Verantwortliches Handeln aus christlichen Wurzeln

Wolfgang Huber hält Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung in München

Die Hoffnung auf Freiheit „gegen allen Augenschein“ mache die Mitglieder der Weißen Rose zu Hoffnungsträgern bis zum heutigen Tag, erklärte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in seiner Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung am Montag, 23. Januar, in der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Dass sie für diese Hoffnung ihr Leben ließen, muss uns dazu anspornen, das Unsere für die Freiheit zu tun“, so Huber.

Sowohl bei den Mitgliedern der Widerstandsbewegung der Weißen Rose als auch beim Theologen Dietrich Bonhoeffer, dessen Geburtstag sich am 4. Februar zum hundertsten Mal jährt, begegneten verantwortliches Handeln aus christlichen Wurzeln. Das zeige sich vor allem an der engen Verknüpfung von Freiheit und Verantwortung: „daran also, dass im Eintreten für die Freiheit nicht nur die eigene Freiheit, sondern ebenso die Freiheit der anderen im Blick ist.“ Die jüdische und christliche Tradition sehe im Menschen das Entsprechungsbild Gottes. Der Mensch sei niemals bloß eine Sache und dürfe niemals zum bloßen Objekt für fremde Zwecke, „zum bloßen Gegenstand der Verfügungsansprüche Anderer werden“. Eine solche Denkweise vermöge mit der Endlichkeit des menschlichen Lebens wie des menschlichen Erkennens zu rechnen. „Wenn die Würde des Menschen nicht an dem hängt, was ihm selbst zu eigen ist oder von ihm selbst hervorgebracht wird, kann der Mensch seine Eigenschaften wie seine Leistungen mit der Gelassenheit betrachten, aus der heraus auch der Stolz auf Gelungenes allein menschliches Maß behält.“ Im Blick auf die Wissenschaft, fügte der Ratsvorsitzende hinzu, führe diese Überlegung „zu der schlichten, aber keineswegs banalen Folgerung, dass auch die Wissenschaft – selbst in ihren stärksten Seiten – nicht mehr ist als eine Hervorbringung des endlichen und begrenzten menschlichen Verstandes.“ Diese Betrachtung bewahre vor irrationalen Heilshoffnungen, die im Gedanken „einer genetischen Optimierung des Menschen beziehungsweise einer durch menschliches Handeln herstellbaren Unsterblichkeit“ Ausdruck finden.

Freiheit im christlichen Verständnis sei immer eng mit Verantwortung verknüpft. „Die Verantwortung, von der dabei die Rede ist“, erläuterte Huber, „erschöpft sich nicht in bloßer Eigenverantwortung“. Dadurch dass Menschen für ihr eigenes Leben verantwortlich seien, entstehe erst der Spielraum, in welchem Menschen füreinander Verantwortung wahrnehmen könnten.
 
Die Mitglieder der Weißen Rose und Dietrich Bonhoeffer seien vor allem darin miteinander verbunden, dass sie dem Gewaltregime Hitlers aus dem Geist der Freiheit heraus widerstanden. „Freiheit meinte für sie allerdings nicht Bindungslosigkeit, sondern Bindung, nicht Beliebigkeit, sondern Verantwortung, nicht Eigensucht, sondern Ehre.“ Heute stelle sich die Frage, ob eine solche Verknüpfung für unsere Gegenwart eine neue Orientierungskraft entfalte.

Individuelle Freiheit könne sich nur auf der Grundlage wechselseitiger Verantwortung entfalten, so der Ratsvorsitzende weiter. „Es ist überfällig, ein verbreitetes individualistisches Gesellschaftsbild wieder so zurechtzurücken, dass diese wechselseitige Verantwortung den ihr gebührenden Platz erhält.“ Voraussetzung für die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben wie für andere sei allerdings die Möglichkeit zur Teilnahme an der Gesellschaft. „In einer nach wie vor skandalös hohen Langzeitarbeitslosigkeit meldet sich deshalb ein elementares Gerechtigkeitsproblem, nämlich ein eklatanter Mangel an Beteiligungsgerechtigkeit.“

Huber rief zu Zivilcourage gegen Rassismus und Antisemitismus auf. „Es hat mich erschreckt, dass der vor zwei Wochen in Sachsen-Anhalt von Neonazis schwer verletzte äthiopische Junge schon zum zweiten Mal Opfer einer solchen Attacke – und zwar von den gleichen Tätern – wurde.“ In seinem solchen Milieu, „das derartige rassistische Übergriffe nicht nur duldet, sondern sogar fördert, ist Zivilcourage besonders notwendig“ – gerade weil sie schwierig sei.

Hannover, 23. Januar 2006

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Der Vortrag „Flugblätter der Freiheit. Verantwortliches Handeln aus christlichen Wurzeln“ im Wortlaut


Hinweis:

Eine Zusammenstellung von Texten und Terminen zum 100. Geburtstag von Dietrich Bonhoeffer finden Sie im EKD-Internetangebot