Evangelische Schulen oft über dem Durchschnitt

Erste Studie zur Qualität der konfessionell gebundenen Schulen

Die Qualität von Schulen in evangelischer Trägerschaft ist oft erkennbar besser als die im staatlichen Bildungswesen. Beispielsweise im Bereich des Leseverständnisses sind Vorteile gegenüber staatlichen Schulen feststellbar. Außerdem ist der Anteil von so genannten Risikoschülern deutlich geringer als im staatlichen Bildungswesen, was nicht nur auf den sozialen Hintergrund der Familien, sondern auch auf die Qualität der Schulen zurückzuführen ist. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie mit dem Titel „Erträge von Erziehungs- und Bildungsprozessen an Schulen in evangelischer Trägerschaft in Deutschland“. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, sowie die Autoren der Studie, Professor Annette Scheunpflug (Universität Erlangen-Nürnberg) und Professor Olaf Köller (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, Berlin), stellen die Untersuchung am heutigen Mittwoch, 1. Juni, in Berlin vor.

Evangelische Schulen vertreten den Anspruch, sich von staatlichen Schulen zu unterscheiden. Drei gemeinsame Anliegen in der pädagogischen Arbeit lassen sich ausmachen: Es ist erklärtes Ziel, in besonderem Maße zur Qualifikation junger Menschen beizutragen. Zweitens wird besonderer Wert auf ein diakonisches Bildungsverständnis, das heißt auf eine umfassende Sozialerziehung gelegt. Das dritte Ziel ist die Milieubindung: Konfessionelle Schulen haben in einer Zeit allgemein zunehmender „Entkirchlichung“ den Anspruch, einen Ort zu verkörpern, der den Glauben stärkt. Werden evangelische Schulen ihren eigenen Ansprüchen gerecht? Diese Frage stand im Mittelpunkt des in Kooperation mit dem Deutschen PISA-Konsortium durchgeführten und von der EKD finanzierten Forschungsprojektes.

„Die nun veröffentlichten Befunde zeigen, dass das Profil evangelischer Schulen positiv und statistisch bedeutsam durchschlägt“, sagt Annette Scheunpflug. Die untersuchten Schulen wiesen bei schulischer Bildung und Sozialisation in keinerlei Hinsicht ungünstigere Werte gegenüber öffentlichen Schulen auf. Das ermittelte bessere Leseverständnis entspreche immerhin einem Leistungsvorsprung von einem drittel Schuljahr. Auch mit Blick auf das diakonische Bildungsverständnis und die Milieubindung zeigen die Analysen, dass evangelische Schulen die selbst gesteckten Ziele erreichen. Schulen in evangelischer Trägerschaft, so ein Fazit der Studie, bieten damit ein günstiges Erziehungs- und Sozialisationsmilieu. Das positive Klima in allen untersuchten Einrichtungen führe dazu, dass Jugendliche eigene religiöse Erfahrungen machen und damit Glauben im Lebensvollzug konkret erfahren könnten.

„Schulen in kirchlicher Trägerschaft leisten einen substanziellen Beitrag im Bildungswesen, der in seiner Bedeutung in der öffentlichen Meinung zuweilen unterschätzt wird“, betonen die Wissenschaftler. Bei aller Vielfalt der privaten Träger machen konfessionelle Schulen den größten Anteil im Privatschulwesen aus. Etwa fünf Prozent aller Schülerinnen und Schüler an Realschulen und 7,5 Prozent der Gymnasiasten in Deutschland besuchen konfessionelle Privatschulen. Insgesamt gehen rund 70.000 Schülerinnen und Schüler in Deutschland auf evangelische Schulen.

Für die präsentierte Untersuchung wurden Sekundäranalysen der bereits im Jahr 2000 erhobenen PISA-E-Daten durchgeführt und evangelische mit staatlichen Schulen verglichen. Zudem wurden an sechs Fallbeispielen die Profile evangelischer Schulen differenziert neu erhoben. Berücksichtigt wurden nicht allein die Leistungsdaten sondern auch Angaben zum diakonischen Bildungsverständnis und zur kirchlichen Milieubindung (zum Beispiel kirchliche Freizeitaktivitäten und religiöse Erfahrungen). Bei allen Analysen wurde darauf geachtet, dass die verglichenen Schülerinnen und Schüler aus identischen Bundesländern stammen, dass die Familien einen äquivalenten sozialen Hintergrund haben und dass die jeweiligen kognitiven Grundfähigkeiten vergleichbar sind.

Hannover / Berlin, 01. Juni 2005

Pressestelle der EKD
Christof Vetter / Karoline Lehmann

Hinweis: Die Untersuchung erscheint in Kürze im Waxmann-Verlag, Münster: Claudia Standfest/Olaf Köller/Annette Scheunpflug: lernen – leben – glauben: Zur Qualität evangelischer Schulen. Münster 2005

Die Einführungstexte der Pressekonferenz:

Einführungstext des Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Wolfgang Huber:

Stellungnahme auf der Pressekonferenz am 1. Juni 2005 in Berlin

Bildung gehört zu den großen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Die PISA-Debatte hat das auf ihre Weise unterstrichen. Dieser Herausforderung stellt sich auch die evangelische Kirche; denn sie ist durch ihre Tradition wie durch ihre gegenwärtige Praxis durch eine besondere Nähe zu Bildungsaufgaben geprägt.

Vor zwei Jahren haben wir deswegen unter dem Titel "Maße des Menschlichen" eine Denkschrift veröffentlicht, die evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft entfaltet. In dieser Denkschrift plädieren wir für ein ganzheitliches und mehrdimensionales Bildungsverständnis.

Bildung in diesem Verständnis kann durch Leistungsvergleiche zwischen Schulen allein nicht erfasst und gemessen werden. Dennoch haben Leistungsvergleiche aus unserer Sicht ihre relative Berechtigung. Auch in evangelischer Sicht ist die Forderung nach guter und exzellenter Schulqualität zu bejahen. Allerdings schließt unser Verständnis von Exzellenz einer Schule die Förderung der schwachen Schüler ebenso ein wie die Förderung besonders begabter. Das Schulklima als eine Grundbedingung gelingender Lernprozesse ist nach unserer Auffassung ebenso in den Blick zu nehmen wie das engagierte Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern.

Ein Ergebnis der bisherigen PISA-Untersuchung allerdings beunruhigt uns wie andere Beobachter auch besonders, nämlich wie sehr sich in Deutschland Sozialschichtzugehörigkeit und Lernerfolg bedingen.

Neben der Beteiligung an der öffentlichen Bildungsdiskussion richtet sich das Interesse des Rates der EKD verständlicherweise auf die eigenen Bildungseinrichtungen, die ja Teil des öffentlichen Bildungssystems sind. Wir wollten es genauer wissen: Wie schneiden eigentlich Schulen in evangelischer Trägerschaft bei PISA ab? Und welche Erkenntnisse lassen sich darüber hinaus im Blick auf das Selbstverständnis und den Qualitätsanspruch evangelischer Schulen gewinnen?

Dazu haben wir eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, deren Durchführung von Frau Professor Scheunpflug und Herrn Professor Köller verantwortet wird. Ihnen beiden danke ich herzlich dafür, dass sie als Erziehungswissenschaftler ein so großes Engagement für einen in der Schulforschung bisher nicht hinreichend berücksichtigten Bereich gezeigt haben,

Der Rat der EKD hat den Ergebnissen dieser Studie gespannt entgegengesehen. Nach vorauslaufenden Informationen sind sie ihm in diesem Monat vorgelegt worden. Die gespannte Erwartung hatte auch darin ihren Grund, dass es zur Qualität kirchlicher Schulen bisher durchaus unterschiedliche Auffassungen gab. Sie haben ihre Ursache zum Teil darin, dass man im Blick auf Privatschulen gewonnene Ergebnisse ungeprüft auf Schulen in kirchlicher Trägerschaft übertragen hat.

Die Studie jedoch hat gezeigt: Evangelische Schulen brauchen den Vergleich nicht zu scheuen, im Gegenteil. Frau Scheunpflug und Herr Köller werden Ihnen das gleich noch genauer darlegen. Dass zum Beispiel evangelische Schulen im Blick auf die Lesekompetenz signifikant besser abschneiden als staatliche Schulen, freut uns sehr. Die Vermutung ist begründet, dass sich hier das reformatorische Interesse, zu einem eigenverantwortlichen Verstehen der biblischen Tradition zu befähigen, nun im Umgang mit Literatur überhaupt einen unübersehbaren Ausdruck verschafft. Ebenso ist uns die Tatsache besonders wichtig, dass an evangelischen Schulen die Vermittlung von Grundbildung auch in schwierigen sozialen Gruppen, vor allem unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund, besser als im staatlichen Schulwesen gelingt. Schließlich erfolgten evangelische Schulgründungen in der Geschichte oft aus diakonischen Motiven. Kinder von der Straße und aus armen Verhältnissen sollten eine solide Schulbildung erhalten, um ihnen die eigenständige Sicherung ihrer Existenz und eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Ich will kurz einige Schlussfolgerungen ziehen:

1) In evangelischer Sicht bemisst sich die Qualität von Schule sowohl daran, was sie für Kinder und Jugendliche leistet, als auch an ihrem Beitrag für die Gesellschaft und das Leben in der Einen Welt. Das Bemühen um gute und bessere Schulen war und ist das grundlegende Motiv für Schulen in evangelischer Trägerschaft.

2) Demokratie als Ziel politischer Bildung ist heute ebenso unbestritten wie die Notwendigkeit, diese Aufgabe in den Schulen stärker wahrzunehmen, als es bislang der Fall war. Dazu gehört auch eine demokratische Ausgestaltung von Schulstruktur und Schulverfassung – bis hin zur Trägerschaft. Die rechtlichen Bestimmungen zu den nicht-staatlichen Schulen spiegeln kein überkommenes Privilegienwesen, sondern konstituieren einen vom Grundgesetz gewollten Trägerpluralismus. Einem staatlichen Schulmonopol werden demokratische Trägerverhältnisse gegenüber gestellt. Evangelische Schulen sind ebenso wie staatliche Schulen öffentliche Schulen. Das muss sich auch in der finanziellen Förderung niederschlagen, die teilweise immer weiter reduziert wird.

3) Die Bedeutung und Vielfalt der evangelischen Schulen in der Schullandschaft sollte auch statistisch erkennbar werden. Das würde ihre innovatorischen Impulse in der Schulentwicklung allgemein unterstützen. Es ist nicht einzusehen, warum in den amtlichen Statistiken unter den Privatschulen zwar die Waldorf-, nicht aber die Schulen in evangelischer und katholischer Trägerschaft gesondert ausgewiesen sind, obwohl deren Anteil wesentlich höher liegt.

4) Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass das Schulmilieu und -profil sowie die Lernleistungen miteinander zusammenhängen. Das sollte in kommenden Schulleistungsvergleichen stärker berücksichtigt werden.

5) Last but not least: Die vorliegende Studie wirft Licht auf einen sowohl in der öffentlichen Bildungsdiskussion als auch in der Forschung vernachlässigten Bereich. Noch fehlen repräsentative Erhebungen über Schulen in evangelischer (und katholischer) Trägerschaft. In anderen Ländern werden nicht-staatliche Schulen in ihrer Bedeutung für das gesamte Schulwesen oft wesentlich besser erforscht. Dieses Defizit gilt es in den künftigen großen bundesweiten Schuluntersuchungen auszugleichen. Im Sinne einer inspirierenden Konkurrenz brächte dies beiden Vorteile, den öffentlichen Schulen ebenso wie den Schulen in evangelischer Trägerschaft.

Ein erster Schritt in dieser Richtung ist getan. Die Untersuchung von Frau Scheunpflug und Herrn Köller ist ermutigend. Sie wird dem evangelischen Schulwesen dabei helfen, auf einer guten Grundlage weiter an der Qualität evangelischer Schulen zu arbeiten.


Einführungstext von Professor Annette Scheunpflug:

Evangelische Schulen – die besseren Bildungseinrichtungen?

Privatschulen boomen und die aktuellen Anmeldungszahlen verweisen auf die Attraktivität dieser Schulen

Bei aller Vielfalt der privaten Träger machen konfessionelle Schulen den größten Anteil im Privatschulwesen aus. Ihre Verbreitung ist im Bereich des Sekundarschulsystems erheblich, deutlich höher, als dies im öffentlichen Bewusstsein verankert ist. Ca. 5 Prozent aller Schülerinnen an Realschulen und 7,5 Prozent der Gymnasiasten in Deutschland besuchen konfessionelle Privatschulen. Insgesamt gehen ca. 70.000 Schülerinnen und Schüler in Deutschland auf evangelische Schulen.

Evangelische Schulen vertreten (wie auch katholische) den Anspruch, sich von staatlichen Schulen zu unterscheiden. Bei aller Heterogenität, die zwischen diesen Schulen besteht, lassen sich drei gemeinsame Anliegen in der pädagogischen Arbeit ausmachen: Es ist erklärtes Ziel, in besonderem Maße zur Qualifikation junger Menschen beizutragen. Zweitens wird besonderer Wert auf ein diakonisches Bildungsverständnis, d.h. auf eine umfassende Sozialerziehung gelegt. Das dritte Ziel ist die Milieubindung: Konfessionelle Schulen haben in einer Zeit der zunehmenden Entkirchlichung den Anspruch, einen Ort zu verkörpern, der den Glauben stärkt.

Werden evangelische Schulen ihren eigenen Ansprüchen gerecht? An der Universität Erlangen-Nürnberg (Prof. Dr. Olaf Köller/Prof. Dr. Annette Scheunpflug, Dr. Claudia Standfest) wurde jetzt ein Forschungsprojekt in Kooperation mit dem Deutschen PISA-Konsortium abgeschlossen, in dem dieser Frage systematisch nachgegangen wurde. Das Projekt wurde durch die Evangelische Kirche in Deutschland finanziert.

Für diese Forschungsarbeit wurden Sekundäranalysen der PISA-E-Daten von 2000 durchgeführt und evangelische mit staatlichen Schulen verglichen. Zudem wurden an sechs Fallbeispielen die Profile evangelischer Schulen differenziert neu erhoben. Berücksichtigt wurden nicht allein die Leistungsdaten sondern auch Angaben zum diakonischen Bildungsverständnis (z. B. Indikatoren des Schulklimas oder der Schüler-Lehrer-Verhältnisses) und zur kirchlichen Milieubindung (z. B. kirchliche Freizeitaktivitäten und religiöse Erfahrungen). Bei allen Analysen wurde darauf geachtet, dass die verglichenen Schülerinnen und Schüler aus identischen Bundesländern stammen, die Familien einen äquivalenten sozialen Hintergrund haben und die kognitiven Grundfähigkeiten vergleichbar sind.

Die nun veröffentlichten Befunde zeigen, dass das Schulprofil evangelischer Schulen in positiv und statistisch bedeutsam durchschlägt. Die untersuchten evangelischen Schulen weisen sind in keinem der gewählten Indikatoren schulischer Bildung und Sozialisation ungünstigere Werte gegenüber öffentlichen Schulen auf. Im Bereich des Leseverständnisse sind in der Tat Vorteile gegenüber staatlichen Schulen beobachtbar, die immerhin einem Leistungsvorsprung von einem drittel Schuljahr entsprechen. Keine Unterschiede zeigen sich in den mathematischen Kompetenzen. Der Anteil von so genannten Risikoschülern ist deutlich geringer als im staatlichen Bildungswesen; dieser Unterschied ist nicht nur auf den sozialen Hintergrund der Familien, sondern auch auf die Qualität der Schulen zurückzuführen. Hinsichtlich der Indikatoren zum diakonischen Bildungsverständnis und der Milieubindung zeigen die Analysen, dass evangelische Schulen hier die selbst gesteckten Ziele erreichen. Schulklimaindikatoren weisen im Vergleich zu öffentlichen Schulen günstigere Werte auf, das gleiche gilt für die Daten zur Milieubindung. Schulen in evangelischer Trägerschaft bieten also ein günstiges Erziehungs- und Sozialisationsmilieu.