Predigt über 1. Korinther 15, 19 – 28 am Ostersonntag in der Dorfkirche St. Annen in Dahlem, Berlin, im Rahmen des Festprogramms „80 Jahre Dahlemer Bekenntnissynode“

Nikolaus Schneider

(Es gilt das gesprochene Wort)

Liebe Gemeinde!

Das galt damals, vor fast 2000 Jahren in Korinth, und das gilt nach neuesten Umfragen auch heute hier in unserem Land: Nur eine Minderheit der Kirchenmitglieder vertraut auf die zukünftige Auferstehung aller Toten.

Viele Christinnen und Christen begnügten und begnügen sich damit, die Auferstehung Christi zu bekennen und zu feiern. Für sich selbst reicht ihnen die gegenwartsbezogene Hoffnung auf private Auferstehungserfahrungen in ihrem alltäglichen Leben. Also auf Neuanfänge nach Lebensabbrüchen.

Für Paulus aber war klar: Wer die zukünftige Auferstehung aller Toten bestreitet, für den und für die macht es gar keinen Sinn, Ostern zu feiern. "Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden." (1. Korinther 15, 16)

Der Predigttext für diesen Ostersonntag vergegenwärtigt uns das leidenschaftliche Werben des Apostels für den Kern der Osterbotschaft - und damit für den Kern unseres christlichen Glaubens.

Hören wir, was Paulus damals an die Gemeinde in Korinth schrieb. Ich lese die Verse 19 bis 28 aus dem 1. Korintherbrief:

"Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.
Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in seiner Ordnung: als Erstling Christus; danach, wenn er kommen wird, die, die Christus angehören; danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat.
Denn er muss herrschen, bis Gott ihm alle "Feinde unter seine Füße legt" (Psalm 110,1).
Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Denn "alles hat er unter seine Füße getan"(Psalm 8,7).
Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott sei alles in allem."

Was, liebe Gemeinde, ist eigentlich so schlimm daran, nur in diesem Leben auf Christus zu hoffen? Das ist doch schon eine ganze Menge. Und es ist viel mehr als ein Leben zu führen, in dem Christus überhaupt keine Rolle spielt.

Außerdem: Ist es nicht sogar gefährlich, wenn wir unsere christliche Hoffnung auf das Jenseits konzentrieren? Wurde christliche Hoffnung in unserer Welt- und Kirchengeschichte nicht allzu häufig als billiger Trost missbraucht? Wurden Menschen nicht immer wieder durch christliche Jenseitshoffnungen davon abgehalten, hier auf der Erde "an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit" zu erinnern und irdischem Unrecht und zerstörerischer Gewalt zu widerstehen? So wie es die 5. These der Barmer Theologischen Erklärung anmahnte. Wäre es deshalb nicht an der Zeit, den eben gehörten Versen des Korintherbriefes einen anderen Akzent zu geben?

Müssten wir nicht sagen: Hoffen wir allein im jenseitigen Leben auf Christus, so sind wir die elendesten Christenmenschen!? Müssten wir nicht sagen: Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten, damit wir - seine Nachfolgerinnen und Nachfolger - aufstehen gegen Unrecht und Gewalt auf dieser Erde!?

Müssten wir nicht endlich notwendige Abschiede vollziehen und uns vom Jenseits trennen, um uns auf das Diesseits zu konzentrieren? Hören wir noch einmal den "Originaltext" des Korintherbriefes:

"Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten!"

Auf das kleine Wörtchen "allein" kommt es hier an! Paulus argumentiert mit diesem "allein" gegen eine "Hoffnung light". Gegen eine eingeschränkte Hoffnung, die es Gott nicht zutraut, "alle Herrschaft und alle Macht und alle Gewalt" dieser Welt mit seinem zukünftigen Reich abzulösen.

Paulus wirbt hier für die große Hoffnung auf Gottes neuen Himmel und Gottes neue Erde. Wo der Tod als "letzter Feind" endgültig vernichtet ist. Wo allem und allen neues und unzerstörbares Leben zugesagt ist. Diese große Hoffnung des Paulus umfasst Hoffnung auf Veränderung im Hier und Jetzt und die Hoffnung auf das zukünftige Gottesreich - ja, sie bindet diesseitige und jenseitige Hoffnung zusammen.

Die Zukunftshoffnung des Paulus enthält übrigens einen weiteren, aufregenden Aspekt: Sie widerspricht einem christlichen Heilsegoismus. Wohl sind nach der "Auferstehungs-Ordnung" unseres Textes als "Erstling" Christus und dann zunächst die Christenmenschen "dran". Nach der endgültigen Vernichtung des Todes aber bleibt von Gott, der dann "alles in allem" sein wird, nichts und niemand mehr ausgeschlossen!

Zwei Konsequenzen aus dieser großen und großartigen Hoffnungsbotschaft des Paulus will ich für unseren Auferstehungsglauben bedenken.

Zum Ersten:

Es ist eine falsche Alternative, wenn christliche Hoffnung auf unsere Zukunft "nach dem Tod" gegen christliche Hoffnungen für das Leben "vor dem Tod" ausgespielt wird.

Paulus diffamiert mit seinen theologischen Ausführungen gar nicht, dass Christenmenschen aus der Auferstehung Christi Hoffnung für ihr Leben "vor dem Tod" schöpfen.

Denn: Das Leben "vor dem Tod" und das Leben "nach dem Tod" sind durch Christi Tod und Auferstehung aneinander gebunden und aufeinander bezogen. Christus hat mit seinem Kreuzestod die Macht des Todes nicht geleugnet und nicht beschönigt. Christus hat die Macht des Todes durchlitten.

Damit hat er den Tod für unsere irdische Wirklichkeit noch nicht endgültig vernichtet. Wir werden den Tod schmecken. Aber in der Auferstehung Christi wird der Tod schon in unserer irdischen Wirklichkeit durchsichtig: Wir sehen durch den Tod hindurch das Licht von Gottes zukünftigem Reich durchscheinen und von unserem unzerstörbaren Leben "nach dem Tod".

Und aus diesem Licht speisen sich die Kräfte von Christenmenschen, schon in ihrem Leben "vor dem Tod" gegen lähmende Todesfurcht und gegen zerstörerische Todesmächte aufzustehen. Der Tod verliert die Kraft, das große Minuszeichen vor unserem Leben zu sein. Wir ergeben uns dem Nihilismus nicht! Nicht der Tod, sondern Auferstehung ist die Bestimmung unseres Lebensweges.

Und zum Zweiten:

Ihre begründete Hoffnung über den Tod hinaus ließ und lässt Christenmenschen der zerstörerischen Herrschaft, Macht und Gewalt in ihrem irdischen Leben widersprechen und widerstehen.

Der Tod als "letzter Feind" und alle weltliche "Herrschaft, Macht und Gewalt" waren zu Paulus Zeiten und sind zu unseren Zeiten noch nicht vernichtet. Maßlose Gewalt durch Menschen, die sich zu Göttern aufspielen, quälen das Leben auf unserer Erde immer wieder neu. Unrechtsregime, Machtmissbrauch und terroristische Gewalttaten zogen und ziehen immer wieder leidvolle Blutspuren hinter sich her.

Im Oktober 1934 fanden sich hier in Dahlem evangelische Christenmenschen im Widerspruch gegen die Todesmächte des Nationalsozialismus zu einer Bekenntnissynode zusammen. Sie wussten sich gestärkt durch die 3. These der Barmer Theologische Erklärung, die bezeugte: "Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern (ich ergänze: und Schwestern), in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihren Ordnungen mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte."

Christinnen und Christen wussten sich vor 80 Jahren gerade in der Erwartung ihres auferstandenen Herrn gerufen und gefordert, gegenwärtig zu handeln und gegenwärtigem Unrecht zu widersprechen und zu widerstehen. Ihre Zukunfts-Erwartung schenkte ihnen Gegenwarts-Mut!

Sie zogen Konsequenzen aus bekannter theologischer Wahrheit und formulierten ein kirchliches Notrecht. Sie machten Ernst mit dem Zeugnischarakter kirchlicher Ordnung und erarbeiteten eine rechtliche Grundlage für widersprechendes kirchliches Leben. Sie galten als die Radikalen der Bekennenden Kirche, die "Dahlemiten"!

Die Dahlemer Synode wurde von einem Mut getragen, der sich aus dem Auferstehungsglauben speiste und den totalitären Ansprüchen des großen Führers und der kleinen Führer entgegentrat. Gegenwartsmut aus Zukunftshoffnung, das soll auch für uns heute die Frucht des Auferstehungsglaubens sein.

Denn auch wir Heutigen wären die "elendesten unter allen Menschen", wenn unser Osterglaube uns mit ungerechten Zuständen auf dieser Welt versöhnte. Wenn unsere christlichen Zukunftshoffnungen uns angesichts von gegenwärtigem Flüchtlingselend, von Kriegsopfern und Hungerkatastrophen "allein" unser kleines privates Glück suchen ließen.

Unser Auferstehungsglaube aber ruft uns mit der 6. These der Barmer Theologischen Erklärung dazu, "die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk". Wir können und sollen schon hier und jetzt öffentliche Spuren legen auf das hin, was kommt. Wir können und sollen Schritte des Friedens und der Gerechtigkeit wagen und ermöglichen.

Zum Beispiel durch die schnellere Aufnahme syrischer Flüchtlinge ohne bürokratische Hürdenläufeentlasten wir doch syrische Familien in unserem Land von den Krankheitskosten für ihre aus Syrien flüchtenden Verwandten, wie etwa in NRW.

Zum Beispiel durch den Verzicht darauf, Exportweltmeister bei Rüstungsgütern zu sein. Die meisten Todesopfer weltweit gehen auf das Konto von "Kleinfeuerwaffen", die auch aus Deutschland massenweise exportiert werden.

Zum Beispiel durch energisches Eintreten für diplomatische Lösungen in der Ukraine. Ein neuer "Kalter Krieg" ist schnell organisiert. Außerdem wünsche ich mir deutlichere Friedenszeugnise aller christlichen Kirchen in der Ukraine.

Rückschläge und Scheitern werden wir bei unserem Engagement erleben. Sie werden uns aber nicht klein kriegen, nicht zynisch machen und nicht in Verzweiflung treiben.

Denn: Christus ist auferstanden von den Toten - deshalb sind wir gewiss, dass der Tod endgültig seine Macht verloren hat!

Christus ist auferstanden von den Toten - das ist der Grund unserer Hoffnung gegen alle unsere Todeserfahrungen und über unser eigenes Sterben hinaus! Wir hoffen in diesem und im zukünftigen Leben auf Christus.

So sind wir die seligsten unter allen Menschen!

Gesegnete Ostern!