Predigt im Einsegnungsgottesdienst für Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen im Dom zu Brandenburg/Havel (5. Mose 6, 4-9)

Wolfgang Huber

I.

Seit einigen Tagen steht ein neues Kreuz auf meinem Schreibtisch. Aus Turf ist es hergestellt, der aus den irischen Hochmooren stammt. Keine zwanzig Zentimeter ist es groß. Doch das Vorbild, nach dem es gestaltet ist, ist aus Stein und mehr als fünf Meter hoch. Vor einer Woche begegnete es uns, als wir bei einer Delegationsreise des Rates der EKD, die uns nach Irland führte, auf dem Weg von Dublin nach Belfast unterwegs waren.

Die Gastgeber ließen uns auf einem Parkplatz abseits einer kleinen Landstraße aussteigen. Nicht sofort erschloss sich dem suchenden Blick, was sie uns außer der wunderschönen Landschaft ringsherum eigentlich zeigen wollten. Über einen alten, nach wie vor genutzten Friedhof wurden wir einige Schritte bergan geführt. Während wir den von Bäumen gesäumten Weg liefen, wurde Stück für Stück ein Bauwerk aus Stein sichtbar, das sich schließlich als ein gewaltiges Kreuz entpuppte. Ein typisches Irisches Hochkreuz stand vor uns, mehr als fünf Meter hoch. Vor einem anderen derartigen Kreuz standen wir kurz darauf, mit einer gewaltigen Höhe von mehr als sechs Metern. Auf beiden sind biblische Szenen zu sehen. Typologisch verweisen Personen des Alten Testaments voraus auf Christus. Seine Kreuzigung, seine Auferstehung, die Aussendung der Jünger bilden das Zentrum der Darstellung. Die beiden Kreuze stehen bei einem Kloster, das im 6. Jahrhundert gegründet wurde. Sie selbst gehen wohl auf das neunte Jahrhundert zurück und predigen seitdem das Evangelium; sie verkündigen es hinein in die Weite der irischen Landschaft.

Solche Kreuze dienten den Predigern des Evangeliums als visuelle Hilfe, wenn sie der Gemeinde Gottes Wort auslegten. Man traf sich am Kreuz, saß oder ging um das Kreuz herum, das auf allen seinen vier Seiten mit Motiven ausgestattet ist. Gewaltige Werke, Orte der Predigt, Mittel zur Weitergabe des Glaubens.

Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen wird häufig größeres handwerkliches Geschick nachgesagt als anderen Berufsgruppen im Verkündigungsdienst unserer Kirche. Sie sind besonders erfindungsreich darin, Situationen zu schaffen und Hilfsmittel zu nutzen, um den Menschen das Evangelium nahe zu bringen, Jungen wie Alten, Kirchengeübten wie Ungeübten. Solche Wege hat die Christenheit immer wieder gesucht; sie hat dabei jeweils die Materialien und Darstellungsformen ihrer Zeit genutzt.

Im Fall des Kreuzes von Monasterboice, das nun auf meinem Schreibtisch steht, sind es Mose und Aaron, die auf den kommenden Christus verweisen. Es ist der zweifelnde Thomas, dem von Christus der Weg zum Glauben geöffnet wird; es sind Petrus und Paulus, die den Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums erhalten. Es sind aber auch Longinus und Stephaton, die unter dem Kreuz stehen und als römische Soldaten ungewollt das Evangelium bezeugen. Aber auch die Pflanzen und Tiere, die auf diesem Kreuz zu sehen sind, verkündigen den Gekreuzigten und Auferstandenen als den Herrn über Leben und Tod. Für mich sind in dieser Woche die Irischen Hochkreuze zu einem Symbol für die Weitergabe des Glaubens geworden, auf die Gestalt des Kreuzes reduzierte Altäre, unübersehbare Zeichen der Vergewisserung im Glauben.

II.

Ein solches Kreuz kann wie jedes andere Bild oder katechetische Hilfsmittel das Wort Gottes nicht ersetzen. Nur der vermag die Szenen und Bilder der Bibel wieder zu entdecken, der sie auch kennen lernen konnte. Bilder und Skulpturen – sei es in Kirchen, auf Irischen Hochkreuzen, in der Malerei oder anderswo – schweigen für die Menschen, wenn sie nicht zuvor durch jemanden, der sich in den Verkündigungsdienst der Kirche stellt, mit den biblischen Erzählungen vertraut gemacht worden sind.

Diese Erzählungen sind nicht mehr selbstverständlich. Sie werden nur noch selten in den Familien weitergegeben. Dass wir einen Traditionsabbruch haben, zeigt sich an nichts deutlicher als an der zurückgehenden Fähigkeit, die Spuren zu lesen und zu deuten, die die biblischen Geschichten in unserer Kultur hinterlassen haben. Noch wichtiger freilich ist es, das eigene Leben im Spiegel der biblischen Erzählungen zu verstehen, ja zu begreifen, warum und wie uns in diesen Erzählungen Gottes Wort selbst und die Zusage seiner Gnade begegnen. Die biblische Botschaft wird weitergegeben, damit Glauben geweckt und gestärkt wird. Heute müssen wir diese Aufgabe in neuer Weise ernst nehmen. Wir brauchen ein missionarisches Bildungskonzept, auf dessen Grundlage wir Menschen, denen der christliche Glaube ganz unbekannt ist, an dessen Gehalte heranführen. Wir brauchen gemeindepädagogische Handlungsformen, mit deren Hilfe Christen so mit ihrem Glauben vertraut werden, dass sie auch anderen gegenüber einladend von ihrem Glauben sprechen können.

Bilder können dabei helfen; sie können das Wort unterstützen; sie können es aber nicht ersetzen. Denn der Glaube kommt aus der Predigt., aus dem Hören auf Gottes Wort.

Auch das Glaubensbekenntnis des jüdischen Volkes, das Schema Jisrael, beginnt mit dem Hören:

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

III.

Dem Hören kommt eine tiefe, geistliche Bedeutung zu. Über das, was wir hören, verfügen wir nicht. Wir empfangen es; es begegnet uns wie ein Geschenk.

Gewiss hat nicht alles, was wir hören, die Qualität eines Geschenks. Sinnlose Klingeltöne und leere Worte, wiederkehrende Melodien und Werbeslogans, aufbrausender Straßenlärm oder aufbrausender Streit – viele Geräusche erreichen unser Ohr, die wir nicht hören wollen und die uns nichts bedeuten. Die Konzentration auf das, was wir hören wollen, und die Abschirmung von dem, was uns am Hören eher hindert, bildet eine enorme Selektionsleistung. Es ist übrigens auch der Grund dafür, warum Menschen, die ein Hörgerät tragen, es in großen Runden so schwer haben. Sie hören die Geräusche der Umgebung, die Gespräche der Nachbarn in eben derselben Verstärkung wie die Worte ihres Gegenübers. Sie haben es schwer, aus den vielen Geräuschen die Worte herauszufiltern, auf die es jetzt gerade ankommt.

Der Glaube von Juden und Christen erwächst aus dem Hören. Er richtet sich auf Gott, der in der Geschichte handelt. Gottes Bund mit dem Volk Israel ist dadurch geprägt, dass sein befreiendes Handeln von Generation zu Generation weitergegeben wird. Im Strom dieser Tradition stand auch Jesus von Nazareth als Hörender wie als Lehrer. In der Tradition seines Lehrens, aber ebenso in der Tradition seines Todes und seiner Auferweckung steht die christliche Kirche als Hörgemeinschaft und als Erzählgemeinschaft des Glaubens. Dabei weiß sie, wie der Apostel Paulus gesagt hat, dass nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich. Das Volk Israel wie die Kirche Jesu Christi sind Verantwortungsgemeinschaften zur Weitergabe des Glaubens.

Sie werden heute eingesegnet für den Dienst der Verkündigung und dazu beauftragt, Menschen beim Hören zu helfen. Wenn Sie Gottes Wort zu Gehör bringen wollen, ist das eigene Hören auf das Evangelium die unerlässliche Voraussetzung. Für Sie geht es vordringlich darum, Gottes Wort zum Hören zu bringen, dabei aber das eigene Hören auf das Evangelium nicht zu versäumen. An Gott kann keiner aus sich selbst heraus glauben. An Gott, von dem Mose und die Propheten geredet haben und den Christen im Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen des Jesus von Nazareth bekennen, können wir nur glauben, wenn andere uns davon erzählen, wenn sie mit ihrem Leben und ihren Worten weitergeben, was sie selbst gehört haben. Ohne das Hören ist die Aufgabe der Verkündigung nicht zu leisten.

IV.

Darauf, dass unser Verkündigen bei den Hörerinnen und Hörern ankommt, können wir uns sorgfältig vorbereiten. Das haben Sie in Ihrer Ausbildung getan. Wir können Hilfsmittel dafür in Anspruch nehmen, von den Hochkreuzen der irischen Mönche bis zu den pädagogischen Materialien unserer Zeit. Dennoch bleibt all unser Bemühen darauf angewiesen, dass Gott selbst Verkündigen und Hören zusammenfügt. Das, was uns Menschen pädagogisch möglich und notwendig ist, bleibt immer von dem unterschieden, was allein Gottes gnädiges Handeln bewirken kann.

Wer glaubt, kann die Gewissheit im Glauben nur als ein Geschenk Gottes ansehen. Wir verfügen über den Glauben nicht so, dass wir ihn an den Nächsten einfach weitergeben könnten. Man kann vorbereitend zum Glauben hinführen. Man kann den Sinn eines Lebens aus Glauben beschreiben und in der Kirche erlebbar machen. Wir suchen die bildende und heilende Kraft des Evangeliums anschaulich zu machen. Wir suchen nach Darstellungsformen des Glaubens, die dem jeweiligen Lebensalter gemäß sind. Denn das Glaubensverständnis entwickelt und verändert sich im Lebenslauf. Denn es ist wichtig, dass die Erwachsenen nicht bei ihrem Kinderglauben stehen bleiben. Aber dass Glauben geweckt wird, ist dem Wirken Gottes selbst zu verdanken; sein Geist weht, wo er will.

Glauben heißt, so sagt es bereits das Bekenntnis Israels, den Herrn, deinen Gott, liebzuhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Wer glaubt, findet Gott in seinem Leben vor, er entdeckt ihn auf den Wegen seines Lebens.  Je früher ein Mensch in seiner Lebensgeschichte mit dem Glauben in Berührung kommt, umso nachhaltiger wirkt sich das im Lauf seines Lebens aus. Familien sind deshalb ein besonders wichtiger Ort, um zu lernen, was es heißt, auf Gott zu vertrauen und ihn zu lieben. Oft wird das Verhältnis zu Gott für ein ganzes Leben durch die Erfahrungen in der Familie vorgeprägt. Das zeigt, welch enorme Herausforderungen mit dem Rückgang religiöser Erziehung in den Familien verbunden sind. Umso dringlicher kommt den Begegnungen mit gelebtem Glauben in Gemeinde, Schule und Berufswelt eine wachsende Bedeutung zu. Wenn wir diese Einsegung hier auf der Dominsel in Brandenburg feiern, dann führt uns dieser Tag an einem Ort zusammen, an dem das Hören und das Weitersagen der frohen Botschaft jeden Tag in Andacht und Unterricht Tag für Tag im Mittelpunkt steht. Dieser Dom ist dadurch ein besonderer Symbolort für die Weitergabe der Glaubensbotschaft, die uns heute aufgetragen ist.

Die Irischen Hochkreuze, denen ich vor einer Woche begegnet bin, stehen an einem verlassenen Ort. Aber vielerorts erleben wir, wie Menschen sich den Symbolorten des Glaubens neu zuwenden. Sie suchen Orte für ihre spirituelle Sehnsucht, Räume für ihr Fragen nach Gott. Und vor allem Menschen, die ihnen beim Hören helfen. Ich bin froh, dass Sie sich in den Dienst nehmen lassen, den Dienst des Hörens und des Antwortens. Dazu segne Sie Gott!

Amen.