„Barmherzigkeit mit den Zweiflern“

Wolfgang Huber spricht in Offenburg über den Weg der evangelischen Kirche

Es gilt das gesprochene Wort.

Die evangelische Kirche sei in der modernen Gesellschaft zu klarer, erkennbarer Präsenz als „Kirche der Freiheit“ verpflichtet, erklärte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in einem Vortrag zum Thema „Barmherzigkeit mit den Zweiflern – Überlegungen zum Weg unserer Kirche“ am 7. Oktober in Offenburg. Sie müsse zur Auskunft fähig sein gegenüber den Menschen, die wieder verstärkt nach dem Glauben fragen. Zugleich dürfe sie „bedrohlichen Formen von Religion“, die die Freiheit gefährdeten, nicht das Feld überlassen.

Bischof Huber diagnostizierte zwei Grundströmungen der heutigen Zeit: Säkularisierung als „Erosion der Bedeutung von Religion für das persönliche Leben wie für das gesellschaftliche Zusammenleben“ und zugleich die Wiederkehr der Religion. „Zwischen diesen beiden Diagnosen bewegt sich der Weg unserer Kirche.“ Eine Kirche, die zu allen Menschen von „Gottes freier Gnade“  sprechen wolle, stehe dabei den Zweiflern nahe, die schon in einem neutestamentlichen Brief (Judas 22) der Gemeinde besonders ans Herz gelegt werden.

Die Aufmerksamkeit müsse ganz besonders dieser „kirchlichen Außenhaut“ gelten: die Menschen am Rand der Kirche, die Interesse am Angebot der Kirche zeigten, häufig getauft, aber keine Mitglieder mehr seien, die der Kirche aber offen gegenüberstünden. „Entgehen uns die Schwingungen dieser kirchlichen Membran? Oder finden solche Menschen in unserem kirchlichen und gemeindlichen Handeln die Aufmerksamkeit, die sie verdienen?“

Angesichts der aktuellen Debatten um religiöse Rechtfertigung von Gewalt und um die Grenzen der Meinungsfreiheit sei es für die evangelische Kirche wichtig, im Vertrauen auf Gottes Verheißung die großen Chancen und die gleichfalls großen Herausforderungen wahrzunehmen, die sich ihr in unserer Zeit stellten. „Menschen, denen Gott, Religion und Kirche fremd geworden sind, sollen neu erfahren können, was es heißt, aus der Freiheit des Glaubens an Jesus Christus zu leben“, wünschte sich Wolfgang Huber. „Unsere Kirche soll für Menschen verschiedener Herkunft und Prägung geistliche Heimat sein oder neu zur geistlichen Heimat werden.“ Viele Mitarbeiter in der Kirche stellten sich dieser Aufgabe „in vorbildlicher Weise und mit hohem persönlichem Engagement.“ Der Rat der EKD wolle diesen Prozess durch sein Impulspapier „Kirche der Freiheit“, das im Sommer dieses Jahres veröffentlicht worden ist, weiter vorantreiben.

Eine klare Profilbildung im Sinne verantworteter Freiheit als Grundzug evangelischer Existenz in der Welt komme auch dem ökumenischen Gespräch der Kirchen zugute, so der Ratsvorsitzende. Das gemeinsame Wirken nach außen werde nicht dadurch geschwächt, wenn die bleibenden Unterschiede zwischen den Kirchen hervortreten und verständlich gemacht würden. „Es wird vielmehr dann geschwächt, wenn die Kirchen zwar voneinander getrennt bleiben, aber niemand weiß, warum.“ Die Wahrnehmung von Differenzen sei keine Absage an die ökumenische Verpflichtung, sondern bilde in ihr ein unaufgebbares Moment. Die erste ökumenische Aufgabe bleibe aber die Stärkung des Gemeinsamen, wie zum Beispiel durch die Vereinbarung über die wechselseitige Anerkennung der Taufe in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK).

Die Kirche müsse sich als eine Institution des Vertrauens bewähren, forderte der Ratsvorsitzende. Dazu seien der einladende Charakter von Gemeinden und die Vertrauenswürdigkeit von Pastorinnen und Pastoren ebenso notwendig wie transparente Strukturen und Glaubenscourage der Christen.

Hannover, 6. Oktober 2006

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi


Der Vortrag im Wortlaut