Verbot aller religiösen Symbole in Berlin ein "Irrweg"

Bischof Wolfgang Huber zum Verhältnis von Religionen und Staat

Jede Religion habe auch eine politische Dimension, da jede Religion Konsequenzen für die Lebensführung habe. Darauf hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in einem Vortrag bei der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema "Die Religionen und der Staat" am Mittwoch, den 2. Februar 2005, in Bonn hingewiesen. "Die These von der Religion als Privatsache gehört in die Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts", so der Bischof. In Deutschland erkenne der Staat die öffentliche Bedeutung der Religion im "Prozess der Wert- und Überzeugungsbildung" an. Huber forderte jedoch eine differenzierte Aufmerksamkeit für die Frage, "mit welchen politischen oder gesellschaftlichen Haltungen" sich die Religionsgemeinschaften verbinden und bezeichnete das Verbot aller religiöser Symbole durch das Bundesland Berlin als "Irrweg".

Der freiheitliche Staat sei darauf angewiesen, dass er von Bürgerinnen und Bürgern getragen werde, die sich ihrer Freiheit bewusst seien und diese Freiheit verantwortlich wahrnehmen, erklärte der Ratsvorsitzende. Die Bereitschaft dazu sei allerdings nicht angeboren, sondern müsse erlernt werden. Die Kirchen stellten sich deshalb gerade heute ihrem Bildungsauftrag auf neue Weise. "Es kommt nicht von ungefähr, dass die Kirchen zu den größten Trägern von Kindergärten gehören und dass evangelische wie katholische Schulen sich einer größeren Nachfrage gegenüber sehen, als sie an Schülerinnen und Schülern aufnehmen können."

Die EKD habe in der Denkschrift "Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie" aus dem Jahr 1985 festgestellt, dass nur eine demokratische Verfassung auf der Grundlage einer klaren Unterscheidung von Staat und Religion der Menschenwürde entsprechen könne. "Die Kirchen träumen also nicht von einem christlichen Gottesstaat." Da diese Grundhaltung nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit für andere Religionen gelte, sei das "unkritische Sympathisieren mit dem Konzept einer multireligiösen Gesellschaft" naiv. So sei die Religionsfreiheit als individuelles Menschenrecht durch "den Islam im Ganzen bisher nicht anerkannt".

Huber rief in Erinnerung, dass "die uns heute so selbstverständlich erscheinende Anerkennung der Religionsfreiheit als Menschenrecht" im Christentum das Ergebnis eines langen historischen und theologischen, "bisweilen recht schmerzhaften Entwicklungs- und Lernprozesses" sei. Auch der Islam habe sich seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend auf eine Diskussion über die Menschenrechte eingelassen. Nach wie vor fehle es in Deutschland aber "an der ausdrücklichen und eindeutigen Zustimmung zur Religionsfreiheit als Menschenrecht durch führende Vertreter der Muslime".

Der Ratsvorsitzende bezeichnete die "Islamische Charta" des Zentralrates der Muslime in Deutschland als Herausforderung und Anstoß zu einem wichtigen Selbstklärungsprozess. Er sei froh, dass es im Januar dieses Jahres zu einem Spitzengespräch der EKD mit muslimischen Organisationen gekommen sei, das von allen Beteiligten sehr positiv aufgenommen worden sei. Zugleich müsse man "sich bewusst bleiben, dass die Entwicklung des Islam in Deutschland wesentlich von der Politik der Türkei mitbestimmt" werde. Die Ausrichtung der jetzigen türkischen Regierung auf Europa zwinge sie zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Religion und zu einem liberalen Umgang mit der religiösen Vielfalt in der Türkei. Diesen Reformansatz gelte es aufzunehmen und zu stützen. "Aber sein Ergebnis lässt sich nicht schon heute vorwegnehmen".

Huber wies darauf hin, dass die christlichen Kirchen in der Türkei nach wie vor massiv behindert werden. "Ihnen wird die Anerkennung als juristische Person versagt, was unter anderem Erwerb von Eigentum unmöglich macht. Arbeitserlaubnisse werden verweigert, die Ausbildung von Geistlichen wird untersagt." Die Kirchen erwarteten, dass "andere Religionen in den Ländern, in denen die Christen in der Minderheit sind, sich ebenso für die freie Religionsausübung der christlichen Kirchen und gegen staatliche Behinderungen einsetzen, wie sie in den Staaten der Europäischen Union die Religionsfreiheit in Anspruch nehmen." Dies werde für die Kirchen ein Prüfstein für die Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei sein.

Hannover, 02. Februar 2005

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Der Vortrag im Wortlaut