Predigt anlässlich des ZDF-Fernsehgottesdienstes zur Eröffnung der Fastenaktion „Ich war’s! 7 Wochen ohne Ausreden“ in der Christuskirche in Hamburg-Eimsbüttel

Nikolaus Schneider

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Gnade und Friede von Gott, unserm Vater und unserem Herrn und Bruder Jesus Christus sei mit uns allen. Amen.

Es sind apokalyptische Bilder, liebe Gemeinde an den Fernsehgeräten und hier in der Kirche, die uns seit zwei Tagen aus Japan erreichen. Bilder, die uns den Atem verschlagen angesichts der unvorstellbaren Naturgewalt, die unterschiedslos Häuser, Schiffe und Menschen hinweg spülte. Es sind apokalyptische Ahnungen, die uns beschleichen, wenn wir den Rauch von Explosionen aus Atomkraftwerken aufsteigen sehen. Und manche fragen sich angesichts der noch unübersehbaren Katastrophe: Wo ist Gott? Wo und wie sollen wir in alledem die Menschenliebe und Menschennähe Gottes erkennen?

In diesen Tagen beginnt die Passionszeit. Christenmenschen bedenken in den vor uns liegenden Wochen bis zum Osterfest den Leidensweg Jesu. Der Gottessohn leidet mit und leidet für Menschen. Jesus hat sich dem Leiden der Menschen gestellt, hat mitgelitten, hat getröstet und geheilt. Jesus, der Gottessohn, hat das Leiden und Sterben am eigenen Leib erfahren. Sein Gefühl der Gottverlassenheit hat er am Kreuz herausgeschrieen. Und die Gewissheit der Gottesnähe hat er im Leiden nicht preisgegeben. “Mein Gott, warum hast du mich verlassen“ und „In deine Hände befehle ich meinen Geist“. In dieser Spannung blicken wir Christenmenschen jetzt auch auf die Geschehnisse in Japan.

Die Passionszeit fordert uns heraus zu Solidarität mit jedem leidenden Menschen. Und so sind wir in diesen Tagen bei denen, die bei der Erdbebenkatastrophe ihr Leben verloren haben. Wir stellen wir uns an die Seite derer, die um ihre Angehörigen bangen, deren Hab und Gut vernichtet wurde. Und unsere Gedanken sind bei all denen, die als Helfer das Menschenmögliche tun, um Leben zu retten. Unsere Gebete gelten denen, die in diesen Stunden versuchen, die Folgen der Reaktorkatastrophe soweit es geht zu mindern.

Im Evangelium, das wir eben hörten, wird Jesus gebeten, zu einer Katastrophe Stellung zu nehmen, die damals wohl viele bewegt hat. Die römischen Besatzungssoldaten hatten unter friedlich betenden Juden ein Blutbad angerichtet. Und für viele damals stand die Frage im Raum, was haben die Betroffenen falsch gemacht? Wofür wurden sie bestraft? Das ist eine menschlich verständliche Frage. Wir Menschen müssen wohl so fragen: warum nur ist das geschehen? Wer trägt daran die Schuld? Und hätte Gott es nicht verhindern können? Wahrscheinlich müssen wir so fragen, weil es schwer auszuhalten ist, dass auf dieser Erde Dinge geschehen, die wir nicht beeinflussen, die wir nicht verhindern und für die wir keine Gründe erkennen können.

Und es beruhigt uns Nichtbetroffene, wenn wir das Leiden und Sterben der betroffenen Menschen mit göttlicher Strafe erklären können. Denn erstens sind wir dann keinem launischen Schicksal ausgeliefert und zweitens müssen wir solche Katastrophen nicht fürchten, solange wir uns nichts Schlimmes zuschulden kommen lassen.

Jesus weist diese Erklärungsversuche zurück. Er fragt nicht nach Schuld und Strafe. Jesus stellt sich nicht als Wissender über die Opfer, sondern er stellt sich an ihre Seite. Und darin zeigt er, wo Gott ist. Nämlich dort, wo Menschen ins Leid gestürzt werden. Und daher weist Jesus die Frage nach der Schuld zurück und wendet sie anders. Er fragt nicht, wie konnte das geschehen, sondern, was lernt ihr daraus?

Es geht um die eigene Verantwortung, um das, wofür wir selber geradestehen können und geradestehen müssen. Das wäre doch eine gute Frage für die beginnende Fastenzeit.

Die japanischen Atomkraftwerke galten als erdbebensicher. Uns führen die Bilder aus Fukojima vor Augen, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Die Katastrophe in Japan zeigt uns die Zerbrechlichkeit des Lebens, wie verletzbar wir sind. Und wie unsicher der Boden ist, auf dem wir stehen und den wir doch – weil wir darauf leben müssen – gern für so sicher halten möchten. Wir haben uns fast schon daran gewöhnt, mit Technik umzugehen, die im Grunde weder einen menschliche Fehler noch irgendwelche außergewöhnlichen Einflüsse von außen verzeiht.

Zur Geschöpflichkeit des Menschen gehört aber, dass wir Wesen sind, die Fehler machen. Und es gehört zu einem realistischen Selbstbild, dass wir Menschen eben außerstande sind, für absolute Sicherheit zu sorgen. Und deshalb ist eine Technik, die 100prozentige Sicherheit braucht, um Katastrophen apokalyptischen Ausmaßes zu vermeiden, nicht menschengerecht. Jesus ruft zur Buße auf. Fastenzeit ist eine Zeit der Buße. Sie lädt uns ein, nach dem Maß zu fragen, das Gott uns zugeteilt hat. Und nach der Verantwortung, die Gott von uns erwartet. Das gilt für die gesellschaftlichen Fragen ebenso wie für die Fragen unseres persönlichen Lebens.

„Ich war´s - 7 Wochen ohne Ausreden.“ – Das ist das Thema der Fastenaktion der evangelischen Kirche. Was heißt das nun?

Zur eigenen Verantwortung stehen. Zugeben lernen, wenn uns etwas misslungen ist. Glauben, dass wir uns vor Gott nicht selbst rechtfertigen können und müssen.

Das fällt uns nicht leicht. Wir versuchen in der Regel, gut dazustehen. Vor anderen, vor uns selbst, vor Gott: Oft versuchen wir, die eigene Verantwortung für Fehler und für unser Versagen zu verdrängen oder wenigstens zu beschönigen.

Wir wenden dann die Dinge so lange hin und her, bis am Ende herauskommt: Eigentlich haben wir es doch nur gut gemeint. Eigentlich war unser Bemühen richtig. Eigentlich waren die nicht vorhersehbaren Umstände Schuld. Eigentlich tragen andere auch Verantwortung, zumindest ebenso viel Verantwortung wie wir. Wir versuchen, uns selbst zu rechtfertigen.
Selbstgerechtigkeit aber stört und behindert unsere Beziehung zu anderen Menschen. Selbstgerechtigkeit stört und behindert aber auch unsere Beziehung zu Gott. Denn Selbstgerechte können nicht dem zu recht bringenden Heilshandeln Gottes vertrauen.

Die frohe Botschaft, das Evangelium von Jesus Christus, aber ist anders: Selbstrechtfertigung ist nicht nötig! Wir Menschen müssen uns vor Gott nicht selbst rechtfertigen. Wir müssen uns deshalb auch nicht in Illusionen und Ausreden flüchten, wenn wir einen Fehler gemacht haben, wenn wir schuldig werden, wenn wir unser eigenes Verhalten als falsch erkennen. Gott schenkt in Jesus Christus Sünderinnen und Sündern seine Liebe, seine Vergebung und seine Gerechtigkeit. Gott will uns zu Recht bringen. Gott wartet auf unsere Liebe und auf unser Vertrauen, nicht auf unsere Perfektion. Sich von Gott geliebt zu wissen mit den eigenen Stärken und den eigenen Schwächen, das schenkt Menschen einen selbstkritischen und zugleich heilsamen Blick auf sich selbst.

So gewinnen wir die Freiheit, eigene Fehler und eigens Versagen zu bekennen und gnädig zu sein mit den Fehlern und dem Versagen unserer Mitmenschen. Wir gewinnen die Freiheit, Buße zu tun und uns von Gott verändern zu lassen. Wir gewinnen die Freiheit, Verantwortung zu übernehmen und in Leiderfahrungen nicht zu resignieren oder zynisch zu werden. Wir gewinnen die Freiheit, mit zu leiden und Leidtragenden zu helfen und sie zu trösten.

Im Vertrauen auf die Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus erschienen ist, in unserer Liebe zu Gott und in unserer Liebe zu den Mitmenschen finden wir unsere Gerechtigkeit. Die Liebe schenkt uns die Kraft, vor Gott zu unseren Fehlern und zu unserer Schuld zu stehen. Wir können sagen: „Ich war’s. Gott sei mir Sünder gnädig“. Die Liebe schenkt uns den Mut, anderen Menschen gegenüber unsere Fehler einzugestehen. Wir können sagen: „Ich war’s. Verzeiht mir.“ Diese Liebe schenkt uns auch die Kraft, die Bilder aus Japan auszuhalten, nicht an Gott und der Welt zu verzweifeln, am Leiden Anteil zu nehmen und das uns Mögliche zu tun.

Gott schenke uns diese Liebe. Er mache uns dieser Liebe gewiss – in der Passionszeit und an allen Tagen unseres Lebens.

Amen.