EKD-Ratsvorsitzender Kock: "Kirche ohne Bibel ist wie ein Computer ohne Speicher"

Die Bibel sei die einzige Quelle und Norm des evangelischen Glaubens. Dies erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, in seinem Ratsbericht für die erste Tagung der 10. Synode der EKD vom 23. bis 25. Mai in Leipzig. Sowohl bei der Frage des gemeinsamen Abendmahls von Protestanten und Katholiken als auch im Hinblick auf die gottesdienstliche Segnung von Menschen in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften sei eine wirkliche Klärung nur auf Grundlage der Bibel möglich.

Evangelische Frömmigkeit sei in erster Linie mit dem Lesen der Bibel verbunden. Gegenwärtig spiele das Bibellesen jedoch selbst bei Kirchenmitgliedern eine untergeordnete Rolle, so Kock in seinem Bericht. Dies ziehe den Verlust der persönlichen Frömmigkeit und Lebenshilfe sowie den Verlust eines wesentlichen, Identität stiftenden Mediums für einen ganzen Kulturraum nach sich. Damit sei dies "bedrohlich für das Profil unserer evangelischen Kirche. Eine evangelische Kirche ohne die Bibel wäre wie ein Computer ohne Speicher." Es gäbe keinen anderen Zugang zum Wort Gottes als durch die Bibel: "Sie ist die einzige und zentrale Quelle und Norm unseres Glaubens." Dabei sichere die Bibel für die Kirchen der Reformation keineswegs ihre Einheit, sondern begründe die Vielfalt der Konfessionen, welche die evangelischen Christen auch in Zukunft weiterhin selbstbewusst verteidigen würden. "Dies bewahrt davor, die Bibel zum "papiernen Papst" zu machen, und erinnert daran, dass jeder getaufte Christ gleichberechtigten Zugang zur Bibel und die Kompetenz zum geistlichen Urteil für den eigenen Glauben hat."

In der Frage des gemeinsamen Abendmahls seien die Unterschiede im Vorfeld des Kirchentages benannt. Die kontroversen theologischen Sachfragen müssten jetzt geklärt werden, so Kock. Dazu gehöre der Respekt vor dem Gegenüber und die Achtung seiner Glaubensüberzeugung. Voraussetzung dafür sei eine Klarheit nach innen im Sinne stetiger Selbstvergewisserung und eine Klarheit nach außen, die das Profil der evangelischen Kirche zeige. "Nur wer sich seiner eigenen Identität bewusst ist, wer seine Wahrheitseinsicht klar zu beschreiben weiß und die Position der anderen würdigt, auch wenn er sie nicht teilt, kann sich auf die Suche nach gemeinsamer Wahrheit begeben," so Kock. Die Welt brauche nicht die wechselseitigen Frustrationen der beiden Kirchen, sondern deren "gemeinsames Zeugnis der Botschaft des Evangeliums". Dieses Zeugnis gelte es beim Ökumenischen Kirchentag abzulegen, die Gemeinsamkeiten seien längst nicht ausgeschöpft.

Die Abendmahlsfrage mache die zentrale Differenz der beiden Kirchen sichtbar: Die Frage des kirchlichen Amtes. Klärungsbedarf gebe es nicht nur im Gespräch mit den römisch-katholischen und den orthodoxen Kirchen, sondern auch innerhalb der evangelischen Tradition. "Die Klärung zwischen den unterschiedlichen Einheitskonzepten wird nur im Hören auf die Heilige Schrift herbeigeführt werden können, die auch beim Dialog mit der römischen Kirche nicht ausgeschöpft ist."

Nur im gemeinsamen Suchen nach der Wahrheit der Bibel könnten für alle verbindliche Entscheidungen gefällt werden. Dies gelte auch im Blick auf die Frage der "gottesdienstlichen Segnung" von Menschen in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, in der die evangelische Kirche bisher noch zu keiner wirklichen Klärung auf Grundlage der Bibel gekommen sei. Kock plädierte dafür, bei dieser Diskussion die "unsachgemäße Aufgeregtheit" herauszunehmen. "Lassen Sie uns gemeinsam unter dem Wort der Heiligen Schrift bleiben, wohl wissend, dass sich unter diesem Dach auch Überzeugungen finden, die mit den je eigenen Glaubenseinsichten nur schwer vereinbar sind."

Die Ursache für die Unterschiedlichkeit der Bibelauslegung sei theologischer Natur, denn Gott äußere sich auf indirekte Weise über die Heilige Schrift. Die Bibel sei "Gotteswort im Menschenwort". Eine historisch-kritische Betrachtung und Erforschung sei daher für ihre Auslegung notwendig. Ohne kritische Distanz sei die Bibel ein spannendes, aber streckenweise auch ein "schwer verdauliches Buch", in dem von lebensschützenden Geboten aber auch von Völkermord, diskriminierenden Vorschriften und patriarchalen Gottesbildern erzählt würde. "Die Bibel ist kein Beweis für historische Richtigkeiten, sondern Ausdruck des Glaubens." Sie deute reale Lebens- und Geschichtserfahrung auf Gott hin und von Gott her. Wer den historisch-kritischen Ansatz schätzen würde, gelange außerdem zu der Einsicht, dass die Ausschmückungen und Entfaltungen die biblischen Geschichten nicht entstellen würden, sondern dabei helfen würden, "sie tiefer und reicher zu erleben". Kritische Bibelfrömmigkeit mache auch skeptisch gegenüber Behauptungen, ein bestimmtes Handeln entspreche exakt dem aus der Bibel ablesbaren Willen Gottes. Schlussendlich erwachse aus der kritischen Bibelfrömmigkeit eine neue Liebesbeziehung zum Heiligen Buch.


Leipzig, 23. Mai 2003
Pressestelle der EKD
Anita Hartmann