Einseitiger Akt ohne Vorbedingungen

Stellungnahme des Catholica-Beauftragten der VELKD, Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber (Wolfenbüttel), zur Aufhebung der Exkommunikation von Bischöfen der Priesterbruderschaft St. Pius X:

„Am 21. Januar 2009 wurde durch ein Dekret der vatikanischen Bischofskongregation die Strafe der Exkommunikation gegen vier Bischöfe der Priesterbruderschaft  St. Pius X. aufgehoben. Sie waren 1988 nach der illegalen Weihe durch den Reformgegner, Erzbischof Marcel Lefebvre, aus der Gemeinschaft der römisch-katholischen Kirche ausgeschlossen worden. Die Aufhebung der Exkommunikation betrifft nicht die ganze Priesterbruderschaft (die nach eigenen Aussagen 450 Priester und ca. 700 000 Gläubige hat), sondern nur die vier Bischöfe persönlich. Auch bleiben diese weiterhin suspendiert, d. h. an der Ausübung ihres Amtes gehindert.

Die Verbreitung des Dekrets wurde laut Aussage des Vatikans mit Bedacht in zeitliche Nähe zum 50. Jahrestag der Ankündigung des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Papst Johannes XXIII. gestellt. Benedikt XVI. wolle so zur Heilung eines schmerzhaften Bruches beitragen, der durch das Konzil ausgelöst worden war. Die Piusbruderschaft lehnt zahlreiche Reformen dieses Konzils ab, darunter vor allem die Liturgiereform, die ökumenische Öffnung hin zu den anderen christlichen Konfessionen sowie die Aussagen zur Religionsfreiheit und dem Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen. Mag das Datum bewusst gewählt worden sein, so kann die Initiative zum 50. Jahrestag der Konzilsankündigung dennoch leicht missverstanden werden, als ob die Reform und das ökumenische Anliegen des Zweiten Vatikanums heute nicht mehr denselben Stellenwert besitzen wie damals. Es ist ja bemerkenswert, dass die kurze Ansprache Johannes XXIII. damals zum Abschluss der Weltgebetsoktav für die Einheit der Christen stattfand. Viele Christen hätten sich vielleicht eher gewünscht, dass der Abschluss der Gebetsoktav in diesem Jahr mit einer deutlichen Geste gegenüber den nichtrömischen Kirchen, statt der Aufhebung einer Exkommunikation von Traditionalisten zu Ende gegangen wäre.

Die Aufhebung der Exkommunikation hat in den letzten Tagen zu anhaltenden Diskussionen und zum Teil auch heftigen Reaktionen innerhalb und auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche geführt. Besonders die Einbeziehung des Traditionalistenbischofs Richard Williamson in das Dekret hat Schock und Befremden hervorgerufen. Der Brite leugnet die Existenz der Gaskammern und das volle Ausmaß des Völkermordes an den Juden während des Dritten Reiches. Angesichts dieser diffamierenden Aussagen hat der Vatikan darauf hingewiesen, dass es sich hier um zwei unterschiedliche Angelegenheiten handele. Sicherlich ist die Aufhebung der Exkommunikationen von den antisemitischen Äußerungen eines der vier Bischöfe inhaltlich zu unterschieden. Doch das öffentliche Echo hat gezeigt, dass beide Vorgänge (zumindest medial) nicht zu trennen sind.

Was die Aussagen von Bischof Williamson betrifft, so sind diese eine Anfechtung für den christlichen-jüdischen Dialog. Nicht umsonst ist die Leugnung der Shoa in Deutschland ein Strafbestand, worüber sich Williamson während seines Regensburger Interviews auch voll bewusst war. Und er ist sich natürlich auch bewusst, dass diese Leugnung sowie jede andere Form der Verachtung oder Herabsetzung von Juden und Judentum nicht Lehre der römisch-katholischen Kirche sind. Mit dem Konzildokument Nostra Aetate hat sich diese verpflichtet, jeglicher Art von Antisemitismus oder Antijudaismus in Liturgie, Katechese und Predigt ein Ende zu machen: „Im Bewußtsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus“ (Nostra Aetate 4)

Hierin wissen wir  uns völlig einig mit unseren römisch-katholischen Glaubensschwestern und -brüdern. In einem gemeinsamen Flyer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Union evangelischer Kirchen (UEK) und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) mit dem Titel „Antisemitismus – Wir haben was dagegen!“ wird es zum Beispiel auf den Punkt gebracht: „Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus“.

Insofern ist die Sorge, die in den letzten Tagen von den Beteiligten des christlich-jüdischen Dialogs und unseren jüdischen Gesprächspartnern geäußert wurde, gut zu verstehen. Besonders dankbar bin ich daher vor allem der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz, dass sie sich so schnell und so deutlich gegen die Aussagen von Williamson positioniert hat. Auch Papst Benedikt XVI. hat inzwischen nochmals klar und unmissverständlich gegen das Vergessen und die Leugnung der Shoah Stellung bezogen, wie es er und sein Vorgänger bereits wiederholt getan haben. Allerdings: Auch wenn also die Aussagen von Bischof Williamson als Einzelmeinung wahrzunehmen sind, zeigt sich, dass „zwischen der fortdauernden Ablehnung der Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils durch die Traditionalisten und ihrer tief reaktionären und freiheitsfeindlichen Haltung“ ein enger Zusammenhang besteht, worauf bereits der Präsident des Zentralrats der Deutschen Katholiken, Hans Joachim Meyer, zu Recht hingewiesen hat.

Betrachtet man nun die eigentliche Aufhebung der Exkommunikationen, so ist es verständlich, dass der Papst ein brennendes Anliegen daran haben muss, ein schmerzendes Schisma zu heilen, gerade wenn er sein Amt als Dienst an der Einheit verstanden wissen will. Will man die wiederholten Versicherungen ernst nehmen, dass die römisch-katholische Kirche weiterhin voll auf dem Boden des Zweiten Vatikanums steht (und damit auch hinter Nostra Aetate und dem Ökumenismusdekret), dann folgt daraus zwingend, dass die Aufhebung der Exkommunikationen möglich war, obwohl auch weiterhin Klärungsbedarf in Lehrfragen gesehen wird. Denn offensichtlich war die Aufhebung ein einseitiger Akt Roms und es wurde von den vier Bischöfen kein Bekenntnis zum Zweiten Vatikanum als Vorbedingung abverlangt. Vielmehr war es die Piusbruderschaft, die 2001 zwei Bedingungen zur Beendigung des Schismas aufgestellt hatte: Sie forderte damals das Recht jedes Priesters, die traditionelle Messe feiern zu dürfen und eben die Rückname des Exkommunikationsdekretes. Im letzteren Fall ist Rom zumindest den vier Bischöfen voll entgegengekommen; die Forderung nach Wiederzulassung des tridentinischen Ritus von 1962 wurde 2007 weitgehend erfüllt, wenn auch für die Bruderschaft wohl nicht weitgehend genug.

Der Wille zur Einheit ist offenbar so mächtig, dass der Papst bereit ist, eine menschenverachtende und nach unseren deutschen Maßstäben kriminelle Äußerung eines Bischofs in Kauf zu nehmen, selbst wenn er sich dann gleich wieder von dieser distanzieren muss. Wenn es um die Überwindung eines Schismas geht, stehen dann Glaubensfragen (zumindest) vorübergehend zur Disposition? Und wenn ja, wie lange? Die Piusbruderschaft hat auch jüngst immer noch ihre bekannten Positionen wiederholt und keinerlei selbstkritische Einsicht gezeigt. Es ist auch nicht zu sehen, dass sich dies bald ändern wird. Wenn es aber keine baldige Anerkennung der Inhalte des Zweiten Vatikanums gibt, droht dann eine neuerliche Exkommunikation? Dann wäre es jedoch sinnvoller gewesen, die Differenzen in Glaubensfragen vorher zu klären. Oder ist diese Geste möglich, weil die Konzilentscheide zur Ökumene oder dem Verhältnis zu anderen Religionen doch nicht ganz so wichtig sind wie Fragen des Amtes und des Papsttums, in denen man sich einig weiß?

Jenseits dieser Fragen zeigt die Aufhebung der Exkommunikationen, dass es unter Umständen möglich ist, Amtsträger (wenn auch suspendiert) der römisch-katholischen Kirche zu sein,  ohne in der vollen Gemeinschaft ihres Glaubens zu stehen. Vielleicht erweist sich ja eines Tages dieser Präzendensfall als ein wichtiger Impuls für das ökumenische Gespräch.

Ökumenisch bedenkenswert scheinen mir an diesem Vorgang noch zwei weitere Dinge: Zum einem haben der Generalobere der Priesterbruderschaft und einer der vier betroffenen Bischöfe, Bernard Fellay, für die aus der Sicht Roms illegalen Weihen von 1988 in Anspruch genommen, dass sie eine „Überlebensoperation“ in einer akuten Notsituation gewesen seien, bei der es das Kirchenrecht erlaube, päpstliche Anordnungen zu übertreten. Es sei zum Wohl und um der Kontinuität der Kirche willen geschehen. Auch wenn sich sehr unterschiedliche historische Situationen selbstverständlich nur schlecht miteinander vergleichen lassen, erinnert diese Argumentation an das Anliegen der Reformatoren, in einer Notsituation selbst neue Pfarrer zu ordinieren. Auch damals ging es aus reformatorischer Sicht um die gefährdete Kontinuität der ursprünglichen, apostolischen Lehre. Dies ist allerdings ein Gedanke, den der Vatikan bislang nicht für den lutherisch-römisch-katholischen Dialog fruchtbar gemacht hat.

Zum anderen stellt sich die Frage: Wenn die Einheit innerhalb der römisch-katholischen Kirche ein so hohes Gut ist und deshalb Großzügigkeit und Nachsicht bis zum äußerten gezeigt werden müssen, warum wird diese Haltung nicht auch in die andere Richtung praktiziert? Hier ist zum einen innerkatholisch z. B. an Vertreter der Befreiungstheologie oder an mit Lehrverboten belegte Professoren zu denken. Darüber hinaus stellt sich jedoch auch die Frage, was solch eine Großzügigkeit für die ökumenische Einheit aller Christen bedeuten könnte. Ist die Einheit der gesamten Christenheit nicht auch ein sehr hohes Gut, das mutiger und großzügiger Maßnahmen seitens des Papstes aus dem Land der Reformation wert wäre? Was wäre im evangelisch-katholischen Gespräch vielleicht alles möglich, wenn hier ebenfalls nicht von vornherein eine vollständige Übereinkunft in allen Lehren die Voraussetzung zur Einheit wäre, sondern die bereits erreichten, durchaus beeindruckenden Dialogergebnisse gemeinsam auch konkret umgesetzt würden?“

Hannover, 30. Januar 2009

Udo Hahn
Pressesprecher der VELKD