Predigt über Gal. 5, 25 – 6, 2 zur Eröffnung der Woche für das Leben am 7. Mai 2011 in Berlin

Nikolaus Schneider

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Liebe Gemeinde,

der Predigttext für diesen Tag steht im Brief des Apostels Paulus an die Galater. Er schreibt im 5. und 6. Kapitel über das Leben in der Nachfolge Christi:

Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden.

Liebe Brüder – und ich ergänze: liebe Schwestern: wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zu Recht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest.

Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

„Rucksack statt Luxus“  - ein überraschender Buchtitel, liebe Gemeinde, der mir kürzlich ins Auge fiel. Jemand macht sich frei von Lasten, die andere vielleicht gar nicht als Last empfinden. Von Bindungen und Verpflichtungen. Von Haus und Status,  von der Sorge um Besitz und Geld. Eine Frau um die 50 lässt alles zurück und begibt sich auf Weltreise. Mit leichtem Gepäck und voller Neugier auf eine neue Freiheit. „Rucksack statt Luxus“ erzählt von der Sehnsucht, Lasten abzuwerfen und auch von den Schwierigkeiten auf diesem Weg.

Nun ist mir klar – mancher, der mit leichtem Gepäck unterwegs ist , auch hier auf den Straßen Berlins, der würde vielleicht einiges darum geben, ein festes Haus zu haben, ohne Schulden zu sein. Eine Arbeitsstelle zu haben, wo er gebraucht wird. Und Menschen zu kennen, die sich freuen, wenn er kommt.

Während dem einen das Gewohnte zu eng wird, wünscht sich der andere mehr Sicherheit und ein Zuhause.

Welche Lasten wir tragen, was uns zur Last wird, das hat offensichtlich nicht nur mit den äußeren Rahmenbedingungen zu tun. Luxus kann zur Last werden, wenn er unsere Seele bindet. Armut kann zur Last werden, wenn sie uns klein macht und niederdrückt. Eine Familie kann zur Last werden, wenn Menschen Gewalt und Missbrauch oder unerträgliche Ansprüche erleben. Aber auch die Freiheit kann schmerzen, wenn sie uns einsam und wurzellos macht.

Vielleicht sind die unsichtbaren Lasten, die wir tragen, sogar die schwersten.  Sehnsüchte, ja - auch Süchte können Menschen schwer zu schaffen machen und Leben zerstören. Der Wunsch, mehr zu sein als wir sind, kann uns vollkommen verkrampfen.

Wie viele Menschen haben Rückenschmerzen, obwohl sie äußerlich gar nichts tragen. Viele sind niedergedrückt vom Leben, obwohl sie nichts auf den Schultern haben.

Die Bibel erzählt immer wieder, dass Gott in besonderer Weise auf die schaut, die Lasten tragen. Die von anderen niedergedrückt werden. Oder sich selbst schwer ertragen.

Das beginnt mit Kain, der seinen Bruder Abel erschlagen hat – er soll leben.

Das geht weiter mit Mose, der es nicht ertragen kann, dass sein Volk geschunden wird, um die ägyptischen Pyramiden zu bauen – Gott wählt ihn aus, um Israel aus der Sklaverei zu führen.

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen“, sagt später der Prophet, als Israel von der eigenen Schuld erdrückt wird – Gott  führt sein Volk aus der Verbannung zurück nach Hause.

Und dann kommt Jesus, der die Leprakranken berührt und in die Gemeinschaft zurück holt. Der verhindert, dass die Ehebrecherin gesteinigt wird. Jesus, der das Lasttier, den Esel, zu seinem Wappentier macht. Jesus lebt uns vor, wie wir unsere Gotteskindschaft konkret leben können: indem wir die Lasten anderer Menschen mittragen, indem wir Menschen aufrichten und frei zu machen zu einem Leben in Beziehung zu Gott und mit anderen Menschen.

Jesus wusste, was es heißt, niedergedrückt zu werden und zu zerbrechen. Er war nicht der starke Held, der alles allein erträgt. Er hat gelitten, als er verraten wurde. Er hat geschrien vor Schmerz und Gottverlassenheit gefühlt. Er ist unter dem Kreuz zusammengebrochen, das ihm andere auferlegt haben. Genau wie wir hat er Gott und andere Menschen gebraucht, die ihn trugen, aufrichteten und trösteten.

„Einer trage des anderen Last, so werdet Ihr das Gesetz Christi erfüllen“, schreibt Paulus an die Galater.  Ich habe dabei zunächst das Bild vom Kreuzweg Jesu vor Augen. Als er fällt, sich kaum noch aufrichten kann, zum Tragen zu schwach ist, kommt ein anderer dazu, Simon von Kyrene, um das Holz ein Stück weit mit zu tragen-  gezwungenermaßen, nicht freiwillig.  Und doch: zu zweit trägt es sich jedenfalls leichter. Jeder und jede wissen, wie viel leichter auch die schwersten Wege sind, wenn andere ein Stück des Weges mit gehen und unsere Erfahrung teilen. Oder den Mantel teilen - wie Martin. Oder uns unter ihre Schirme nehmen.

Auch in unserem Predigttext geht es nicht nur um äußere Lasten. Oder um äußere Kälte.

Wer sich das 6. Kapitel des Galaterbriefes weiter ansieht, der entdeckt, dass von Verfehlungen und Versuchungen die Rede ist und auch von der Gefahr, sich selbst zu betrügen.

Der erste Selbstbetrug ist wohl der, dass wir denken, wir wären stark und autark, wir kämen allein zurecht und brauchten keinerlei Hilfe.

Der zweite ist die Versuchung, mehr zu sein, als wir sind - die führt nämlich dazu, dass wir nur noch auf den eigenen Weg sehen und die Not der anderen übersehen.

Menschen sind aber aufeinander angewiesen, von Anfang an und ein Leben lang. Wir brauchen andere, die uns helfen, versorgen, erziehen und pflegen - die uns aber auch zurecht helfen, wenn wir uns verlaufen haben. Wir sind darauf angewiesen, dass andere uns ertragen, damit wir uns selbst ertragen können.

Wer anderen hilft, Lasten zu tragen, lernt viel über das eigene Menschsein. Diese Erfahrung haben sicher viele von Ihnen schon gemacht.

Wer Suchtkranken beisteht, lernt viel über die Freiheit und die Zumutungen der Nüchternheit.

Was ausgeschlossen sein heißt, und was dazugehören heißt, das wissen die, die Kindern aus armen Familien Raum zum Auftanken, Essen, Schulaufgaben machen geben.

Jeder und jede, die sich sozial engagieren und dabei ein Stück Weg in den Schuhen anderer gehen, verändern den eigenen Blick auf sich selbst und auf die Welt.

Und sie sehen dadurch auch die eigenen Lasten in einem anderen Licht. Sie lernen die eigenen Lasten nüchtern einzuordnen, sie nicht übermäßig aufzublähen, aber sie auch nicht kleinzureden oder totzuschweigen. Sie gewinnen die Freiheit, Gott und andere Menschen um Hilfe zu bitten beim Tragen der eigenen Lasten.

Gott hat in Jesus Christus das Leiden und die Lasten von Menschen geteilt. Jesus Christus hat uns gezeigt, dass ein von Gott gesegnetes Leben sich nicht dadurch auszeichnet, dass es von Leiden und Lasten verschont bleibt.

Jesus nachzufolgen, das heißt deshalb auch, sich mit den Zumutungen des Lebens auseinanderzusetzen, nicht vor ihnen zu fliehen. Es miteinander und mit uns selbst auszuhalten. Andere nicht zu beschämen und herauszufordern, aber auch nicht zu beneiden, sondern die eigenen Lasten anzunehmen und Leiden mit anderen zu teilen.

Das ist, könnte man sagen, ein theologischer und ein therapeutischer Prozess. Auf diesem Weg können wir lernen, Gott zu finden, zu uns selbst und zueinander zu finden. Menschlich zu werden und zugleich Erben des Reiches Gottes.

Im Osterglauben steckt eine ungeheure Verheißung. Der Auferstandene hat uns gezeigt, was der Prophet einst von Israel sagte: Das geknickte Rohr wird nicht zerbrechen. Das gilt seit Ostern uns allen.

So wie der Gottessohn Jesus Christus unsere irdischen Erfahrungen geteilt hat,  ganz und gar Mensch geworden ist - so werden wir auch seine himmlische Zukunft teilen: wir werden aufgerichtet, wir werden frei, wir werden unter unseren Lasten nicht endgültig zerbrechen. In diesem Geist lässt sich jetzt schon leben und das Leben teilen. In schwierigen Zeiten und auch in fröhlichen Stunden.

Wenn wir einander in Liebe begegnen und uns gegenseitig die Lasten tragen, fällt ein neues Licht auf unseren Weg. In diesem Licht wird jede Woche eine Woche des Lebens sein.

Amen