„Unvergessener Botschafter der Evangelischen Kirche“

Zum 100. Geburtstag von Bischof Hermann Kunst

Am kommenden Sonntag, 21. Januar, wäre Bischof Hermann Kunst (1907-1999), der erste Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Sitz der Bundesregierung, 100 Jahre alt geworden. „Als Bischof und Berater, Diplomat und Seelsorger war er ein geschätzter und verlässlicher Gesprächspartner in Kirche und Politik, der auf allen Seiten hohe Wertschätzung genoss. Respekt brachten ihm auch diejenigen entgegen, die in bestimmten Grundhaltungen oder in konkreten Fragen andere Wege gingen als er. Zahlreiche Impulse, die von ihm ausgingen, wirken bis heute nach,“ stellt der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber, fest. Und der derzeitige Bevollmächtige des Rates der EKD weiß: „Seine Persönlichkeit, sein vielseitiges und unermüdliches Engagement für den deutschen Protestantismus und sein langjähriges, beispielhaftes Wirken als Botschafter der evangelischen Kirche auf den politischen Bühnen seiner Zeit sind bis heute spürbar und unvergessen.“

Wolfgang Huber schreibt anlässlich des 100. Geburtstags von Hermann Kunst, er habe den Weg der evangelischen Kirche nach 1945 entscheidend mitgeprägt. Gerade für die Zusammengehörigkeit der evangelischen Kirche in Ost und West habe er mehr getan und bewirkt, als in der Zeit seines aktiven Dienstes öffentlich bekannt war: „Unermüdlich wirkte Hermann Kunst für gute und verlässliche Beziehungen zwischen der evangelischen Kirche und dem politischen Bereich. Vielen Politikern wurde er zum Seelsorger. Altbundespräsident Roman Herzog nannte ihn einmal einen seiner ‚politischen Ziehväter’.“ Im Rückblick auf das Leben des ersten Bevollmächtigten schreibt Wolfgang Huber: „Das Wirken von Hermann Kunst ist Ansporn, den eigenen Glauben in der Weite kirchlicher, gesellschaftlicher und politischer Verantwortung zu leben. In unserer Kirche bleibt die dankbare Erinnerung an ihn lebendig.“

Hermann Kunst wurde am 21. Januar 1907 in Ottersberg bei Bremen geboren. Nach einer Lehre bei der Deutschen Bank von 1922 bis 1924 entschloss er sich, das Abitur zu machen. Er studierte in Marburg, Berlin und Münster Theologie. 1932 wurde er Pastor im westfälischen Herford, 1942 am selben Ort Superintendent. Er war Glied der Bekennenden Kirche. Im Zweiten Weltkrieg war er als Militärpfarrer eingesetzt. 1949 übernahm er das neu begründete Amt des Bevollmächtigten des Rates der EKD; seit der Gründung der Bundeswehr im Jahr 1956 verband er damit im Nebenamt die Aufgabe des Militärbischofs.

28 Jahre lang, von 1949 bis 1977, war Hermann Kunst als Bevollmächtigter des Rates am Sitz der Bundesregierung in der Bonner Fritz-Erler-Straße tätig. Das Engagement im politisch-gesellschaftlichen Raum, die Wahrnehmung der Mitverantwortung für die öffentlichen Angelegenheiten des Gemeinwesens waren nach 1945 Neuland für die evangelische Kirche. Kunst etablierte und prägte das Amt des Bevollmächtigten maßgeblich; mit Beharrlichkeit und Überzeugungskraft vertrat er die Bedeutung der evangelischen Kirche für die deutsche Gesellschaft. Das besondere Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Deutschland als verantwortliche Partnerschaft bei gleichzeitiger Unabhängigkeit geht nicht zuletzt auf sein Wirken zurück. Bischof Kunst sei es damals gelungen, „seiner Kirche die Türen zu allen politischen Lagern zu öffnen und das Verhältnis zwischen der jungen Demokratie in der Bundesrepublik und der jungen EKD tragfähig zu gestalten“, bescheinigte Präses Manfred Kock, der damalige Ratsvorsitzende der EKD, dem ersten Bevollmächtigten des Rates (in seinem Nachruf) 1999. Der Schlüssel dafür lag auch in seiner Fähigkeit, anderen Menschen genau zuzuhören. Prälat Reimers erinnert sich an Kunst als stets „zugewandten Gesprächspartner und herzlichen Gastgeber“. Und Herbert Wehner, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, stellte fest: „Politische Repräsentanten und amtliche Würdenträger werden im Verkehr mit ihm oft zu streckenweise gleichermaßen interessierten, suchenden oder fragenden Mitmenschen, die eine gemeinsame Verantwortung spüren und gar dort entdecken, wo sie gegensätzlich argumentieren“.

Geschätzt wurde Bischof Kunst als Diplomat, als politischer Ratgeber und versierter Theologe, großes Vertrauen genoss er aber auch als Seelsorger. Sein Engagement hatte immer das Wohl der Menschen zum Ziel. Als Verfechter der Seelsorge für Soldaten wurde er 1956 der erste evangelische Militärbischof und handelte den 1957 geschlossenen Militärseelsorgevertrag mit aus. Für Aufsehen sorgte auch sein Einsatz als „Grenzgänger“, der mit der Regierung der DDR über den Freikauf von Menschen aus der Gefangenschaft verhandelte. Kunst war außerdem Mitbegründer der westfälischen Flüchtlingsstadt Espelkamp und der Evangelischen Akademie Friedewald; auf seine Initiative geht auch die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe in Bonn zurück, die er von 1962 bis 1978 leitete.

Hermann Kunst engagierte sich in herausragender Weise für die Christen und die Kirchen in der DDR. Auf vielfältige Weise unterstützte er die Arbeit der evangelischen Kirche über Mauer und Stacheldraht hinweg. Die Versöhnung Deutschlands mit seinen östlichen Nachbarn war ihm ein besonderes Anliegen. Er förderte die Ökumene – nicht nur zwischen evangelischer und katholischer Kirche, sondern auch im Dialog mit den orthodoxen Kirchen. Er unterstützte die neutestamentliche Textforschung und gab wichtige Impulse für eine zeitgemäße Friedensforschung und Friedensethik.

Hannover/Berlin, 18. Januar 2007
Pressestelle der EKD

Karoline Lehmann/Christof Vetter


Die Stellungnahme des Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Dr. Wolfgang Huber, im Wortlaut:

Dankbare Erinnerung an Bischof Hermann Kunst (1907-1999)

Hermann Kunst hat den Weg der evangelischen Kirche nach 1945 entscheidend mitgeprägt. Als Bischof und Berater, Diplomat und Seelsorger war er ein geschätzter und verlässlicher Gesprächspartner in Kirche und Politik, der auf allen Seiten hohe Wertschätzung genoss. Respekt brachten ihm auch diejenigen entgegen, die in bestimmten Grundhaltungen oder in konkreten Fragen andere Wege gingen als er. Zahlreiche Impulse, die von ihm ausgingen, wirken bis heute nach. Für die Zusammengehörigkeit unserer Kirche in Ost und West hat er mehr getan und bewirkt, als in der Zeit seines aktiven Dienstes öffentlich bekannt war.

Hermann Kunst wurde am 21. Januar 1907 in Ottersberg bei Bremen geboren. Nach einer Lehre bei der Deutschen Bank von 1922 bis 1924 entschloss er sich, das Abitur zu machen. Er studierte in Marburg, Berlin und Münster Theologie. 1932 wurde er Pastor im westfälischen Herford, 1942 am selben Ort Superintendent. Er war Glied der Bekennenden Kirche. Im Zweiten Weltkrieg war er als Militärpfarrer eingesetzt. 1949 übernahm er das neu begründete Amt des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei Bundesregierung und Bundestag; seit der Gründung der Bundeswehr im Jahr 1956 verband er damit im Nebenamt die Aufgabe des Militärbischofs. Beide Ämter hatte er bis 1977 inne.

Unermüdlich wirkte Hermann Kunst für gute und verlässliche Beziehungen zwischen der evangelischen Kirche und dem politischen Bereich. Vielen Politikern wurde er zum Seelsorger. Altbundespräsident Roman Herzog nannte ihn einmal einen seiner „politischen Ziehväter“.

Hermann Kunst engagierte sich in herausragender Weise für die Christen und die Kirchen in der DDR. Auf vielfältige Weise unterstützte er die Arbeit der evangelischen Kirche über Mauer und Stacheldraht hinweg. Die Versöhnung Deutschlands mit seinen östlichen Nachbarn wa ihm ein besonderes Anliegen. Er förderte die Ökumene – nicht nur zwischen evangelischer und katholischer Kirche, sondern auch im Dialog mit den orthodoxen Kirchen. Er unterstützte die neutestamentliche Textforschung und gab wichtige Impulse für eine zeitgemäße Friedensforschung und Friedensethik. Der von ihm mit begründeten Aufbaugemeinde Espelkamp galt ebenso seine Fürsorge wie der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe.

Das Wirken von Hermann Kunst ist Ansporn, den eigenen Glauben in der Weite kirchlicher, gesellschaftlicher und politischer Verantwortung zu leben. In unserer Kirche bleibt die dankbare Erinnerung an ihn lebendig.