Kock fordert tatkräftige Reformpolitik

Vortrag zur politischen Kultur in Deutschland

Die tatkräftige Weiterentwicklung einer wirklich zukunftsdienlichen Reformpolitik hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock,  am Sonntag, den 28. September, in einem Vortrag im Bürgerforum Odenthal gefordert. Die demographische Entwicklung und der medizinische Fortschritt machten grundlegende Strukturreformen in der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik unumgänglich. In seiner Rede mit dem Titel „Macht und Menschlichkeit - Anmerkungen zur politischen Kultur in Deutschland“ ging Kock auch auf Politikverdrossenheit und ethische Ansprüche an Politikerinnen und Politiker ein.

Es sei "unverantwortlich, die erforderlichen Strukturreformen hinauszuschieben", so Kock. Bereits heute und nicht erst morgen sei "Handeln angesagt". Im Gesundheitswesen seien Reformen notwendig, "die Eigenverantwortung stärken, gleichzeitig aber nicht aus dem Auge verlieren, dass es Kranke gibt, die in besonderer Weise auf die Solidarität der Gemeinschaft angewiesen sind". Dem Solidaritätsprinzip käme besondere Bedeutung zu: Wenn alle Versicherten jeweils für sich ein Maximum an Leistungen aus dem System zu ziehen versuchten, "ist der Kollaps vorprogrammiert". Daher dürften Zuzahlungen und Selbstbeteiligung "nicht unter ein Denkverbot gestellt" werden. Chronisch Kranke müssten allerdings von derartigen Regelungen ausgenommen werden.

Der Ratsvorsitzende forderte zugleich ein Umdenken in der Arbeitsmarktpolitik. "Es muss nicht die naive Argumentation aufrecht erhalten werden, wonach Wachstum automatisch Arbeitsplätze schafft." Die Wirtschaft müsse diese Unternehmensphilosophie vielmehr umkehren. Es gelte, Arbeitsplätze zu schaffen, um Wachstum zu ermöglichen.

In der Bevölkerung sei eine große Verunsicherung angesichts der vielfältigen Reformvorschläge zu beobachten, stellte Kock fest. Problematisch sei die Kurzlebigkeit der Vorschläge: "Entscheidende Ansätze werden zerredet, ehe erkennbar ist, wie sie gemeint sind. Neue Varianten werden nachgeschoben, ehe man die alten erklärt hat." Die Medien trügen eine Mitverantwortung: "Die Beschleunigung des Nachrichtenmarktes bewirkt, dass Einschätzungen schon vor Prüfungen der Fakten abgefordert werden."

Spendenaffairen und Korruptionsvorwürfe hätten das Vertrauen in die politische Klasse erschüttert, so Kock. Ebenso weit verbreitet seien Klagen über sensationshungrigen und manipulativen Journalismus. Das dürfe aber nicht zu Vorverurteilungen oder Pauschalurteilen gegen Politiker oder Medien führen. "Es gilt, Qualitätskriterien zu entwickeln, für guten Journalismus und ebenso für gute Politik." Anspruchsvolle Medienberichterstattung könne die differenzierte Urteilsbildung im demokratischen Prozess "deutlich stärken", sagte Kock.

Die anstehenden Veränderungen erforderten Mut und Vertrauen. Die Kirchen könnten dazu etwas beisteuern, "obwohl sie doch selber genauso mit dem Sparzwang zu kämpfen haben". Die Kirchen verwalteten einen Schatz an Erfahrungen - und dazu gehöre in erster Linie das Zukunftsvertrauen. Es sei jedoch nicht Aufgabe der Kirchen, der Politik Detailvorschläge zu machen. Sie wollten aber "Mut zu Reformen" vermitteln.

Hannover, 26. September 2003

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi
 
Vortrag „Macht und Menschlichkeit - Anmerkungen zur politischen Kultur in Deutschland“ im Wortlaut