Predigt im Ökumenischen Gottesdienst zur Wiedereröffnung des Domschatzes im Dom zu Halberstadt über Matthäus 13, 44

Wolfgang Huber

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Begrabner Schatz, verborgner Sinn / ist Verlust ohne Gewinn. So sagt es ein altes Sprichwort. Der Sinn muss entdeckt, der Schatz muss gehoben werden.

Wer hätte noch nicht davon geträumt, unerwartet auf einen Schatz zu stoßen! Für den Rest des Lebens ausgesorgt zu haben, ohne irgendetwas dafür zu tun!

Sie graben auf dem eigenen Grundstück und stoßen auf eine Kiste. Beim Öffnen funkelt es nur so, Gold und Edelsteine – mehr als das Auge verträgt. Ein Schatz ist gefunden.

Lotterien knüpfen an diese Sehnsucht an: Mitten in den Alltag der Welt platzt der Reichtum herein. Ein Bote öffnet seinen Koffer, Geldscheine quellen hervor: Bitte sehr, dies alles gehört Ihnen!

Vor kurzem war von einem Mann zu lesen, der einen Geldbeutel mit mehreren tausend Euro auf der Straße fand. Er übergab ihn der Polizei und hofft nun, dass sich der Eigentümer nicht innerhalb von sechs Monaten meldet – dann gehört der gefundene Schatz ihm.

Ein solches Glück widerfährt dem Finder, von dem Jesus erzählt. Zu seiner Überraschung stößt er beim Graben auf einen Gegenstand. Es ist ein Schatz, der große Glücksfall im Leben eines Menschen. Aber der Acker, auf dem er ihn findet, gehört nicht ihm.

Inhalt, Größe und Wert des Schatzes werden nicht beschrieben. Wird da ein Gegenstand wieder gefunden, der für den Finder persönlich viel bedeutet? Geht es um ein wertvolles Schmuckstück? Oder einfach nur um viel Geld?

Der Ton liegt auch nicht auf dem Glücksgefühl des Finders. Natürlich freut er sich; aber davon kann man doch bei jedem ausgehen, der auf einen großen Schatz stößt!

Hier aber entpuppt sich der Glückspilz als ein ausgebuffter Taktiker. Schnell verbirgt er den Schatz wieder unter der Erde. Niemand soll das Geheimnis des Ackers vor der Zeit erfahren. Der Grund ist klar: Da ihm der Acker nicht gehört, kann er auch auf den Schatz im Acker keinen Anspruch erheben. Als Hehler zu erscheinen, kommt ihm nicht in den Sinn. Um rechtmäßiger Besitzer des Schatzes zu werden, erwirbt er das Eigentum an dem Acker, in dem er verborgen ist. Dazu freilich muss er all sein Hab und Gut verkaufen. Eine weittragende Entscheidung! So etwas macht man nur, wenn es dafür starke, überragende Gründe gibt. Dieser Mensch setzt alles auf eine Karte; denn der Schatz, den er entdeckt hat, geht ihm über alles.

Wie riskant es ist, alles auf eine Karte zu setzen, zeigt sich heute an den Finanzmärkten. Einem Investmentbanker, der dieses Gleichnis zum Vorbild nähme, würde man schwere Vorwürfe machen. Es gibt zu viele aktuelle Beispiele dafür, wie Banker höchsten Einsatz wagen und dabei in dramatischer Weise nicht nur Buchwerte, sondern auch Vertrauen einbüßen.

Dem Finder des Schatzes im Acker geht es freilich weder um Spekulationsgewinn noch um eine Steigerung des persönlichen Bonus. Er will den Schatz. Mit heißem Herzen ist er dabei.

Der Profi sagt: Wer mit zu viel Leidenschaft zu Werke geht, wird kaum ein gutes Geschäft machen. Jesus aber sagt: Sammelt euch ... Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. Martin Luther knüpft daran an mit dem schlichten Satz: Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist dein Gott.

Ein wirklicher Schatz ist nur das, woran du auch dein Herz hängen kannst. Mein Schatz: so nennen wir einen Menschen, mit dem wir uns für das ganze Leben verbinden. Mit ihm zusammen hängen wir unser Herz an den einen Schatz, an Gott. So kann das Leben gelingen. Es ist nicht verkehrt, dafür alles einzusetzen. Denn was willst du mehr, als dass dein Leben gelingt?

Es gibt Schatzbriefe, für die man investiert, ohne sein Herz daran zu hängen. Ein solcher Schatz ohne die Investition des Herzens mag Reichtum und Wohlstand befördern. Doch Beständigkeit und tragende Kraft in guten wie in schlechten Tagen verleiht ein solcher Schatz nicht. Es geht um einen anderen Schatz, einen, den man sogar mit dem Himmelreich vergleichen kann. Dass dieser Schatz nicht vergraben bleibt, darauf kommt es an: Begrabner Schatz, verborgner Sinn ist Verlust ohne Gewinn.

Heute wird ein Schatz ausgegraben, der seinesgleichen sucht. Ein gigantischer Schatz von Weltrang – so heißt eine der nicht gerade bescheidenen Beschreibungen des Halberstädter Domschatzes. Übertrieben ist das nicht. Besonders bemerkenswert ist, dass dieser Schatz die Unbilden der Geschichte überstanden hat. Es grenze an ein Wunder, so wird gesagt, dass dieser Schatz nahezu unversehrt am ursprünglichen Ort erhalten blieb.

Dass wir diesen Schatz noch hier in Halberstadt betrachten können, grenzt nicht nur an ein Wunder, es ist ein Wunder. Aber was heißt am ursprünglichen Ort? Nicht alles hat hier seinen ursprünglichen Ort. Das älteste Stück dieses Schatzes, ein Doppelbildnis römischer Konsuln, wurde offenkundig nicht für eine christliche Kirche geschaffen. Das Kreuzreliquiar, das unser besonderes Staunen erregt, führt uns nach Konstantinopel, ins heutige Istanbul, wo es vom Halberstädter Bischof Konrad von Krosigk auf einem Kreuzzug erbeutet und mitgebracht wurde.

Querverbindungen gibt es bis in unsere Tage. Der gewaltige Textilschatz, ein großer Zeuge der mittelalterlichen liturgischen Kultur, verbindet den Halberstädter Domschatz mit dem Dom von Brandenburg; darüber freue ich mich als Dechant des Domstifts Brandenburg ganz besonders.

Nach Jahren der Vorbereitung tritt uns all das wieder vor Augen, bewahrt über die Umbrüche unserer Geschichte, neu präsentiert in einer Zeit der Freiheit.

Was haben wir von diesem Schatz? Einen Hinweis auf den Schatz, auf den es ankommt – nicht mehr und nicht weniger. In einem Domschatz ist kein Stück ein Selbstzweck. So kostbar es ist, es dient doch immer einem höheren Zweck. Gott will es verherrlichen, nicht sich selbst. Alles will es darangeben, damit der eine Schatz gefunden wird, auf den es ankommt.

Ein Domschatz stellt uns immer die eine Frage: Was für ein Schatz ist denn der Glaube selbst? Oder noch klarer: Was willst du drangeben für den einen Schatz, für Gott? Vor Jesus stand einmal ein junger Mensch und fragte, wie er das ewige Leben erlangen könne. Jesus antwortete ihm: Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach!

Wer Jesus nachfolgt, kennt den einen Schatz im Himmel. Der Gewinn des christlichen Glaubens besteht in der Freiheit zu geben. Was in diesem Leben Bestand hat und auch in Ewigkeit trägt, hängt nicht an Reichtum und Besitz. Christliches Leben hängt an dem Dreiklang von Glauben, Liebe und Hoffnung.

Solche Schätze sind nur mit heißem Herzen zu erlangen. Dieser Gewinn lässt sich nur durch Hingabe vermehren. Wer eine solche Rendite steigern will, setzt sein Vertrauen auf Gott. Wer Gott liebt und sich an den Nächsten verschenkt, wird mehr Reichtum besitzen als je zuvor.

Das ist ein Schatz, der durch keinen Börsencrash zusammenbrechen wird. Wer darauf hofft, lässt die Sorgen um das Morgen fahren. Er setzt darauf, dass sich die Zukunft zum Guten wendet. Glaube, Liebe und Hoffnung öffnen unseren Blick. Die Enden der Zeit erschließen sich. Das österliche Licht gibt unserem Lebenslauf Orientierung, Trost und Zuversicht.

Wer merkt, dass auf dem Acker seines Lebens dieser Schatz verborgen ist, der sollte sich diesen Acker entschlossen zu Eigen machen, auch wenn er sonst noch so viel Mühe mit ihm hat. Es ist nicht zu viel, wenn man dafür alles gibt. Denn dieser mühevolle Acker birgt den Schatz des Lebens, das Himmelreich.

Amen.