Predigt am Ostersonntag in der Johanneskirche zu Düsseldorf (über 1. Korinther 15, 1-11)

Nikolaus Schneider

Gottes Gnade sei mit uns und die Gegenwart unseres auferstandenen Herrn!

„Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja!“

Mit diesem jubelnden Osterruf, liebe Gemeinde, bekannten und bekennen Christenmenschen den alltäglichen Todeserfahrungen zum Trotz: Jesus Christus hat den Tod durch seinen Tod überwunden. Der Gekreuzigte lebt! Gott hat Jesus Christus nicht dem Tod überlassen und Gott wird auch uns dem Tod nicht überlassen!

„Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“

Wir suchen unseren Herrn nicht bei den Toten. Unser Glaube ist kein Totenkult, unsere Liebe keine Totenverehrung und unsere Hoffnung keine Todessehnsucht!

„Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“

Der Kreuzestod Christ singt uns vom Leben. In dieser Gewissheit singen wir das Osterlied vom Leben den Todesmächten dieser Welt ins Gesicht! Hören wir den Predigttext für den heutigen Ostersonntag. Er ist eines der ersten schriftlich abgefassten Zeugnisse von der Auferstehung Christi. Der Apostel Paulus hat es uns im 1. Korintherbrief überliefert. Ich lese die Verse 1 bis 11 aus dem 15. Kapitel:

„Ich erinnere euch aber, liebe Brüder“ - und ich ergänze: liebe Schwestern -, „an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt. Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.“

Ich unterbreche die Lesung und füge ein: die Bekenntnisbildung unterschlägt die Frauen: sie waren als erste am leeren Grab, und sahen als erste den Auferstandenen; die Männer glaubten ihnen nicht, bevor sie selber sahen. Ich fahre fort:

„Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten heute noch leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Es sei nun ich oder jene: So predigen wir und so habt ihr geglaubt.“

Eindringlich erinnert der Apostel Paulus die Christengemeinde in Korinth und uns in der Johanneskirche in Düsseldorf an den Grund und Kern der christlichen Botschaft, an das Zeugnis von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi:

1. Jesus Christus ist für unsere Sünden gestorben! Er ist gestorben „nach der Schrift“ und wurde begraben.
2. Jesus Christus, der Gekreuzigte, ist auferstanden! Der Gekreuzigte lebt, er wurde gesehen.

Zum Ersten:
dass Jesus Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist, das gehörte für den Apostel Paulus zu dem unverzichtbaren Grundbekenntnis der christlichen Gemeinde. Jesus ist wirklich und wahrhaftig gestorben. Er hat nicht „toter Mann“ gespielt und wurde nicht etwa „scheintot“ vom Kreuz genommen und gesund gepflegt, so dass er entkommen und anderswo weiterleben konnte. Jesus Christus ist wirklich und wahrhaftig am Kreuz gestorben - das betont der Zusatz: „er wurde begraben“.


Und – für Paulus ganz entscheidend – der Tod Jesu Christi war kein dummer Zufall und kein unglückseliges Schicksal. Der Tod Jesu Christi ist aktives Heilshandeln Gottes für uns Menschen - deshalb der Zusatz: „nach der Schrift“. Der Tod Jesu Christi ist für Paulus kein Zeichen göttlicher Ohnmacht oder  zorniger Gottesferne, sondern Zeichen der Menschenliebe Gottes. Denn: Jesus Christus starb für unsere Sünden!
 Der Begriff „Sünde“, liebe Gemeinde, mag manchem unserer Zeitgenossen als überholte Vokabel einer religiösen Sonderwelt erscheinen.
Bei dem Wort „Sünde“ denken sie dann an „Moralin“, an eine wirklichkeitsfremde oder gar lebensfeindliche Gesetzlichkeit, bezogen auf eine jenseitige Instanz, mit der gedroht wird und vor der man sich angeblich –  spätestens nach dem Tod – zu verantworten hätte.

Das Bekenntnis „Jesus Christus ist für unsere Sünden gestorben“ wird dann kaum als befreiende und erlösende Botschaft gehört, sondern nur als eine zusätzliche Belastung oder als belangloses frommes Gerede. Das alles ist aber ein Missverständnis. Es kommt darauf an, den Begriff „Sünde“ richtig zu verstehen: Nach biblischem Verständnis meint „Sünde“ ganz grundsätzlich die Entfremdung und Trennung des Menschen von Gott.

In Sünde, also verstrickt und gefangen in sich selbst, ist der Mensch unfähig, die Liebe Gottes zu erkennen, zu glauben und anzunehmen. Die Macht der Sünde trennt den Menschen von der Liebe und Gnade Gottes, die er doch braucht, um gesegnet zu leben und getrost zu sterben. Der sündige, also in sich gefangene und verstrickte Mensch sucht durch eigenes Können und Vermögen vor Gott und vor sich selbst und vor seinen Mitmenschen makellos zu leben und muss doch immer wieder scheitern, weil er an die ihm von Gott gesetzten menschlichen Grenzen stößt.

Fehlbarkeit und Sterblichkeit sind und bleiben das Maß des Menschen – was immer uns verblendete Wissenschaftler und selbstherrliche Entscheidungsträger einzureden versuchen. In Sünde, also verstrickt und gefangen, bleibt der Mensch in sich selbst verkrümmt und auf sich selbst bezogen. Er verkümmert und erstickt in Selbstsucht, Überheblichkeit und Einsamkeit. Die Macht der Sünde macht den Menschen unfähig, die Liebe seiner Mitmenschen zu erkennen und seinen Mitmenschen Liebe zu schenken.

Sündiges Leben, also liebloses, zerstörerisches und lebenswidriges Denken, Reden und Handeln entspringen nach dem biblischen Verständnis dieser Sünde der Gottesferne und Gottlosigkeit des Menschen. Um uns Menschen aus diesem „Teufelskreis“ von Sünden-Macht und Sünden-Leben zu befreien, um uns der Nähe und Gegenwart Gottes in allem, was wir tun und erleiden zu vergewissern, um Gottes Gemeinschaft mit uns sündigen Menschen neu zu ermöglichen, dazu ist Jesus Christus für uns am Kreuz gestorben.
Im Glauben an den Gekreuzigten kommt Gott uns nahe, rechnet Gott uns unsere Sünden nicht zu, schenkt Gott uns immer wieder neu Vergebung und Neuanfang.

Denn: Jesus Christus starb für unsere Sünden! 

Zum Zweiten:
Jesus Christus, der Gekreuzigte, ist auferstanden! Der Gekreuzigte lebt, er wurde gesehen. Jesus Christus, der Gekreuzigte, lebt! Gott hat ihn nicht dem Tod überlassen. Der Gekreuzigte lebt. Gott hat Jesus Christus nicht dem Tod überlassen und Gott wird auch uns dem Tod nicht überlassen! Auch über unser Leben und Sterben hat der Tod nicht das letzte Wort. Wo der Tod das letzte Wort hat, da verbinden sich Furcht vor dem Tod und Vergötzung des irdischen Lebens zu einer unheiligen Allianz. Wo der Tod das letzte Wort hat, da verhindern krampfhafte Lebensgier oder gleichgültige Lebensverachtung ein gesegnetes Leben und ein getrostes Sterben.

Mit großem Pathos dichtet Bert Brecht:

„Lasst euch nicht betrügen!
Das Leben wenig ist.
Schlürft es in vollen Zügen!
Es wird euch nicht genügen,
wenn ihr es lassen müsst!
Lasst euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zu viel Zeit…
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.
Lasst euch nicht verführen…
Ihr sterbt mit allen Tieren
Und es kommt nichts nachher.“

Bert Brecht meinte, mit seiner Verabsolutierung des irdischen Lebens die Menschen vor einer schädlichen Weltflucht zu bewahren und sie so zu einem glücklicheren Leben auf dieser Erde anzuleiten als die christliche Osterbotschaft es täte. Aber wer meint, Gottes Wort von der Auferstehung als „frommen Betrug“ und „lebensfeindliche Lüge“ demaskieren zu müssen, der gibt dem Tod und den Todesmächten dieser Welt das letzte Wort. „Alles erraffen“, „alles lächerlich machen“, „alles wegwerfen“ und „alles zerstören“, das sind Haltungen, die der Verabsolutierung des Diesseits entspringen, weil dabei dem Tod, der Vergeblichkeit und der Vergänglichkeit das letzte Wort gegeben wird.

Dagegen erkannte Dietrich Bonhoeffer:

„Wer die Auferstehung Jesu Christi gläubig bejaht,
der kann nicht mehr weltflüchtig werden,
er kann aber auch nicht mehr der Welt verfallen,
denn er hat mitten in der alten Schöpfung
die neue Schöpfung Gottes erkannt.“

(D. Bonhoeffer, Das Wunder der Osterbotschaft, S. 16)

Dietrich Bonhoeffer konnte in diesem Auferstehungsglauben ganz diesseitig leben, Verantwortung für Recht und Gerechtigkeit in unserer Welt tragen und auch Gefangenschaft, Leiden und Sterben - um der Gerechtigkeit willen -getrost auf sich nehmen. Jesus Christus, der Gekreuzigte, ist auferstanden! Der Gekreuzigte lebt, er wurde gesehen. Wir maßen uns nicht an, das vollkommen zu begreifen, klären und erklären zu können. Christ ist erstanden!

Wir sagen und singen diesen Satz einander und uns selbst zu. Nicht, weil wir ihn dadurch der Welt beweisen wollten oder könnten. Wir rufen und singen die Osterbotschaft, weil wir uns und einander immer wieder neu vergewissern, dass der Tod nicht das letzte Wort über unser Leben hat. So rufen und singen wir uns selbst und einander diesen Satz zu, wenn wir versagen und schuldig werden, wenn wir weinend an den Gräbern von geliebter Menschen stehen und wenn wir hilflos zusehen müssen, wie Tod und Gewalt über das Leben, über Liebe und Gerechtigkeit zu triumphieren scheinen.

Der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi ist eine Lebensmacht, die auf Gottes Zukunft hin schon hier und schon jetzt unser irdisches Leben verändert. Wir sind dem Tod nicht mehr untertan, und wir lassen uns in der Nachfolge des Auferstandenen nicht länger zu Komplizen der Todesmächte dieser Welt machen.

Durch Gottes Gnade begegnet auch uns der lebendige Herr und stärkt uns für alle Karfreitage unseres Lebens.
Jesus Christus, der Gekreuzigte, ist auferstanden!
Der Gekreuzigte lebt, er wurde gesehen.

Gesegnete Ostern!