Kock zum Verhältnis von Religion und Gewalt in Konflikten

"Gemeinsame Aufgabe: für Frieden und Gerechtigkeit werben"

„Religiös motivierte Gewalt ist kein Monopol des Islamismus“, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, bei seinem Vortrag vor der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit am 18. September in der Kölner Antoniterkirche. Auch christliche Radikale seien leider in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt. Religiöse Überzeugungen würden in internationalen Konflikten immer wieder auch zu politischen Zwecken instrumentalisiert. Es sei aber ein Trugschluss zu glauben, dass die Welt ohne Religion friedlicher werden würde.

„Auch wenn man christlichen Fundamentalisten Terroranschläge wie die in New York, Bali oder Djakarta nicht zutraut, sie eint mit den islamischen Fundamentalisten die Überzeugung, dass das säkulare Gemeinwesen westlicher Prägung dringend wieder auf eine sakrale Grundlage gestellt werden müsse," sagte der Ratsvorsitzende bei seinem Vortrag "Der Beitrag der Christen zu Frieden und Gerechtigkeit". Es ließe sich nicht leugnen, dass es religiöse Traditionen und Überzeugungen gebe, die der Anwendung von Gewalt Vorschub leisten oder sich zur Legitimation von Herrschaftsansprüchen und Unterdrückungs-maßnahmen instrumentalisieren lassen. Zwar gebe es - wie 2002 in Alexandria und jüngst in Aachen - erfreuliche Bestrebungen, die Friedenspotenziale der Religionen zu unterstreichen, bis zu einer wechselseitigen Toleranz und Anerkennung auf der Ebene der Weltreligionen sei es aber noch ein weiter Weg, auf dem man immer wieder mit Rückschlägen rechnen müsse. So würden in Pakistan, Indonesien, Nigeria und anderen Ländern Christen bedroht oder umgebracht, weil sie einer anderen verhassten Religion angehörten. Kock warnte jedoch vor dem Trugschluss, die Welt würde ohne Religion friedlicher werden.

Die historischen Verwicklungen von religiösen Überzeugungen in politische Katastrophen seien nicht zu leugnen, sagte der Ratsvorsitzende. "Dieser Schatten, der auch über der Geschichte der christlichen Kirche liegt, verpflichtet sie, sich heute kritisch zur Rolle der Religionen in den aktuellen Konflikten zu äußern.“ Die christliche Theologie habe es gelernt, die Heilige Schrift von ihrer Mitte her zu verstehen. Die Werte der Aufklärung bewahrten Christen davor, biblische Aussagen fundamentalistisch, das heißt losgelöst von ihrem historischen Entstehungszusammenhang, zu deuten.

Im Blick auf das friedliche Miteinander der Religionen in Demokratien würdigte Kock die Religionsfreiheit als einen Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung. „Das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft, ja das Funktionieren der staatlichen Ordnung insgesamt, ist abhängig von der Friedensfähigkeit der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften untereinander." Aufgabe des Staates sei es, Verfassungsrechtsgüter gegen exzessive Ausübung von Religionsfreiheit zu schützen. Nur im respektvollen Dialog könne das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen gelingen. Der redliche Umgang mit den eigenen Irrtümern führe zu der nüchternen Einsicht, dass Religion sich ebenso wie jede andere Äußerung der menschlichen Kultur mit Irrtum und Überheblichkeit vermischen könne. „Religion ist nicht selbst etwas Göttliches, sondern etwas durch und durch Menschliches. Sie trägt darum auch die Kennzeichen des Bösen, das manchmal gerade unter der Verkleidung der erhabensten und edelsten Lebensäußerungen daherkommt.“

Religionsgemeinschaften seien immer auch ein wichtiges Potenzial zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens, sagte Kock: „In der gegenwärtigen Weltlage ist es eine der zentralen Aufgaben der Religionen, gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit zu werben und Versöhnung, Dialog und Zusammenarbeit gegen alle Formen von Hass und Unfrieden setzen.“ Es gebe in der Kultur der Menschheit nicht unendlich viele Kräfte, die sich als fähig gezeigt hätten, Tugenden wie Menschenfreundlichkeit, Friedfertigkeit oder Versöhnungs-willen hervorzubringen und zu erhalten, so Kock. „Darum sind Menschen, die sich der Botschaft Jesu verpflichtet fühlen und für Toleranz und Dialog, für Frieden und Gerechtigkeit eintreten, nach wie vor unverzichtbar und heilsam für unsere Gesellschaft und für diese Welt.“

Hannover, 19. September 2003

Pressestelle der EKD
Anita Hartmann

Wortlaut des Vortrages