Huber zum 40. Jahrestag der Ostdenkschrift in Warschau

Kulturelle und religiöse Vielfalt sind christliches Erbe

Die europäische Einheit bedeute Einheit in Vielfalt, erklärte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in  Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, bei einem Symposium anlässlich des 40. Jahrstages der Ostdenkschrift in Warschau. In dem Vortrag „Der Auftrag der Kirchen in einem zusammenwachsenden Europa“ zeichnet Huber die Linie nach von der am 1. Oktober 1965 erschienenen Ostdenkschrift der EKD, über den Briefwechsel der katholischen Bischöfe kurze Zeit später, den deutsch-polnische Vertrag von 1970, den Kniefall Willy Brandts in Warschau, die Entstehung der Gewerkschaft Solidarnosc, die deutsch-polnische Solidarität während der Geltung des Kriegsrechts, die Grenzöffnung, den Fall der Mauer bis hin zum Beitritt der Republik Polen zur Europäischen Union. Die als Ostdenkschrift bekannt gewordene Äußerung des Rates „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ habe damals einen Tabubruch bedeutet, der diesen Weg eröffnet habe. „Dass aus Feinden Partner und sogar Freunde wurden, ist für uns als Deutsche ein Geschenk, das wir mit der Einigung Europas verbinden und das uns in besonderer Weise verpflichtet,“ so der Ratsvorsitzende.

Kulturelle und religiöse Vielfalt seien aber keineswegs immer selbstverständliche Elemente politischer Kultur in Europa gewesen. „Sie sind ein christliches Erbe,“ so Huber. Das Christentum habe wesentlich zur europäischen Pluralität beigetragen und sei auch weiterhin Garant und Prägekraft für die politische Kultur in der Europäischen Union. Doch wer nach dem Beitrag der christlichen Tradition der Wertordnung Europas frage, müsse erkennen , dass die Gottesbeziehung Grundlage der Werte sei, die im Namen Gottes vertreten werden. Als Beispiele für die Werte nannte der Ratsvorsitzende die Menschenwürde, die Toleranz und das Motiv der Nächstenliebe: „Wenn wir von der Prägekraft des Christentums für die politische Kultur Europas sprechen, geht es also um die Werte und Normen, die, von Christen und aus christlichen Glaubensgrundsätzen entwickelt, weithin wirkungskräftiges Gemeingut im demokratischen Staat und seiner Gesellschaft sind und bleiben sollen.“

Im Blick auf die Ostdenkschrift bleibe zudem die Aufgabe, die Schicksale der Vertriebenen wahrzunehmen und zu würdigen. Im Blick auf die aktuelle Debatte um die Gründung eines „Zentrums gegen Vertreibung“ in Berlin sagte der Ratsvorsitzende: „Die Evangelische Kirche tritt dafür ein, dass das Schicksal aller Vertriebenen in das gemeinsame Gedächtnis Europas eingeschrieben wird. Dabei wird es sich um ein gemeinsames Erinnern der beteiligten europäischen Völker handeln müssen. Und der Blick zurück muss sich mit dem Blick nach vorn verbinden: der Bereitschaft zu Frieden und Versöhnung. Auch nach meiner persönlichen Überzeugung ist deshalb die Verknüpfung von Initiativen in verschiedenen europäischen Ländern zu einem „Netzwerk Erinnerung und Solidarität“ der richtige Weg, nicht dagegen die isolierte Gründung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ in Berlin.“

Hannover / Warschau, 05. Oktober 2005

Pressestelle der EKD
Christof Vetter

Vortrag des EKD-Ratsvorsitzenden beim Symposium anlässlich des 40. Jahrstages der Ostdenkschrift in Warschau am 5. Oktober 2005

Im Rahmen des Symposiums wird eine gemeinsame Erklärung der EKD und des Polnischen Ökumenischen Rates unterzeichnet, die bereits im Wortlaut nachzulesen ist.