Predigt im Ordinationsgottesdienst in Zossen am Sonntag Kantate (Offenbarung 15,2-4)

28. April 2002

I.

Den Wechsel der Gefühle können wir nicht beherrschen. Dass uns widerstreitende Gefühle überfallen, können wir nicht ändern. Den Situationen, in die wir gestellt werden, müssen wir gerecht werden – ob diese Situationen zusammenpassen oder nicht.

So ist es an diesem Tag: Widersprüchliche Gefühle bewegen uns, gegensätzliche Empfindungen bestimmen uns an diesem Tag. Nach wie vor sind wir gefangen in den Gefühlen der Trauer und Ohnmacht, des Mitgefühls und auch des Zorns angesichts des schrecklichen Geschehens von Erfurt. Die tastenden Informationen über mögliche Hintergründe des Sterbens von Lehrerinnen und Lehrern, einer Schülerin und eines Schülers, einer Sekretärin und eines Polizisten und schließlich des Täters selbst ändern nichts an unserer Fassungslosigkeit. In unser Mitgefühl mit den Hinterbliebenen und den Verängstigten mischt sich die Frage: Und du? So plötzlich kann ein Ende sein. Wir brauchen Raum zur Klage

Und auf der anderen Seite der Beginn. Wir feiern einen festlichen Gottesdienst. Wir freuen uns über den größten Ordinationsgottesdienst in unserer Kirche seit sehr langer Zeit. Wir erbitten Gottes Segen für den Weg von fünfzehn Pfarrerinnen und Pfarrern, denen die Verkündigung von Gottes gutem, befreiendem Wort zur Lebensaufgabe wird. Wir blicken dankbar auf den Weg, auf dem sie bis zu diesem Tag geführt wurden. Wir danken Gott dafür, dass er sie in seinen Dienst beruft. Wir erbitten seinen Segen. Wir brauchen Raum zum Gotteslob.

Klage und Lob – manchmal rücken sie ganz nah zusammen. So ist es heute. In dieses Miteinander von Klage und Lob trifft ein biblisches Wort, das auch beides miteinander verbindet: die Bedrängnis und die Verheißung. In einem Lied der frühen Christenheit ist beides miteinander verbunden – in einem Lied, das der Seher Johannes in seiner Offenbarung überliefert.

„Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.“

(Offenbarung 15,2-4)


II.

Das Bedrängende scheint hier auf im Bild des Tiers und in der Zahl seines Namens. Geheimnisvoll klingt das und ist doch zu entschlüsseln. Der römische Kaiser ist mit dem Tier gemeint und mit ihm die Machthaber seiner Zeit. 666 heißt die Zahl, die schon dem Kaiser Nero, dem Christenverfolger, zugeschrieben wurde und mit ihm auch seinem Nachfolger Domitian, zu dessen Zeit die Offenbarung des Johannes verfasst wurde. Wenn wir den Verfasser auch auf der Insel Patmos suchen sollen, so stammt doch dieses letzte Buch der Bibel nicht von einer Insel der Seligen. Das Lied der Befreiung, das es singt, wird aus der Bedrängnis heraus angestimmt. Es geht ums Leben. In dieser Gefährdung und aus ihr heraus wird das Lied der Freiheit angestimmt.

An die Erfahrung des Exodus wird erinnert, des Auszugs aus Ägypten, die Befreiung von dem Joch der Sklaverei. Wie damals so werden auch jetzt Wasser und Feuer, das Meer und die Feuersäule zu Zeichen der göttlichen Befreiung. Ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt. In der verheißenen Wirklichkeit Gottes hat die Unverträglichkeit von Feuer und Wasser ein Ende. Alles ist licht und transparent. Das Feuer verliert seine verzehrende Kraft, das Wasser erstickt nicht mehr. Aus den bedrohlichen Fluten des Himmelsgewölbes ist die Bodenplatte eines göttlichen Thronsaals geworden.

Dass die Wirklichkeit durchsichtig wird, ist eine Hoffnung, die wir nachvollziehen können. Sie spiegelt sich beispielsweise in der Architektur unserer Tage. Auch sie will die Wirklichkeit wie ein gläsernes Meer wahrnehmen. Norman Foster gibt dem Reichstag in Berlin eine gläserne Kuppel; viele moderne Gebäude sollen durch Glaswände den Eindruck von Klarheit und Leichtigkeit vermitteln. In einer Wirklichkeit, die durch rasche Veränderung und Unübersichtlichkeit geprägt ist, sollen sie Einblick und Ausblick gewähren. Das Bedrohliche soll sich in Klarheit verwandeln.

Doch unser Glaube erwartet diese Klarheit nicht von architektonischen Künsten. Sie sind im günstigsten Fall Zeichen und Abbild, Hinweis und Vorschein auf die Wirklichkeit, in der allein eine letzte Klarheit erhofft werden kann. Ein Loblied Gottes wird angestimmt, in dem allein diese Klarheit sich erschließt. Das Lied des Lammes wird angestimmt, das Lied Jesu Christi, der die Bedrängnis auf sich genommen hat. Nur deshalb sehen wir über diese Bedrängnis hinaus.

Der Name muss genannt werden, der uns in der Bedrängnis die Freiheit verbürgt. In den Machtbereich dieses Namens werden wir hineingenommen, wann immer der Name Gottes im Segen auf uns Menschen gelegt wird. Grundlegend geschieht das in der Taufe. Angeknüpft wird daran in jedem Gottesdienst, der mit der Zusage des göttlichen Segens schließt. Intensive Gestalt gewinnt es an besonderen Wendepunkten des Lebens, an denen uns ganz persönlich der Name Gottes und sein Zeichen, das Zeichen des Kreuzes zugeeignet wird.


III.

Auch heute geschieht das. Ihnen, liebe Ordinandinnen und liebe Ordinanden, wird Gottes Segen zugesagt. Sie werden nicht nur in die Pflicht genommen, in eine schöne und manchmal auch bedrängende Pflicht. Ihnen wird nicht nur etwas abverlangt, ein wunderbar freier, aber zugleich auch besonders verpflichtender Beruf. Ihnen wird Segen zugesprochen. Sie dürfen sich darauf verlassen, dass Ihnen immer wieder Kraft zuwächst in ihrem Tun. Sie dürfen darauf vertrauen, dass Ihr Dienst an Wort und Sakrament getragen ist. Sie können gewiss sein, dass sie auf festem Grund stehen. Sie brauchen sich nicht vor den Fluten zu fürchten, in denen sie ertrinken könnten. Schon jetzt wissen Sie: Daraus ist ein gläsernes Meer geworden, auf dem sich stehen lässt. Sie brauchen sich nicht vor dem Feuer zu ängstigen, das sie zu verzehren droht. Es ist das Feuer der Freiheit, das Licht des Lebens, in dem sie atmen und sich bewegen können.

Sie haben auf diesen Tag lange gewartet. Mit Ihnen zusammen waren manche unterwegs, die an diesem Ziel nicht oder noch nicht angekommen sind. Auch sie haben wir heute im Sinn, auch sie schließen wir ein in unsere Bitte um Gottes Segen. Es ist wahr: Der Weg in den Entsendungsdienst, der mit dieser Ordination an ein feierliches Ziel kommt, hat oft an Haltestellen des Wartens geführt. Schon die Ausbildungsstrecken waren oft lang genug; aber das Umsteigen vom Studium ins Vikariat und vom Vikariat in den Pfarrdienst war noch einmal mit besonderen Aufenthalten und Ungewissheiten verbunden.

Umso wichtiger ist es, dass wir an diesem Tag deutlich sagen – und dass es auch von der nachwachsenden Generation der Theologinnen und Theologen deutlich gehört wird: Unsere Kirche braucht den Dienst derer, die heute zur öffentlichen Verkündigung des Evangeliums und zur Verwaltung der Sakramente ordiniert werden. Das Zeugnis unserer Kirche ist angewiesen auf die hinzukommenden Generationen von Pfarrerinnen und Pfarrern, die in diesen Dienst eintreten. Der Dienst von Pfarrerinnen und Pfarrern wird gebraucht; und wir hören nicht auf, um den Dienst junger Theologinnen und Theologen zu werben und sie in diesen Dienst zu berufen. Der heutige Tag, an dem eine so große Zahl von Pfarrerinnen und Pfarrern ordiniert wird, soll und kann ein Zeichen der Ermutigung sein – auch einer Ermutigung dafür, sich auf diesen Weg zu begeben.

Das Lob Gottes muss gerade in den Bedrängnissen unserer Zeit laut werden und sich Bahn brechen. In jedem Gottesdienst geschieht das. In unseren Gebeten und Liedern bringen wir vor Gott, was uns bedrängt. Jeder Gottesdienst ist ein Spiegel unserer Ratlosigkeit und unserer offenen Fragen. Aber in jedem Gottesdienst erleben wir auch einen Vorschein der letztgültigen Wirklichkeit Gottes, die allein unserem Leben und Handeln eine klare Richtung weisen kann. Dieser Bewegung zu dienen – gibt es einen schöneren Beruf als diesen.

Dass Sie diesen Weg gehen, feiern wir am Sonntag Kantate. Singet dem Herrn ein neues Lied. Denn er tut Wunder. Das ist der Grundton dieses Tages. An diesen Grundton wollen wir uns halten. Dass dieser Grundton Ihren Dienst bestimmt, ist unser aller Wunsch. Gott gebe seinen Segen dazu. Amen.