Fünf Jahre Kölner Gipfel

Gemeinsame Stellungnahme des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber und dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Karl Kardinal Lehmann

Fast auf den Tag genau fünf Jahre ist es her, dass die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten in Köln auf ihrem jährlich stattfindenden Gipfeltreffen die Grundlinien für eine neue Entschuldungsinitiative zugunsten der ärmsten Länder der Erde festgelegt haben. Die so genannte HIPC-II Initiative versprach diesen Ländern eine Entschuldung auf ein dauerhaft tragfähiges Niveau. Im Gegenzug sollten die Schuldnerländer eine Verwendung der frei werdenden Mittel für Armutsbekämpfung und Entwicklung garantieren. Entscheidende Anstöße für diese Initiative kamen von einem breiten internationalen Bündnis gesellschaftlicher Kräfte, in das die Kirchen von Anfang an maßgeblich spirituelle, ethische und politische Impulse eingebracht haben. Augenfällig wurde dieses Engagement 1999 in Köln bei der Übergabe von über sieben Millionen Unterschriften, die weltweit gesammelt worden waren, in einer Menschenkette mit mehr als 40.000 Beteiligten und in der Kölner Versammlung von Bischöfen aus den G7-Staaten und aus zahlreichen hochverschuldeten Ländern des Südens.

Die internationale Schuldenkrise ist kein rein wirtschaftliches oder politisches Problem, sie stellt auch eine immense ethische Herausforderung dar. Durch den hohen Schuldendienst werden viele Staaten daran gehindert, die soziale Grundversorgung der eigenen Bevölkerung sicher zu stellen. Infolge dessen leben Millionen von Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen am Rande oder unterhalb des Existenzminimums; viele sterben vor ihrer Zeit. Dies kann die Kirchen nicht ruhen lassen. Denn wir haben eine im Evangelium gründende vorrangige Option für die Armen getroffen, die uns zum anwaltlichen Engagement für die Schwächsten und deren Überlebensinteressen verpflichtet.

Bilanz

Heute können wir feststellen, dass durch die HIPC-Initiative viel erreicht worden ist. Von den 42 ärmsten Entwicklungsländern, die von der Entschuldungsinitiative erfasst werden, haben 27 einen vorläufigen oder endgültigen Schuldenerlass erhalten. Das Volumen der bisher erlassenen Schulden liegt insgesamt bei rund 34 Milliarden US-$. Gleichzeitig ist der Anteil der Ausgaben zur Armutsbekämpfung an den Staatshaushalten der entschuldeten Länder spürbar gewachsen: von 41 Prozent im Jahr 1999 auf knapp 48 Prozent im vergangenen Jahr oder, in absoluten Zahlen, von 5.8 Milliarden US-$ auf 9,1 Milliarden US-$. Das sind rund drei Milliarden US-Dollar mehr im Jahr für Gesundheit, für Ernährung, für Schulen und andere soziale Grunddienste. Die HIPC-Initiative hat unbestreitbar deutlich gemacht, dass Schuldenerlass ein wirksames Instrument im Kampf gegen Armut und wirtschaftliche Unterentwicklung ist.

Doch bleiben die Ergebnisse hinter den selbst gesetzten Zielen zurück. Noch sind nicht alle Länder, für die die Initiative beschlossen wurde, in den Genuss der Entschuldung gekommen. Aber auch diejenigen Länder, die einen endgültigen Schuldenerlass erhalten haben, sind damit nicht vollständig frei von Schulden. Gestrichen wurden nur die Schulden, die nach den HIPC-Kriterien das Maß der Tragfähigkeit überschritten. Die Grenze dieser Tragfähigkeit, die an das Staatsbudget und Exporterträge gebunden ist, wurde zunächst auf 150 Prozent der jährlichen Exporterlöse festgelegt. Sie wird heute von vielen der teilweise entschuldeten Länder wieder überschritten. Sinkende Weltmarktpreise für die exportierten Produkte und der Zwang, für den Import teurer Energie erneut Kredite aufzunehmen, gehen hier eine unheilvolle Verbindung ein und haben dazu geführt, dass der Schuldenstand in einigen Ländern wieder gestiegen ist. Die gewährte Entschuldung reicht nicht aus, um eine dauerhaft selbsttragende Entwicklung zu ermöglichen.

Ähnlich sieht die Bilanz bei den qualitativen Elementen der Initiative aus. Die Entschuldungsinitiative hat erstmals den Schuldenerlass an die Erarbeitung nationaler Strategien zur Armutsbekämpfung geknüpft, an der auch die Zivilgesellschaft zu beteiligen ist. Diese aktive Beteiligung der primär von der Verschuldung Betroffenen ermöglicht eine wirksamere Verwendung der frei werdenden Mittel. Sie leistet zudem in vielen Ländern einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung. Die Kirchen haben in dieser Verknüpfung von Entschuldung und Beteiligung der Armen am politischen Prozess von Anfang an eine der großen Leistungen der Initiative gesehen. Doch bleibt festzustellen, dass in manchen Ländern die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Erstellung von Armutsminderungsstrategien (PRSP) nur sehr unzulänglich verlaufen ist. Selbst die Parlamente sind bei den Armutsbekämpfungsstrategien oft nicht einbezogen worden. Häufig war und ist auch der Einfluss von Weltbank und Internationalem Währungsfonds so groß gewesen, dass nicht ernsthaft von einer nationalen Verantwortung für den Prozess die Rede sein kann. Auch haben die Auflagen der internationalen Finanzinstitutionen nicht immer dem jeweiligen Einzelfall Rechnung getragen und so die Umsetzung der Armutsbekämpfungsstrategien behindert. Solche Erfahrungen sind gerade für junge Demokratien ausgesprochen enttäuschend.

Perspektiven

Die in Köln auf den Weg gebrachte Entschuldungsinitiative ist ein ermutigendes Beispiel dafür, dass durch entschlossenes Handeln neue Zeichen gesetzt werden können. Wenn sie jetzt nach fünf Jahren an ihr Ende kommt, so plädieren wir dafür, sie zumindest für diejenigen HIPC-Länder weiterhin offen zu halten, die bislang noch keinen Zugang gefunden haben. Wir begrüßen die Verabredung beim diesjährigen G8-Gipfel in Sea Island, die Initiative in dieser Weise um zwei Jahre zu verlängern. Auch sprechen wir uns dafür aus, im Lichte der neuen Erfahrungen zur Tragfähigkeit von Schulden die Höhe der bisherigen Erlasse zu überprüfen. Ein Verfehlen des Ziels der Tragfähigkeit wäre eine schlimme Hypothek für weitere Anstrengungen zur Entschuldung.

Die HIPC-Initiative kann nur ein Zwischenschritt sein, dem weitere Schritte folgen müssen. Zu groß ist die Zahl der Länder außerhalb der Initiative, und zu drückend ist die Schuldenlast, als dass das Problem der Entschuldung selbst mit einer Fortführung der Initiative, wie wir sie befürworten, als gelöst angesehen werden könnte. Es müssen Instrumente und Verfahren entwickelt werden, die auch den Menschen in anderen verschuldeten Ländern eine Perspektive zukunftsfähigen Lebens eröffnen. Ein wichtiger Schritt wäre die Entwicklung eines fairen und transparenten Schiedsverfahrens für überschuldete Staaten. Wir begrüßen das eindeutige Votum des Deutschen Bundestages für eine solche Regelung und unterstützen das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in seiner Absicht, ein solches Verfahren international durchzusetzen.

Die Entschuldungsinitiative hat dem Verständnis Bahn gebrochen, dass Armutsbekämpfung im Zentrum entwicklungspolitischen Handelns stehen muss. Eine Bestätigung hat diese Sichtweise gefunden durch die Verabschiedung der Millenniums-Entwicklungsziele, mit denen sich die internationale Gemeinschaft auf eine Halbierung der extremen Armut bis zum Jahr 2015 verpflichtet hat. Die Steigerung der Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass die Millenniumsziele erreicht werden können. Die Weltbank spricht von einem zusätzlichen Finanzbedarf von jährlich 50 Milliarden US-$. Eine Steigerung der öffentlichen Haushalte für Entwicklung, auch in unserem Land, ist unumgänglich.

Weitere Entschuldung und eine Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe sind unverzichtbar, wenn Armut überwunden werden soll. Ein dauerhafter Ausweg aus der Armut setzt jedoch voraus, dass in den Entwicklungsländern eine selbsttragende wirtschaftliche Dynamik freigesetzt wird. Dafür ist eine Welthandelsordnung, die nachhaltige Entwicklung fördert, eine wesentliche Bedingung.

In Deutschland haben wir nach dem Krieg im Jahr 1953 von einem großzügigen Schuldenerlass profitiert, der die laufende Haushaltsbelastung für den Schuldendienst damals auf 5 Prozent der Exporteinnahmen absenkte. Die meisten Entwicklungsländer zahlen bis heute das Doppelte bis Dreifache. Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 war eine wirtschaftliche Anschubhilfe und ein politisches Signal, das den Weg der Bundesrepublik Deutschland zu Demokratie und Prosperität geebnet hat. Daraus erwächst eine historische Verantwortung, die wir fünf Jahre nach dem Kölner Gipfel in Erinnerung rufen: Geben wir etwas von dem weiter, das wir selbst empfangen haben. Setzen wir uns ein für eine gerechte Globalisierung: für eine weltweite Geltung von Solidarität und Geschwisterlichkeit.