Die neuen Kriege - eine Herausforderung auch für kirchliches Handeln

Studie der EKD-Kammer für Entwicklung und Umwelt

Frieden könne durch externe Intervention gefördert, aber nicht geschaffen werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Kammer für Entwicklung und Umwelt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Studie beschäftigt sich mit ziviler Intervention in gewaltsamen Konflikten. Sie wird am Montag, den 30. September, in Hannover veröffentlicht. Auf den Grundlagen aktueller Friedensforschung beleuchtet sie die Dynamik der neuen innergesellschaftlichen Kriege. Die Kammer hat den Faktor Religion und Ethnie untersucht. Sie zeigt Chancen und Grenzen für kirchliches Handeln auf.

Die Aktualität des Textes werde besonders am Beispiel des 11. September deutlich. Es habe sich hier gezeigt, so die Studie, wie sehr sich auch scheinbar weit entfernte Konflikte weltweit auswirkten. "Nun wird verstärkt diskutiert, welche Rolle die Religionen einerseits mit ihren ideologisch pervertierten Konfliktanteilen an der Zuspitzung von Gewalt und andererseits mit ihren friedensfördernden Traditionen an der Deeskalation von Konflikten haben", so der Ratsvorsitzende der EKD, Präses Manfred Kock, in seinem Vorwort zu dem Kammertext, der in der Reihe "EKD Texte" als Nr. 72 unter dem Titel erscheint "Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Gewaltsame Konflikte und zivile Intervention an Beispielen aus Afrika - Herausforderungen auch für kirchliches Handeln". Der Kammertext ist ein Beitrag zur ökumenischen "Dekade zur Überwindung von Gewalt". Vorsitzender der Kammer ist Lothar Brock, Dozent am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt/Main.

Die neuen Kriege – ein innergesellschaftliches Phänomen

Immer mehr Gesellschaften, besonders in Afrika, werden durch innergesellschaftliche Kriege zerrissen. 83 Prozent aller Kriege seit 1945 sind laut Studien innergesellschaftliche Konflikte. Was kann Kirche, was können Christinnen und Christen tun, um gewaltsame Austragung von Konflikten zu vermeiden? Um auf diese Frage antworten zu können, untersucht die Kammerstudie die Rolle von Religionen und Ethnizität, aber auch die Folgen der Globalisierungsprozesse sowie Ursachen und Folgen des Zerfalls staatlicher Strukturen.

"Armut und knappe Ressourcen machen Bevölkerungen anfällig für Manipulation und Agitation", heißt in der Kammerstudie. Im Gegensatz zu den säkularen Gesellschaften der industrialisierten Welt, spielten in afrikanischen Gesellschaften außerdem soziale Bindungen und Gruppenzugehörigkeit eine zentrale identitätsstiftende Rolle. Diese Zugehörigkeit werde von politischen oder wirtschaftlichen Akteuren ausgenutzt, Religionen würden oft "für Macht- und Verteilungskämpfe instrumentalisiert und zur Legitimierung von Gewalt missbraucht."

Warum gerade jetzt gesellschaftliche Konflikte so häufig gewaltsam ausgetragen werden, erklärt der Text maßgeblich mit zwei Faktoren. Zum einen "kam es im Zuge der politischen - zum Teil auch unter Anwendung von Gewalt - durchgesetzten Entkolonisierung nur ansatzweise zur Herausbildung eines Bewusstseins der "nationalen" Zusammengehörigkeit.“ Stattdessen sei vielfach eine Aushöhlung von Staaten und staatlicher Autorität erfolgt. Wichtigstes Existenzkriterium dieser Staaten sei die Anerkennung und damit Unterstützung durch andere Staaten.

Des weiteren hätten jedoch mit Ende des Ost-West Konflikts die Systemblöcke das geo-politische Interesse an der Unterstützung der fragilen oder aber autoritären Regime verloren. Während von außen die Demokratisierung vieler Staaten vorangetrieben worden sei, hätten sich in Wirklichkeit die innenpolitischen Auseinandersetzungen häufig verschärft.

Zivile Intervention und die Rolle der Kirchen

„Zur Reduzierung von Gewalt in gesellschaftlichen Konflikten ist eine wirksame Kontrolle des Handels mit Produkten nötig, die aus Kriegszonen stammen und zur Finanzierung von Kriegen genutzt werden“, fordert die Kammer in ihrem Text von Wirtschaft und Politik. Kirchen in Industriestaaten müssten dies in ihren Gesprächen mit der Wirtschaft klar zum Ausdruck bringen.

„Ein wichtiger Ansatz für externe Intervention sind die Einrichtungen und Gruppen in der Bevölkerung, die nicht aktiv in das gewaltsame Konfliktgeschehen einbezogen sind“, so der Text im Hinblick auf die ökumenische Arbeit in den Krisengebieten. Vor allem kirchliche
humanitäre Hilfsorganisationen und Entwicklungseinrichtungen nutzten diese Möglichkeit. „Die Zusammenarbeit in der ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen basiert auf der gemeinsamen Überzeugung, dass die Gewaltanwendung in Konflikten nicht dem Willen Gottes entspricht.“ Eine Tatsache sei jedoch, dass nationale Verbundenheit häufig stärker sei als der gemeinsame christliche Glaube.

Ob Religionsführer in Konfliktsituationen sich für friedensstiftendes Handeln einsetzten, oder selbst Konfliktpartei würden, sei eine große Herausforderung für den ökumenischen und den interreligiösen Dialog. So plädieren die Kammermitglieder für eine intensive Wahrnehmung des ökumenischen Dialogs zwischen betroffenen Kirchen und Partnerkirchen und für einen interreligiösen Dialog, der sich verstärkt mit dem Thema der religiösen Legitimierung von Gewalt auseinandersetzt.

Doch auch wenn externe Intervention in Zukunft aufeinander abgestimmt, politisches und wirtschaftliches Handeln kohärent gestaltet würde – so wie es die Kammer anmahnt – gelte: „Frieden kann durch externe Interventionen gefördert, aber nicht geschaffen werden.“

Indem der Kammerstudie somit die Chancen und Grenzen der zivilen Intervention aufzeigt, ist sie „ein weiterer Versuch des Rates der EKD und seiner Kammer für Entwicklung und Umwelt, die Kirchen und ihre Dienste und Werke zu friedensstiftendem Handeln zu ermutigen", resümiert Ratsvorsitzende Kock.

Hannover, 30. September 2002
Pressestelle der EKD
Anita Hartmann

Hinweis:

Der vollständigen Text

Eine englische Fassung des EKD-Textes erscheint in Kürze. Weitere Informationen zur ökumenischen "Dekade zur Überwindung von Gewalt" finden Sie im Internet unter
www.ekd.de/dov