Kock zu Vereinigungsplänen zweier Landeskirchen:

"Auch gemeinsame Landeskirche gibt Raum zur Eigenständigkeit"

Reformprozesse seien am erfolgreichsten, wenn sie von den betroffenen Menschen auch gewünscht würden, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Freitag, 19. September, in der Bartholomäuskirche zu Berlin. In seinem Grußwort anlässlich der gemeinsamen Tagung der Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und der Provinzialsynode der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz verwies er auf die Chancen, die die angestrebte Vereinigung der beiden Landeskirchen mit sich bringen kann.

Die Reformprozesse in der deutschen Gesellschaft würden auch vor kirchlichen Institutionen oder historischen Binnengrenzen nicht halt machen, sagte Kock. Mit Blick auf die Vorverhandlungen zur Annährung der zwei Landeskirchen hob er hervor, dass der Wunsch nach Veränderung unmittelbar in den Reihen der beiden Kirchen gewachsen sei.

Reformprozesse würden in der Regel an den Befürchtungen und Ängsten der Betroffenen scheitern und die rationalen Gesichtspunkte überdecken. Besonders die Angst vor Identitätsverlust sei ein hemmender Faktor. Aus eigener Erfahrung in der rheinischen Kirche wisse er jedoch, dass verschiedene "Identitäten zur Farbigkeit und zur Lebendigkeit unserer Kirche kräftig beitragen. Wir sind reicher geworden, mit jedem Teil, der dazugekommen ist. Und jeder Teil profitiert vom Konzert des Ganzen." Auch die gemeinsame Landeskirche gebe Raum zur Eigenständigkeit.

Landeskirchliche Organisationsstrukturen sollten der Zweckmäßigkeit und der Bündelung von Kräften dienen. Dort, wo Organisationsformen verwirren, laufe die evangelische Kirche Gefahr, in der Gesellschaft unkenntlich zu werden. So sei es teilweise schwierig zu vermitteln, dass die Landeskirchen nicht den Grenzen der Bundesländer entsprechen würden.

Hannover, 19. September 2003
Pressestelle der EKD
Anita Hartmann


Grußwort des EKD-Ratsvorsitzenden, Manfred Kock, in der St. Bartholomäuskirche zu Berlin

Verehrte Frau Präsidentin,
liebe Schwestern und Brüder,

herzlichen Dank für die freundliche Einladung zu Ihrer gemeinsamen Synodaltagung. Gerne überbringe ich die herzlichen Grüße des Rates der EKD, der die Vorverhandlungen zur Annäherung der beiden Landeskirchen mit großem Interesse und - im Respekt vor der Souveränität der Beteiligten - mit schweigender Sympathie beziehungsweise sympathisierendem Schweigen beobachtet hat. Schweigend deshalb, weil die hier anstehende Entscheidung allein Sache der beiden Gliedkirchen ist, sympathisierend, weil hier ein Prozess in Gang ist, der alle Gliedkirchen betrifft.

Die Reformprozesse in unserer Gesellschaft machen weder vor sozialen Systemen halt, noch sparen sie staatliche oder kirchliche Institutionen aus, noch hält sie irgend eine historische Binnengrenze auf.
Reformprozesse sind dann am erfolgreichsten, wenn der Wunsch zur Veränderung von den Menschen ausgeht, die die Veränderung auch betreffen. Der Wunsch zur Veränderung ist in den Reihen Ihrer beiden Kirchen gewachsen.

Heute sind Sie zur entscheidenden Beratung zusammengekommen, um gewissermaßen diesen Wunsch auf seine Reife zu prüfen. Wie bei allen Reifeprüfungen mag beim ein oder anderen eine gewisse Anspannung spürbar sein, wiederum andere sind sich ihrer Sache gewiss. Nur: dass Sie als synodale Versammlung Kandidaten und Prüfungskommission in einem sind, macht die Sache nicht eben einfacher.

Nun ist nicht jede Veränderung per se schon Fortschritt. Ziel und Zweck müssen klar erkennbar sein, aufzuwendende Mittel und anzuwendende Methoden müssen dazu in einem angemessenen Verhältnis stehen. Doch selbst wenn all diese rational erfassbaren Parameter griffig sind, eines darf nicht übersehen werden: Der Faktor Mensch. Alle Reformprozesse scheitern in schöner Regelmäßigkeit dann, wenn Interessen und Bedürfnisse, vor allem aber Befürchtungen und Ängste die rationalen Gesichtspunkte überdecken.

Die Angst vor Identitätsverlust greife ich aus dem Bündel der hemmenden Faktoren einmal bewusst heraus, weil ich den Eindruck habe, dass dies in unseren kirchlichen Bemühungen um Veränderungen eine besonders große Rolle spielt. Ängste sind Warnsignale der Seele, insofern sind Kirchen gerade als Seelsorge-Institute gut beraten, wenn sie diese Ängste ernstnehmen und sie annehmen als ambivalenter Ausdruck einer Auseinandersetzung mit schwer zu bewältigenden Herausforderungen.

Gerade darum gilt es, die Perspektiven zu erweitern und den angststarren „Kaninchenblick“ von der Schlange zu lösen und konkrete Auswege aus der Gefahr zu finden, um die neuen Chancen zu beschreiben, die die Befürchtungen relativieren.

Wo liegt die Gefahr? Wo liegen die Auswege? Wo liegen die Chancen?

Die Gefahr, als evangelische Kirchen in der pluralen Gesellschaft unkenntlich zu werden, ist ernst zu nehmen. Alle Menschen, die Gebietskörperschaften leiten oder in ihnen dienen, haben - getreu der vom-Stein’schen Maxime: die Seele des Dienstes sei die Kenntnis des Ortes - ihre Verortung längst in den bestehenden Grenzen vorgenommen. Veränderungen des Dienst-Ortes, insbesondere seiner äußeren Grenzen oder seiner inneren Zuständigkeiten, verunsichern darum zutiefst. Gleichzeitig sind wir uns theologisch gewiss: alles dies ist nur vorläufig und vergänglich, erst recht, wenn es dem Ziel der unverfälschten Verkündigung des Evangeliums nicht mehr erkennbar und spürbar dient. Doch ein Teil des Problems sind unsere verwirrenden Organisationsformen. Wem kann man plausibel machen, dass wir noch immer in der Konfiguration der deutschen Kleinstaaten aus der Zeit des Wiener Kongresses vom 1815 organisiert sind und nicht als Landeskirchen nach den Grenzen der Bundesländer? Doch - wie real sind die Gefahren eines Identitätsverlustes konkret im Blick auf die Vereinigung der beiden Kirchen, die Sie miteinander beraten wollen?

Bei der Beantwortung dieser Frage kann vielleicht ein Blick über die Grenze helfen. Die Evangelische Kirche im Rheinland in ihrer heutigen - sub specie aeternitatis gewiss vorläufigen - Gestalt verdankt sich mehreren Grenzkorrekturen und Fusionen. Im wesentlichen von der Politik am Beginn des 19. Jahrhunderts, die eine preußische Rheinprovinz gebildet hat, aufgezwungen und weniger freiwillig vollzogen. Was ich nun in all den Jahren meines Dienstes in meiner Rheinischen Kirche feststellen konnte, war dieses, dass Identitäten sich über viele Generationen gehalten haben und zur Farbigkeit und zur Lebendigkeit unserer Kirche kräftig beitragen. Wir sind reicher geworden, mit jedem Teil, das dazugekommen ist. Und jeder Teil profitiert vom Konzert des Ganzen. Finanzieller Ausgleich ist die eine, nicht nur äußerliche Chance, es ist auch die erweiterte Möglichkeit zum Austausch von Menschen im kirchlichen Dienst.

So gegensätzliche Kirchenlandschaften wie der Bergische Niederrhein und das Saarland oder die Hessischen Enklaven, die Köln-Düsseldorfer Region und das Wuppertal - sie alle spielen eine nach wie vor recht eigenständige und selbstbewußte Rolle in der „Rheinischen Symphonie“. Sie alle gehören inzwischen zum festen Orchesterensemble, spielen aber durchaus auch kräftig eigene Melodien.

Diese Erfahrung, auf das von Ihnen vorgesehene Vereinigungsprojekt bezogen, heißt: Auch die gemeinsame Landeskirche gibt Raum zur Eigenständigkeit. Alle Erfahrungen unserer Kirchenrealität zeigen es: Die Kirchengemeinden sind die ersten Orte zur Identitätsbildung, dann die Regionen, wie sie historisch gewachsen sind. Die landeskirchlichen Organisationsstrukturen sind eher eine Frage der Zweckmäßigkeit, der Bündelung von Kräften, die für alle Gemeinden hilfreich und erforderlich sind. Das reicht von der Pfarrausbildung bis zur gemeinsamen Planung missionarischer Strategien.

Klar ist: alte wie neue Strukturen können sich nur im Vorletzten bewähren. Sie haben keine Heilsnotwendigkeit. Kernfrage ist und bleibt, dass sie den Verkündigungsauftrag erfüllen helfen. In diesem Sinne und mit diesem Ziel können alle eigentlich nur gewinnen, wenn Jesus Christus als dem einen Worte Gottes die höchste Priorität eingeräumt wird in dem Prioritätengefälle, das die Tradition der Barmer Theologischen Erklärung auch im Blick auf die Gestalt und Ordnung der Kirche vorgibt.

Non limes ecclesiae, sed verbum Dei manet in aeternum. (Nicht die Grenze der Kirche, sondern das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit.)