„In Freiheit verbunden – der Stadt Bestes suchen“

Wolfgang Huber zu 50 Jahren Loccumer Vertrag

Die wechselseitige Unabhängigkeit von Staat und Religion bedeute nach deutschem Verfassungsrecht nicht, dass das Religiöse aus dem öffentlichen Bereich verbannt werde. Dies sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in Loccum anlässlich der Erinnerung, dass vor 50 Jahren der Loccumer Vertrag geschlossen wurde. Das Zusammenwirken von Staat und Kirche sei geprägt von dem Bemühen „in Freiheit verbunden – der Stadt Bestes“ zu suchen. Unter gewandelten Bedingungen sei der Ansatz, der sich im Loccumer Vertrag ausdrücke, „genauso aktuell wie damals“. Vor einem halben Jahrhundert sei von einer breiten Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen ausgegangen worden. Dies habe 50 Jahre später noch Sinn: „Auch heute gilt, dass sich die Kirchen ihrem Auftrag zu öffentlichem Wirken zu stellen haben. Und ebenso gilt auch heute, dass der Staat in seiner ‚fördernden Neutralität’ dieses öffentliche Wirken der Kirchen nicht nur wahrnimmt, sondern bejaht,“ so der Ratsvorsitzende.

Der Loccumer Vertrag wurde am 19. März 1955 im Kloster Loccum zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Kirchen im Land Niedersachsen geschlossen. Ausgangspunkt und tragendes Element des Vertragswerkes war der Wunsch der evangelischen Kirchen und des Landes Niedersachsen, die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Kirche konsequent umzusetzen und sie zugleich mit partnerschaftlichem Geist zu erfüllen. Niedersachsen ist mit dem Loccumer Vertrag, dem ersten Staatskirchenvertrag nach dem 2. Weltkrieg, Vorbild für zahlreiche weitere Verträge bis hin zu den Verträgen in den neuen Bundesländern geworden. In seiner Präambel formuliert der Vertrag als Ausgangspunkt die „Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen und ihre Eigenständigkeit“. Huber wies in seinem Vortrag darauf hin, dass der Vertrag damit das Selbstverständnis der Kirchen „in seiner Auswirkung auf den gemeinsamen Verantwortungsraum von Kirche und Staat“ respektiert habe. Für die evangelische Kirche ergebe sich diese öffentliche Verantwortung aus dem Verkündigungsauftrag der Kirche.

Schon der Vertrag von 1955 habe das öffentliche Wirken der Kirchen an einer Reihe von Themen konkretisiert. Als Beispiele mit überragendem Gewicht nennt der Ratsvorsitzende der EKD die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen, den Religionsunterricht und die dafür notwendige Vorbildung der Lehrkräfte, die Seelsorge in besonderen staatlichen Einrichtungen, die Besetzung leitender geistlicher Ämter, das Kirchensteuerrecht, die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte und die Staatsleistungen sowie den Umgang mit den kirchlichen Baudenkmälern. Im Blick auf die Berliner Situation erinnert der Bischof von Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz: „Religiöse Bildung in der öffentlichen Schule kann deshalb nicht auf Religionskunde und auch nicht auf einen staatlichen Werteunterricht unter Einschluss religionskundlicher Elemente reduziert werden. Denn damit würde die für die Religion zentrale Frage nach der Wahrheit ausgeklammert werden.“

50 Jahre nach dem Abschluss des Loccumer Vertrags seien Gesellschaft, Staat und Religionsgemeinschaften weiterhin aufgefordert, „ihr Verhältnis zueinander im Bewusstsein gemeinsamer Grundüberzeugungen zu bestimmen und die Rahmenbedingungen der Religionsfreiheit in der freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Gemeinwesens so zu entwickeln, dass religiöser Fanatismus darin keinen Platz hat und haben kann.“ Das erfordere religiöse Toleranz. Dies entstehe nicht aus einer Haltung, der alles gleich gültig sei; sondern nur auf dem Boden gelebter Überzeugungen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Antrag der Zeugen Jehovas, ihnen einen entsprechenden Status wie anderen Religionsgemeinschaften zuzuerkennen, gebe den Hinweis, dass der Staat mit den Religionsgemeinschaften eine Kooperation in Aussicht stellen könne, „die das Toleranzgebot untereinander und auch innerhalb der jeweiligen Religionsgemeinschaft beachten. Es geht um Religionsgemeinschaften, die Grundsätze des freiheitlichen Staatskirchenrechts nicht beeinträchtigen und die sich jeder Form eines aggressiven Fundamentalismus enthalten.“

Hannover, 16. Juni 2005

Pressestelle der EKD
Christof Vetter

Der Vortrag im Wortlaut