Bibelarbeiten auf dem 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart

Margot Käßmann

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Guten Morgen in Stuttgart!

Ich hoffe, Sie alle hatten einen sehr schönen Abend der Begegnung. Heute früh beginnen wir nun mit einer Bibelarbeit. Ich freue mich, dass ein Posaunenchor wie es nun schon Tradition ist, meine Bibelarbeit begleitet. Denn das gemeinsame Singen vertieft das Hören und das Gemeinschaftsgefühl, davon bin ich überzeugt. Martin Conrad und der Gruppe, die er zusammengestellt hat, sei schon jetzt herzlich gedankt. 

Wir finden den Bibelarbeitstext im Liederbuch ZeitWeise auf Seite 160. Ich lese ihn zur Einstimmung in der Lutherübersetzung laut vor: Lukas 16,1–13.

Offen gestanden, als ich letzte Woche über dieser Bibelarbeit gebrütet habe, konnte ich gut nachvollziehen, was ein Kollege sagte: „Als ich den Text gelesen habe, bin ich doch lieber auf den Freitag gegangen für die Bibelarbeit, das ist so ein klarer, fröhlicher Text.“ Aber da hatte ich schon zugesagt für heute ;-). Und Herausforderungen soll der Mensch ja auch nicht ausweichen. 

In der Exegese ist umstritten, ob es sich bei diesem Text um ein Gleichnis handelt, der Verwalter dadurch etwa zum Vorbild wird für ein Handeln angesichts des nahenden Reiches Gottes. Andere sehen hier eher eine „vergessene Beispielgeschichte“, in der Jesus von Menschen erzählt, „die in ihrem Verhalten selbst gegen Konventionen verstoßen.“1 Viele sehen die Geschichte auch als Parabel. Sie steht im Kontext anderer Beispielgeschichten über die Verführbarkeit durch die Welt des Reichtums – die Geschichte vom Reichen Jüngling steht unmittelbar davor und die vom reichen Lazarus folgt noch im selben Kapitel. Die meisten Exegeten sehen unseren Bibeltext für heute Morgen daher als Warnung vor der Verführbarkeit des Mammon, ja vor der dämonischen Wirkung, die Geld entfalten kann. Einzelne Exegeten meinen, dass Jesus hier auf einen Skandalfall Bezug nimmt, den es gegeben und der die Leute unmittelbar beschäftigt hat. Das wäre so wie bei uns, wenn Herr Hoeneß oder Herr Blatter im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen und erwartet wird, dass Menschen das einordnen nach dem Motto: Was sagt Jesus dazu?

Klar wird: Wir sollen lernen vom schlauen Verhalten des Verwalters – aber, so fragen viele, in welche Richtung? Anvertrautes Geld verschleudert der „verlorene Sohn“ ebenso wie der „untreue Verwalter“. Der Sohn kommt reuig zurück und wird vom Vater aufgenommen. Der Verwalter veruntreut Geld zur Entlastung von Menschen, aber mit dem Eigennutz, dass sie dafür ihm dankbar sein werden. Das könnten wir durchaus positiv sehen. Kerstin Schiffner, die für diesen Kirchentagstext eine exegetische Skizze erarbeitet hat, stellt den Verwalter in einen Zusammenhang mit anderen Erzählungen bei Lukas über Menschen, die sich nicht an Konventionen halten. Sie schreibt: „Diese Menschen stellen sich gegen das herrschende System, destabilisieren es, stellen durch ihr Tun scheinbar Selbstverständliches infrage und leisten damit Widerstand – allerdings nicht in großem Maßstab, sondern in ihren eigenen Bezügen.“2 Das hat mir sehr eingeleuchtet und für mich ist das – um es vorweg zu nehmen – der Schlüssel zum Text. 

Im Folgenden möchte ich mit Ihnen den Text und vor allem die involvierten Personen genauer anschauen. Anschließend geht es um das System, in das wir eingebunden sind. Schließlich ist die Frage, ob wir überhaupt handeln können. 

Lied 7 „Dich rühmt der Morgen“

Teil 1: Die handelnden Personen

Zuallererst ist da der reiche Mann. Er besitzt Grund und Boden im Ausland und hat dazu einen ziemlich selbstständigen Verwalter eingesetzt. Das war in der Zeit des Neuen Testaments offenbar sehr üblich und das kennen wir ja auch heute: Scheichs aus Saudi Arabien besitzen Anteile an VW in Wolfsburg, Deutsche kaufen Land in Thailand und lassen diesen Besitz schlicht verwalten.

Es ist merkwürdig, dass dieser Reiche in der Exegese eigentlich gar keine Rolle spielt. Er wird geschont mit Kritik. Dabei könnte er doch leicht kritisiert werden. Zum einen scheint er ganz selbstverständlich Gewinn zu machen, in dem er anderen etwas leiht und sich Zins und Zinseszins dafür zahlen lässt. Und da geht es nicht um kleine Summen! Allein die hundert Eimer Öl, die genannt werden, entsprechen, so wurde berechnet, der Summe von 146.000 Denaren, ein Einkommen, das eine billige Arbeitskraft in 500 Jahren erzielen würde. Das heißt: Für diesen Menschen spielt Geld im Alltag keine Rolle mehr, weil er schlicht mehr als genug davon hat. Ob dieser Mann Verantwortung übernimmt in der Gesellschaft, wie er lebt, davon wissen wir nichts, daran gibt es aber auch keine Kritik.

Auch wird nicht kritisiert, dass dieser Mann ganz offensichtlich auf Gerüchte hin handelt. Der Verwalter wird ja nur beschuldigt – in der Kirchentagsübersetzung heißt es „verdächtigt“ –, Geld verschleudert zu haben. Aber der reiche Mann hört auf das Gerücht und entlässt seinen Angestellten. Knallhartes Durchsetzungsvermögen, würde das heute wohl heißen. So eine Art Herr Piëch zu neutestamentlichen Zeiten – obwohl der ja vor Kurzem nicht mehr durchgekommen ist mit solchem patriarchalen Gehabe. In jedem Fall handelt es sich bei dem reichen Mann um einen Machtmenschen. Der hört sich nicht groß an, was die anderen zu sagen haben. Er hat das Geld, also bestimmt er wie die Sache läuft. Es geht auch gar nicht darum, ob er nachweislich geschädigt wurde, einen Gewinnverlust zu befürchten hat. Es geht um die pure Ausübung von Macht, die meint, sich nicht rechtfertigen zu müssen. 

Natürlich gibt es Menschen, die reich sind. Reichtum an sich wird in der Bibel ja gar nicht verurteilt. Aber die Frage ist, wie ich damit umgehe. Bei einem Vortrag fragte mich mal ein Mann: „Es tut mir Leid, ich bin reich. Heißt das, ich komme jetzt nicht ins Himmelreich?“ Aber nein. Der berühmte Reiche, der schwerer ins Himmelreich kommt als ein Kamel – oder wie andere übersetzen ein dickes Tau – durch ein Nadelöhr, hat das Problem ja nur, weil er so sehr am eigenen Reichtum hängt. Der Reichtum hält ihn fest, macht in unfrei. Ihm fehlt die Freiheit, loszulassen, weil er am Ende meint, sein Leben hänge am Haben – das ist der fundamentale Irrtum, der die Freiheit einschränkt.

Und natürlich gibt es Menschen, die Macht haben. Eine Welt ohne Macht ist Illusion. Aber die Frage ist, wie ich mit Macht umgehe, welche Haltung ich habe zur Macht. Verstehe ich sie als geliehen, als Verantwortung, der ich gerecht werden muss? Gehe ich rechenschaftspflichtig mit ihr um? Was uns an Menschen mit Macht – sei es Geld, Einfluss oder Amt – so zornig werden lässt, ist die Arroganz der Macht, die meint, die eigenen Ziele, zu denen diese Macht gebraucht wird, müssten nicht mehr erläutert oder gar transparent werden. Genau das führt zu Verdruss nach dem Motto: „Die da oben, denen kann ja doch keiner trauen, denen geht es nur um sich selbst.“ Kurzum: Ein Sympathieträger ist dieser reiche Mensch nicht. Aber er kommt gut weg im Gleichnis, er wird nicht kritisiert.

Ganz anders die zentrale Figur, der Verwalter – wie Luther übersetzt – oder auch Geschäftsführer – wie die Übersetzung für diesen Kirchentag ihn bezeichnet. Erst einmal verteidigt er sich nicht. Das legt doch den Verdacht nahe, dass er tatsächlich schuldig ist. Oder? Gilt nicht auch für die Hörenden und Lesenden dieser Geschichte die Unschuldsvermutung? Vielleicht sagt er sich ja: Hat keinen Zweck. Wenn sie dich erstmal am Wickel haben, finden sie schon etwas, das an dir hängen bleibt. Das ist so ein wenig wie das Gefühl, das manche in der Mediengesellschaft haben. Jeder hat irgendeinen Schwachpunkt, nobody is perfect. Wenn die Jagdsaison eröffnet ist, alle Bekannten, Freunde und Verwandten befragt werden, alle Texte, Rechnungen, Steuererklärungen und Doktorarbeiten überprüft sind, wird irgendjemand irgendetwas finden, irgendein Detail, das skandalisiert werden kann. Vielleicht sagt er sich deshalb: Da gebe ich gleich auf. Oder er hat tatsächlich gemauschelt, gar betrogen und denkt, Gegenwehr ist sinnlos, Vergebung gibt es ohnehin nicht und zuhören wird mir auch niemand.

Also wird er zum Strategen: Was tun in einer so vertrackten Situation? Und da wird der Mann ziemlich kreativ, finde ich. Er sagt sich, dass seine Alternativen Betteln oder schwere Arbeit sind. Beides keine attraktiven Ziele, in der Tat. Wie wäre es, sich über gute Beziehungen Zukunftschancen zu schaffen? Das ist ziemlich clever. Bei der nächsten Bewerbung ist der, dem er die eine Schuld zur Hälfte erlassen hat, vielleicht im Aufsichtsrat. Beim kommenden Postengeschacher ist der, dem er die Weizenschuld reduziert hat, vielleicht die entscheidende Stimme für eine Mehrheit. 

Ganz klar ist: Dieser Verwalter ist kein Robin Hood als Rächer der Enterbten und Schützer der Witwen und Waisen! Er sorgt für sich selbst und schafft Beziehungen, in denen er etwas gut hat auf Kosten des reichen Mannes, der ihm sein Gut anvertraut hat. Aber wie wollen wir das werten – genau das ist die Frage der Exegeten, die ich oben genannt habe. Soll dieser Mann uns abschrecken, weil er untreu ist gegenüber seinem Arbeitgeber? Oder soll er uns Vorbild sein, weil er seine Macht benutzt, um Schulden zu erlassen, und damit das ungerechte System durchbricht?

Wie die, denen die Schulden erlassen werden, reagieren, wissen wir im Detail nicht. Ob sie wirklich so dankbar sind, wie der Verwalter es sich erhofft, und ihn aufnehmen in ihr Haus oder ihm helfen, Fuß zu fassen? Oder war das doch nur ein allzu frommer Wunsch, eine vage Hoffnung?

Auf jeden Fall ist das Erlassen von Schulden gutes biblisches Gebot. Im fünften Buch Mose heißt es: „Alle sieben Jahre sollst du ein Erlassjahr halten. So aber soll´s zugehen mit dem Erlassjahr. Wenn einer seinem Nächsten etwas geborgt hat, der soll´s ihm erlassen und soll´s nicht eintreiben von seinem Nächsten oder von seinem Bruder, denn man hat ein Erlassjahr ausgerufen dem Herrn.“ (15, 1f.) Der Erlass von Schulden sollte einen neuen Anfang, ja Freiheit ermöglichen. Und das ist eine Realität bis heute. Unser Insolvenzrecht hat das Prinzip übernommen: Auch Menschen, die in die Insolvenz gehen, müssen eine neue Chance bekommen und sie erhalten sie gut biblisch nach deutschem Recht nach sieben Jahren. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Menschen frei werden können von Schuld und Schulden und neu anfangen dürfen.

Oja, sie werden sich gefreut haben, die Schuldner, über das Angebot, die Schulden mit einem Handstreich zu reduzieren. Die Ärmsten der Armen waren sie offenbar nicht. Aber solche Schulden drücken, sie lähmen. Was für eine Freiheit, davon loszukommen. Der Verwalter durchbricht schlicht die Logik des Systems und schafft so Wege in die Zukunft. Das wäre mal eine Vision für Griechenland! Nicht auf den festgefügten Pfaden trampeln, sondern Raum schaffen für Kreativität. Ach, da kann der etwas schillernde Verwalter doch Wege weisen. Es heißt ja stets, Visionen sind nicht hilfreich, Realpolitik brauchen wir. Aber Durchbrüche schaffen wohl nur Regelbrüche im System. 

Schließlich ist da Jesus, der das Gleichnis erzählt. Er übernimmt sozusagen ab Vers 8 und interpretiert die Beispielgeschichte. Er lobt tatsächlich die vermeintliche Klugheit des Verwalters. Wir können nun nachdenken: Lobt er ihn, weil er clever ist? Lobt er ihn, weil er für seine Zukunft sorgt? Das wäre ja sehr einleuchtend, er weiß am Ende, dass ein guter Leumund bei den Leuten mehr wert ist als ein guter Stand beim Arbeitgeber. Interessant finde ich eine Interpretation, die meint, dass Jesus, wenn er sagt, dass die Kinder der Welt klüger sind als die Kinder des Lichts auf die Gemeinschaft von Qumran anspielt.3 Steht diese Gemeinschaft für „die Kinder des Lichts“, wie sie sich wohl selbst bezeichnet hat, dann sagt Jesus, dass wir manchmal mehr von den Menschen mitten in der Welt lernen können, als von den vermeintlich Frommen, die sich abseits der Welt wähnen in wohl temperierten, sicheren Zirkeln, in denen keine Fragen gestellt werden. 

Am Ende geht es um Vertrauen. „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu“ (16,10). Vertrauen ist schnell verspielt. Und nichts ist so schwer zurückzugewinnen wie Vertrauen. Das wissen wir aus persönlichen Beziehungen. Das wissen wir aus Politik, Wirtschaft und auch aus unserer Kirche. Voigt schreibt: „Die von Jesus den Menschen gestellte Entscheidungsfrage lautet also nicht: Gut oder böse, gerecht oder ungerecht, fromm oder gottlos; sie fragt nicht, was der Mensch aus sich heraus sein will, sondern wem der Mensch gehört.“4

Wem gehört der Mensch? Ja, das ist die entscheidende Frage. Gehören wir der Welt des Mammon oder sind wir als Menschen, die Gott vertrauen, in der Lage, selbstbestimmt zu leben, eine eigene Haltung zu entwickeln, ja gar widerständig zu sein? Dem gehe ich gleich nach, aber erst einmal singen wir: 

Lied 92 „Sonne der Gerechtigkeit“

Teil 2: Fragen an die Welt des Mammon

Nun, ich bin dezidiert keine Wirtschaftswissenschaftlerin, sondern Geisteswissenschaftlerin, Theologin. Daher kann ich es mir leisten, ein paar simple Fragen zu stellen, die mich schon immer interessiert haben in der Welt des Mammon, die ja angeblich ihre ganz eigenen Gesetze hat. Das Wort Mammon leitet sich ursprünglich vom aramäischen Wort mamona (Vermögen, Besitz) ab. Es gelangte über seine griechische Schreibweise in die Bibel, in der Vulgata, der lateinischen Übersetzung des griechischen Neuen Testaments wurde daraus mammona. Martin Luther übersetzte das Wort nicht und so gelangte es ins Deutsche. So wurde Mammon zum Synonym für personifizierten Reichtum, der Menschen zu Geiz und Habgier verführt.

Der Verwalter, von dem im Text die Rede ist, wird im griechischen Urtext mit „oikonomos“ bezeichnet. Er ist ein freier Mann, der in der Welt der oikonomia sein Geld verdient. Oikonomos aber leitet sich ab von oikos und das bezeichnet griechisch das Haus. Was ökonomisch getan, gedacht, verhandelt wird, findet also nicht im Abseits statt und kann auch nicht eigene Regeln für sich beanspruchen. Nein, es muss dem Haus, dem Ganzen, dem Gemeinwohl dienen. Es geht nicht um eine Ökonomie, ein Wirtschaften für die Bereicherung Einzelner im Oikos, sondern um eine Ökonomie für das Leben. Und es geht auch nicht um ein Wirtschaften allein mit den Tatkräftigen und Handlungsfähigen, wie es so gern unterstellt wird, als seien Leistungsträger diejenigen, die den Oikos ausmachen. Es geht um ein Wirtschaften mit allen, denn auch diejenigen, die nicht entlohnt werden, wenn sie Kinder erziehen oder Alte pflegen, auch diejenigen, die schlecht entlohnt werden, weil ihr Handeln weniger angesehen ist in der Gemeinschaft, selbst diejenigen, die nicht oder nicht mehr leistungsfähig sind, sie alle sind Teil des Oikos. Nach christlichem Verständnis ist niemand mehr wert als der andere, auch wenn er noch so ein großartiger homo oeconomicus zu sein meint oder scheint. 

Lassen Sie uns ein paar Fragen nachgehen heute Morgen.

Wo ist eigentlich das Geld, das weg ist?

Ein Kollege an der Emory Universität in Atlanta hat mir erzählt, dass er vor ein paar Jahren ein Haus gekauft hat für 280.000 Dollar. 100.000 hat er abgezahlt. Dann kam der große Crash. Heute ist sein Haus noch 150.000 Dollar wert. Das heißt, er hat 100.000 für nichts abgestottert, 180.000 Dollar Schulden, von denen 30.000 noch nicht einmal durch das Haus gedeckt sind. Was steckt dahinter? Die Experten sagen mir: „Das war die Blase“. Aber wer hat denn die Blase aufgeblasen? Wir können doch nicht so tun, als sind wir Ausgelieferte an irgendwelche Systeme, an „den Markt“ oder konkreter „den Finanzmarkt“. Nein, da agieren Menschen und sie agieren mit Gier. Und diese Menschen sollten für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden. 

Ich persönlich besitze keine Aktien. Und deshalb kann ich nicht verstehen, warum mit meinen Steuergeldern eine Bank gerettet werden soll, die sich verspekuliert hat. Da werden die Gewinne privatisiert, aber die Verluste sozialisiert. Das ist absurd. Das Geld ist ja nicht „weg“, es hat sehr wohl der Bereicherung einiger weniger gedient. Hier müssen in der Tat die richtigen Fragen gestellt werden.

Wie entstehen Schulden?

Jeder, der mit den eigenen Kindern schon einmal Monopoly gespielt hat, begreift in Grundsätzen das Spiel des Kapitalismus. Dreimal hintereinander auf der Schloßallee mit einem Haus bebaut gelandet und du bist pleite. Wenn du aber die Schloßallee besitzt, kannst du derweil anfangen, Hotels zu bauen. Sobald es soweit ist, eskaliert alles ganz schnell und das Spiel dem Ende neigt sich entgegen – ich weiß, von manchen Eltern dann in der Tat auch herbei gesehnt. 

Schulden entstehen schnell, weil Menschen von kleinen Verstrickungen in große geraten. Irgendwann stecken sie in der Schuldenfalle, weil der nicht bediente Handyvertrag, das beim Versandhaus bestellte Sofa, das sofort geliefert, aber später bezahlt werden konnte, eben doch nicht bezahlt wurde. Und dann sagt die Schufa, sozusagen die NSA unseres Einkaufsverhaltens: Nicht kreditwürdig. 

Nicht nur Staaten verschulden sich, sondern auch Menschen, gerade Menschen mit geringem Einkommen geraten allzu schnell in die Schuldenfalle. Da gibt es selten einen Verwalter, der ihnen heraus hilft und dem sie vertrauen können. Eher kommen die Lockangebote: „Handyvertrag ohne Schufaauskunft“ oder – hatte ich letzte Woche als Wurfsendung im Briefkasten – „Umschuldung – einfach, schnell, diskret“. Wer einmal verschuldet ist, ob Einzelperson oder Staat, gerät ganz schnell in einen Strudel der Verstrickung, an dem sich wieder andere bereichern.

Warum muss ein Lottogewinner sein Geld unbedingt gewinnbringend investieren?

Als kürzlich 90 Millionen im Jackpot waren, gab es viele Ratschläge für potentielle Gewinner. Hauptratschlag war: Auf jeden Fall das gewonnene Geld sehr gut und sinnvoll investieren. Warum eigentlich? Ist das die Logik des Marktes, dass Geld sich immer vermehren muss. Der Lottogewinner oder die Lottogewinnerin könnten sich doch schlicht freuen an dem unerwarteten Geldsegen und ihn zum Segen für viele machen. Aber nein, mehr muss es werden. Eine „Ethik des Genug“, die dem Seelenfrieden sicher zuträglich wäre, kommt nicht zum Zuge.

Wer hat die Idee erfunden, dass Geld arbeitet, dass Geld sich immer vermehren muss?

Wer gut investieren will, was er hat, investiert am besten in Rüstung. Das ist ein Geschäft, das sich immer lohnt. Und die Kriege und Bürgerkriege, die derzeit toben, machen Rüstung zu einem todsicheren Geschäft im wahrsten Sinne des Wortes. Deutsche Finanzinstitute betreiben milliardenschwere Geschäfte mit Atomwaffenherstellern. Der niederländische Verband von Pax Christi hat gezeigt, dass zwischen 2010 und 2012 die deutschen Investitionen in Firmen, die Atomsprengköpfe und Trägersysteme produzieren, 7,6 Milliarden Euro betrugen. „Die Deutsche Bank ist für fast die Hälfte dieses Betrages verantwortlich. Sie investierte laut der Studie unter anderem über Aktien, Anleihen und Kredite mehr als 3,5 Milliarden Euro in Hersteller von Atomwaffensystemen. Auf Rang zwei folgt die Commerzbank mit 1,7 Milliarden Euro. Sie unterhält Beziehungen zu neun dieser Unternehmen.“5 Und die jüngsten Kriege in Nordafrika, dem Mittleren und Nahen Osten lassen das Geschäft aufblühen. Wenn Sie einmal anfangen, sich im Internet umzuschauen, finden Sie die atemberaubendsten Begründungen für Rüstungsinvestitionen. Eine nur will ich als Beispiel nennen, die Webseite „GeVestor“ mit dem schönen Untertitel „Scharfsicht zahlt sich aus“. Dort schreibt David Gerginov: „Mit Aktien von Rüstungskonzernen Geld zu verdienen erscheint zwar bedenklich zu sein, jedoch muss bedacht werden, dass die Konzerne weder ausschließlich Waffen produzieren noch für die jeweiligen Konflikte in den Ländern verantwortlich sind. … 

Rüstungsaktien: Günstig, zukunftsorientiert und wachstumsstark

Für die Zukunft werden Aktien von Rüstungsunternehmen ebenfalls gute Chancen eingeräumt. Die Gewinnaussichten stimmen und der Markt für Rüstungsausgaben wächst weltweit seit Jahren. 1.700 Mrd. US-$ umfasst dieser Markt mittlerweile und obwohl beispielsweise die USA bei dem Thema in den letzten Jahren etwas gespart haben, fließt das Geld aus allen Krisengebieten (Naher Osten, Osteuropa und Nordafrika) in die Rüstung. … Experten bescheinigen den Rüstungskonzernen ein Kurspotenzial von bis zu 26 %.“6

Liebe Kirchentagsgemeinde, das ist keine Ironie, das ist nicht zynisch gemeint, das habe ich auch nicht erfunden. Das ist das Gesetz des Marktes. Da fällt die Selbstrechtfertigung leicht: Es werden ja nicht nur Waffen produziert und was können die Rüstungskonzerne schon für die Konflikte in diesen Ländern. Hier zeigt sich die absolute Verantwortungslosigkeit, wenn Gier – oder sagen wir: Dividende – zum einzigen Kriterium des Handelns wird. 

Die Welt des Mammon meint, ihre eigenen Gesetze zu haben. Wer einmal verschuldet ist, kommt nicht mehr raus aus der Mühle, es gibt keinen Neuanfang. Geld muss sich vermehren, koste es, was es wolle. Reiche sollten nicht teilen. Moralische Maßstäbe für Investitionen scheint es nicht zu geben.

Der Verwalter in unserer Geschichte wirkt nicht wirklich sympathisch. Aber in der Tat, er durchbricht die Regeln. Was immer sein Motiv sein mag: Eigenvorsorge, sich Einschleimen oder gar Mitleid, ja vielleicht sogar ein Bruch der Systemlogik, es ist anregend. Weil er einen Weg geht, der nicht der Logik des Geldes entspricht, sondern anderes in den Blick nimmt. Er hängt sein Herz am Ende nicht an den Gott Mammon, sondern entscheidet sich, mit den Regeln der Welt des Mammon auf Beziehungen zu setzen, auf andere Menschen, ja auf Dankbarkeit. Sie scheinen ihm am Ende zukunftsträchtiger zu sein als alles andere. 

Ich schlage vor, dass wir jetzt erst einmal Gott loben. Das ist zweckfrei, dafür zahlt ihnen niemand etwas. Es bringt auch nicht unmittelbar etwas, ist kein Konsumgut. Damit steigen wir schon ein wenig aus aus der Logik und den Gesetzen der Welt des Mammon. Das tun wir übrigens mit jedem Sonntagsgottesdienst auch. Danach möchte ich gern der Frage nachgehen, ob wir eigentlich Handlungsspielräume haben. 

Lied 53 „Ich lobe meinen Gott“

Teil 3: Ausgelieferte oder Handelnde im Oikos Gottes

Nein, wir sind nicht ausgeliefert an Systeme. Wir können handeln. Wenn diese Welt Gottes Schöpfung ist – und das glauben wir als Christinnen und Christen – sind wir keinen aufgezwungenen Gesetzen des Marktes untergeordnet. Dann können wir als Haushalterinnen und Haushalter diesen Oikos gestalten. Das kostet Kraft und Nerven, manchmal auch Bequemlichkeit und Ansehen, aber es ist eine klare Konsequenz unseres Glaubens.

Wir sind alle Teil des Systems von Geld und Macht. Gewiss, manche versuchen auszusteigen, indem sie eine Kommunität gründen, alternativ leben, gar auswandern. „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ heißt ein geflügeltes Wort des Philosophen Theodor Adorno. Ursprünglich heißt der Satz in seinen Minima Moralia: „Es läßt sich privat nicht mehr richtig leben.“ Viele von uns haben dieses Gefühl, denke ich. 

Schon Augustin, den Martin Luther intensiv studiert hat, sagt in seiner Schrift über den Staat: „Was anders sind also Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden?“8 Luther stimmt dem zu und wendet sich in mehreren Schriften leidenschaftlich gegen Wucher und Monopole. Seine Kritik richtete sich gegen das Handels- und Wucherkapital des Frühkapitalismus, das Gebaren der großen Bankhäuser wie der Fugger, die Gier nach dem Gold der Azteken. Er misst das Verhalten am ersten Gebot und sieht, wie Geld zum Götzen Mammon wird. Denn nur durch eigenes Dazutun sei die Vermehrung des Reichtums gerechtfertigt. Das stimmt ja auch heute: Geld arbeitet eben nicht. Und Wucherzins bleibt unvertretbar.

Die Finanzkrise hat gezeigt, wohin es führt, wenn Geldwirtschaft auf schnelle spektakuläre Gewinne hin orientiert ist. Zins an sich wird heute in der Weltwirtschaft insgesamt nicht in Frage gestellt, auch nicht bei Kleinstkrediten etwa im Bereich der Entwicklungsorganisationen. Auch Kirchen legen Rücklagen an etwa für die Pensionskasse. Aber Wucherzins müssen wir auch heute in lutherischer Klarheit anprangern. Wie schrieb Luther: „Nun fürchte ich, dass man beim Zinskaufen recht wenig darauf achtet, wie es dem Nächsten bekommt, wenn nur unser Zins und Gut sicher ist, was man doch auf keine Weise suchen soll. Es ist gewiss ein Anzeichen von Geiz oder Faulheit; wenn auch der Kauf dadurch nicht schlimmer wird, so ist es doch Sünde vor Gott.“9 

Oha, Luther war sehr klar: Sünde vor Gott ist es, wenn Menschen durch Spekulation mit Geld nur ihren Reichtum halten oder mehren wollen! Wir sind offensichtlich an einem Punkt angekommen, an dem sich die Grenzen einer bestimmten Form von Wachstum im Bereich des Finanzkapitals so deutlich gezeigt haben, wie selten zuvor. Aber gelernt wird aus vergangenen Krisen nicht. Erst im März letzten Jahres titelte Focus Money: „Krim-Krise? Sei gierig, wenn andere ängstlich sind! Aktienrat und aktuelle Empfehlungen von Deutschlands Top Experten.“ Na vielen Dank!

Die Bibel zeigt uns übrigens einen ziemlich entspannten Umgang mit dem schnöden Mammon. In den Gleichnissen Jesu kommt Geld vor vom verlorenen Groschen bis: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.“ Und: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“, heißt es dort beispielsweise. Das ist auch heute eine klare Erfahrung: wer geben kann, fühlt sich gesegnet, ebenso wie, wer empfängt. Es geht wie gesagt um einen Segenskreislauf. Einen Kreislauf auch, in dem die Würde aller Beteiligten gewahrt bleibt.

Nächstenliebe und der Aufbau der Gemeinde, die soziale Dimension also sind Kriterien des angemessenen Umgangs mit Geld in der Bibel. Es ist ja spannend, nachzulesen, dass Jesus ermutigt, mit den Pfunden zu wuchern. Reichtum wird nur verurteilt, wenn er zu Geiz und Gier führt. Es kommt darauf an, was ich damit tue. Die Pfunde mögen Geld sein. Oder eben auch Talente, wie es in einer alten Übersetzung heißt, also Chancen, Möglichkeiten, Gaben, die ich einbringen kann. Wer eigenes einbringt in die Gemeinschaft, wer für andere gibt, was er oder sie hat an Geld, Zeit, Kreativität, wird es vermehren. Es geht um Begabung, die jeder Mensch hat.

Evangelische Ethik sagt Ja zu unternehmerischem Handeln. Aber es muss einen Blick aufs Gemeinwohl geben. Auch Geldanlagen an sich stehen nicht in Frage. Aber Verantwortung kann nicht schlicht außen vor bleiben! Martin Luther ahnte früh: „Im Zinskauf wird nur Sicherheit, Geiz und Wucher gesucht.“10 

Da wird von „gierigen Banken“ gesprochen. Aber eine Bank kann doch nicht gierig sein, es sind Menschen, die dahinter stehen. Es ist die Rede von „der Wirtschaft“, aber Wirtschaft ist kein Subjekt, es sind einzelne, reale Personen, die sie gestalten. Wir können uns nicht ständig als Ausgelieferte in einem anonymen System betrachten. Wir sollten genau hinsehen und hinhören, selbst Verantwortung übernehmen und diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die für Fehlentwicklungen und Unrecht verantwortlich sind, sich bereichern, handeln und entscheiden, was nicht der Zukunft dient. 

Wir brauchen also einen klaren, realistischen und selbstkritischen Umgang mit Geld, der das Kriterium der Gerechtigkeit nicht aus dem Auge verliert. Das ist gut biblisch. Um innere Freiheit vom Besitz geht es ebenso wie um die Freiheit zum Handeln. Um Verantwortung im Umgang mit Geld ebenso wie um Gottvertrauen. Ein Gegenbeispiel ist das „Dieter-Prinzip“. Ja, er wird belächelt, Dieter Bohlen, aber oft und gern auch bewundert. Zigtausende wollen seine Meinung zu ihrer Stimme hören. Auf die Frage in einem Interview, was ihn motiviert, sagt er: „Money is the real thing. Kürzlich war ich in Moskau und St. Petersburg und habe vor Zehntausenden Fans die alten Modern-Talking-Songs gespielt. Das waren fast ein Dutzend Konzerte. Wenn ich auf der Bühne stehe, denke ich: 1000 Euro, 2000, 3000 …11 Und bei 300.000 steige ich runter und denke: Gut is.“

Das ist die armselige Egomanie unserer Zeit, die von Gemeinsinn, Verantwortung, Nachhaltigkeit nichts weiß. Die Frage ist nicht, ob wir mit Geld umgehen. Das müssen wir, da gibt es kein Entrinnen. Die Frage ist, wie wir mit Geld umgehen. 

Martin Luther hat in der Auslegung des ersten Gebotes erklärt, woran wir unser Herz hängen, das ist unser Gott. Das Herz dieser Gesellschaft hängt am Geld. Hat der Philosoph Descartes einst die Aufklärung mit dem Satz eingeleitet: „Ich denke, also bin ich“, gilt für die meisten Menschen der Satz: „Ich kann mir was kaufen, also bin ich“. Da könnten wir jetzt Herbert Grönemeyer anstimmen: „Ja, ich kauf mir was, kaufen macht so viel Spaß, ich könnte ständig kaufen gehen, Kaufen ist wunderschön!“. 

Und auch das Herz der Gesellschaft hängt am Geld. Jeden Abend vor den Nachrichten hören wir, wie es dem Dax geht. Sorgenvoll wird berichtet, wenn es ihm schlecht ergangen ist und die Börsen in Tokyo, New York oder Frankfurt wanken. Mit leuchtendem Strahlen wird gezeigt, wenn er mal wieder irgendeine Marke „geknackt“ hat. Das ist wirklich beknackt. Wenn jeden Tag vor den Nachrichten berichtet würde, wie viele Kinder heute in Deutschland geboren wurden, wie viele Flüchtlinge wir aufgenommen haben, wie viele Menschen geheiratet haben, wie viele junge Leute einen festen Anstellungsvertrag unterschreiben konnten – es wäre auch ein Zeichen, woran das Herz unserer Gesellschaft hängt, aber eben ein anderes.

Es geht am Ende immer wieder um die bereits genannte Ethik des Genug, denke ich. Statt immer mehr zu wollen, wächst Zufriedenheit, wenn wir dankbar sind für das, was wir haben. Wir alle wissen ganz genau, dass wir uns das, was uns am wichtigsten ist im Leben, nicht kaufen können. Sehr schön hat das der Stardesigner Philippe Starck in einem Interview mit der ZEIT ausgedrückt. Auf die Frage, was der Mensch wirklich brauche, antwortet er: „Die Fähigkeit zu lieben. Liebe ist die wunderbarste Erfindung der Menschheit. Und dann braucht man Intelligenz … Und Humor ist wichtig.“ Daraufhin fragt die ZEIT: „Etwas Materielles fällt ihnen nicht ein?“ Starck antwortet: „Wir brauchen nichts Materielles. Viel wichtiger ist, dass man eine eigene Ethik entwickelt. Und dass man sich an diese Regeln auch hält.“12

Ich will die Bedeutung von Geld nicht herunter spielen. Menschen, die arm sind, werden ausgegrenzt. Von Hartz IV würdig zu leben ist schwer. Für viele macht sich Gerechtigkeit heute vor allem am Geld fest. Sicher ist Geld ein wichtiger Faktor bei dem bitteren Gefühl, ausgeschlossen zu sein von dem, was die Gemeinschaft erlebt. Da erzählt mir eine Mutter, dass die Klasse ihres 15-jährigen Sohnes einen Auslandaufenthalt geplant habe. Sie konnte das erforderliche Geld nicht aufbringen. Die Klasse wollte den Jungen jedoch unbedingt dabeihaben und gemeinsam haben alle Beteiligten das notwendige Geld aufgetrieben. Am Ende wollte er trotzdem nicht mitfahren, weil er sich zu sehr geschämt hat, dass andere für ihn bezahlen. Selbst als der Lehrer bei der Mutter anrief, ließ sich ihr Sohn nicht umstimmen. Er blieb als Einziger zu Hause. Es geht zuallererst um Beteiligungsgerechtigkeit.

Und die entsteht durch Freiheit. Wer freigiebig ist, lebt in der Tat glücklicher. Dann musst du nicht zwanghaft festhalten, sondern stehst in einer Art Segenskreis, indem du wieder Freude empfängst von denen, denen du gibst. Denn das wissen wir doch auch: Jemandem etwas geben, schenken können, ist ja nicht nur ein Ab-geben, sondern immer auch ein Empfangen. Es bereitet mir doch Freude, die Freude der anderen zu sehen. Wir können geradezu dankbar sein, wenn wir geben können. Es ist wesentlich schwerer, zu nehmen, Zuwendung anzunehmen, weil das oft mit Scham verbunden ist, mit dem Wissen: Ich bin auf andere angewiesen, muss dankbar sein. Wem fällt es leicht, um Hilfe zu bitten?

Die Schriftstellerin Gertrud von le Fort hat einmal gesagt: „Von allem was ich besaß, blieb mir nur das Verschenkte.“ Vielleicht hat der Verwalter in unserer Geschichte ja genau das begriffen. Er hat seine Position ausgenutzt, um anderen etwas zu geben. Gut, aus der Sicht des reichen Mannes ist das Betrug. Aber das Verrückte ist ja, dass er genau diesen Betrug – oder sagen wir diesen falschen Umgang mit dem Anvertrauten aus Sicht des Reichen – erst begeht, als er entlassen wird. Ob er vorher nicht so gewirtschaftet hat, wie es der Reiche erwartet hat, ist ja gar nicht erwiesen.

Beim Nachdenken über diese Geschichte hat mich das am Ende am meisten fasziniert: Der Beschuldigte tut erst, wofür er beschuldigt wird, nachdem er zur Rechenschaft für etwas gezogen wurde, das er wohl gar nicht getan hat. Das zeigt den ganzen Irrsinn eines Denkens, das nur Wachstum als Kriterium für Erfolg kennt und nicht Beziehungen. In so einer Welt geht Vertrauen verloren. Der Verwalter baut Vertrauen auf durch Vorleistung. Ob das berechnend ist, können wir nicht beurteilen. Aber auf jeden Fall durchbricht er die Schemata des Systems. Das ist überraschend und nicht vorhersehbar für den reichen Mann. Es schädigt ihn, wie er meint schon geschädigt zu sein. Es ist aber für die Verschuldeten ein unvorhergesehener Akt der Befreiung. Und für den Verwalter eine Investition in die Zukunft. 

Wo immer wir die Logik der Welt des Mammon, des Marktes, des „daran lässt sich nun einmal nichts ändern“ durchbrechen, kann sich Neues entwickeln, das überraschend ist. 

Lied 94 „Vertraut den neuen Wegen“

Abschluss: Ermutigung zum klug werden

„damit wir klug werden“ lautet die Losung dieses Kirchentages in Stuttgart. Dieser Halbsatz ist ja Psalm 90 entnommen: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden“. Wahrscheinlich werden wir wirklich genau dadurch klug, dass wir begreifen, dass unser Leben begrenzt ist. Ich weiß nicht, ob ich noch einen Tag, einen Monat, ein Jahr oder zehn, vielleicht zwanzig Jahre zu leben habe. Aber dadurch, dass es begrenzt ist, weiß ich, dass ich bewusst leben will. Dabei helfen mir andere Werte als die der Gewinnmaximierungsgesellschaft. In der Bibel steht eben nicht „Selig sind die Schnäppchenjäger“, sondern „Selig sind die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit“. Da steht nicht: „Selig sind die Geizigen, weil sie geil sind“, sondern „Selig sind die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“.

Klug werden ist ein Prozess, immer wieder. Und Kirchentage regen dieses Klugwerden an, weil wir uns mit biblischen Texten auseinander setzen, mit der Welt, in der wir leben, mit Menschen, denen wir begegnen und Ideen, die uns ermutigen. Eine entstand vor vier Jahren auf dem Kirchentag in Dresden: Die Initiative „anders wachsen“. Sie brachte eine Resolution zum Thema "Wirtschaft braucht Alternativen zum Wachstum" ein, die mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde. Daraus entstand eine Plattform, die Alternativen im Kleinen und Großen sucht, erkundet, ermöglicht. Da sind auch kleine erste Schritte aufgeführt vom täglichen Einkauf über eigene Mobilität bis hin zu Geldanlagen aufgeführt. Es macht einen großen Unterschied, wie wir einkaufen, wie wir uns fortbewegen, ob wir unser Geld bei einer Genossenschaftsbank in der Tradition von Raiffeisen und Schulze Delitzsch verwalten lassen oder bei einer Großbank die Spekulation mit Nahrungsmitteln betreibt. Ja, kleine Schritte. Ja, gewiss Weltverbesserer. Aber was wären wir ohne solche Hoffnungen, dass es kreative Wege zu Veränderung geben kann?

Klug sind wir, wenn wir uns nicht ermatten lassen, sondern schauen, wie wir in der Welt, in der wir leben, etwas verändern können. Vielleicht auf fragwürdige Weise wie der Verwalter. Aber immer noch besser als dieser fatale Satz: Ich kann ja doch gar nichts tun. 

Also: Dienen wir Gott und nicht dem Gott Mammon. Auch in der Welt des Mammon lässt sich das Leben in Verantwortung vor Gott und den Menschen gestalten in manchmal sicher kleinen, aber in gangbaren Schritten. Dazu wird Gott uns die Kraft geben, die wir brauchen. Und wir uns gegenseitig die Hoffnung, die uns trägt.

Lasst uns deshalb in diesen Kirchentagstag gehen mit dem Lob Gottes und der Freude über unser erlebtes Miteinander im Herzen. Der Posaunenchor stimmt jetzt Lied 79 an. Mit dem Lied auf den Lippen und der Melodie im Kopf können wir langsam die Halle verlassen. Ich wünsche Ihnen allen gesegnete Kirchentagstage!

Abschlusslied 79 „Lobe den Herrn meine Seele“

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1 Martin Ebner, Face-to-face-Widerstand im Sinn der Gottesherrschaft, Early Christianity 1, 2010, S. 427.

2 Kerstin Schiffner, Vom richtigen Leben im Falschen, in: Exegetische Skizzen zum Kirchentag in Stuttgart, S. 11ff. ; S. 14.

3 Vgl. Walter Grundmann, Das Evangelium nach Lukas. Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, Berlin 1978, S. 320.

4 Ebd. S. 322.

5 Deutsche Banken investieren Milliarden in Atomwaffenhersteller, in: ZEIT 10. Oktober 2013.

6 David Gerginov, Rüstungsaktien: Moralisch bedenklich oder eine gute Investition?, 5.9.2014.

7 Tobias Lehmkuh, Privat im Richtigen. Wie Adornos berühmtester Satz ursprünglich lautete, in: Süddeutsche Zeitung, 26. Februar 2010, S. 14. 

8 De Civitate Dei, 4. Buch; 4. Kapitel.

9 Martin Luther, zitiert nach: Schlag nach bei Luther, hg.v. M. Käßmann (Übertragung durch Ralph Ludwig), Frankfurt 2012, S. 48.

10 Schlag nach bei Luther, aaO., S. 49.

11 Leben nach dem DIETER-Prinzip, Interview in: DIE WELT, 26.1.13, S. 16 

12 „Ich schäme mich dafür“. Ein Interview von Tillmann Prüfer, http://www.zeit.de/2008/14/Designer-Starck-14/komplettansicht?print.


Es gilt das gesprochene Wort.