtabschnitt, der uns für den Epiphaniastag geben ist? Er findet sich im 2. Korintherbrief. In ihm klingt an, dass der Apostel Paulus um die Zukunft der christlichen Gemeinde in Korinth kämpft. Es gibt Konflikte, Richtungskämpfe und offensichtlich wird die Auseinandersetzung in stark personalisierter Weise geführt. Apostel und Gegenapostel stehen sich gegenüber. Paulus selbst sieht sich im Kreuzfeuer der Kritik. Doch hören wir selbst:

Durch die Offenbarung der Wahrheit empfehlen wir uns jedem Gewissen der Menschen vor Gott. Wenn aber unser Evangelium doch verdeckt ist, so ist es [nur] bei denen verdeckt, die verloren gehen, den Ungläubigen, bei denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, damit sie den Lichtglanz des Evangeliums von der Herrlichkeit des Christus, der Gottes Bild ist, nicht sehen. Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Christus Jesus als Herrn, uns aber als eure Sklaven um Jesu willen. Denn Gott, der gesagt hat: Aus Finsternis soll Licht leuchten! er [ist es], der in unseren Herzen aufgeleuchtet ist zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi.

Der Konflikt in Korinth hat bereits mehrere Eskalationsstufen durchlaufen. Beide Seiten sind bereits dabei, der jeweils anderen in aller Öffentlichkeit die Maske vom Gesicht zu reißen. Das Neue Testament präsentiert uns auf schonungslose Weise einen Konflikt, weil er so menschlich, so alltäglich und doch ungewöhnlich ist.

Bei allem Schmerz, den Konflikte uns bereiten: Auf den zweiten Blick zeigen sie uns unter ihrer grellen Oberfläche  viel von dem, was uns wichtig ist. Schließlich geben wir im Streit so ehrlich wie sonst selten zu erkennen, was wir brauchen und was uns fehlt.

Paulus fehlt Anerkennung. Ihm fehlt der Respekt derer, die durch ihn mit Christus bekannt wurden. Ihm fehlt das Vertrauen der Gemeinde. Und in der Streitphase fehlt ihm auch ganz gewiss die Bereitschaft der anderen, ihn nicht nur zu hören, sondern auch verstehen zu wollen. Was die Gegenseite konkret vorzubringen hatte, wissen wir nicht.

Ich möchte dem Ringen des Paulus auf der Spur bleiben. Er wollte mit aller Kraft am Lichtglanz des Evangeliums festhalten. Ihm ging es um Jesus Christus: Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Christus Jesus als Herrn, uns aber als eure Sklaven um Jesu willen.  Hier treffen wir auf das verbindende Zentrum. Gott hat seine Güte allen zugedacht: Paulus nicht mehr und nicht weniger als seinen Gegnern – mir nicht mehr und nicht weniger als den mir Widerstreitenden.

Gott hat seine Güte allen zugedacht: uns nicht mehr und nicht weniger als den erfrorenen Seelen, die als Rechtsextreme Schrecken verbreiten. Gottes Güte gilt den  verzweifelten Zynikern, die schon immer wussten, dass Du deine Existenz nur einer Laune des Zufalls verdankst.

Aber wie kann der christliche Glaube diejenigen erreichen, die Gottes Güte bitter nötig haben? Der Glanz des Evangeliums wirkt anders als die effiziente Ausleuchtung der Ware im Schaufenster. Paulus gebraucht das Bild vom Sklaven, dessen gesellschaftliche Rolle durch Schwäche und einen weithin rechtlosen Status gekennzeichnet war. Doch gerade der Dienst des derart Schwachen verleiht dem Evangelium das gleißende Licht eines Magnesiumfeuers. Wir dürfen unsere Glaubenshoffnung nicht durch die Mühlen der Effizienz zermahlen lassen.

„Ich glaube“, schreibt Martin Luther, „dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten.“

Auch im Neuen Jahr steht unser Weg unter einem Lichterbogen, der sich zwischen dem Morgenstern der Weihnachtsnacht und dem aufgehenden Hoffnungslicht des Ostermorgens spannt. Im Licht dieser Hoffnung können wir befreiter von den Versuchen menschlicher Nähe, von Liebe und von geglückten Sternstunden erzählen; im Licht dieser Hoffnung können wir aber auch der Boshaftigkeit standhalten, die wir um uns wahrnehmen; und wir können uns dem Gericht Gottes aussetzen, vor dem wir uns unserer eigenen Bosheit schämen. Unter diesem Lichtbogen zeigt sich, dass alle Menschen durch Jesus Christus angerührt und angesprochen werden können. In Christus können wir unseren eigenen Lebensweg klarer sehen. Seine Gegenwart stellt meine Leitbilder, aber auch meine Gottesbilder auf heilsame Weise in Frage.

Gottes Lichterbogen gewährt mir die Möglichkeit, an der Wahrheit nicht vorüberzugehen und die Frage nach dem Sinn meines Lebens im Stall von Bethlehem beantwortet zu wissen – ein für alle mal. Für die Könige in der Weihnachtsgeschichte werden die Insignien ihrer Bedeutsamkeit an der Krippe bedeutungslos, weil sie die Offenbarung der Wahrheit erfahren. In einer strukturschwachen Gegend entdecken sie auf dem Feld der Bedeutungslosigkeit, was anderen verborgen blieb. Deshalb:

Christen, ätzet diesen Tag
In Metall und Marmorsteine!
Kommt und eilt mit mir zur Krippen
Und erweist mit frohen Lippen
Euren Dank und eure Pflicht;
Denn der Strahl, so da einbricht,
Zeigt sich euch zum Gnadenscheine.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.