„Verantwortlich im Sinne der Pressefreiheit“

Bischof Wolfgang Huber spricht auf den „Zeitschriftentagen 2006“ in Berlin

Wie können die Künste, die vielfältigen Formen der Meinungsäußerung, die Medien und die Religion unter Bedingungen der Freiheit koexistieren? In einer Rede anlässlich der „Zeitschriftentage 2006“ des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) am 3. November in Berlin erörterte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, den verantwortlichen Umgang mit Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit. Seit dem Karikaturenstreit gebe es vermehrt Debatten über das Verhältnis der verschiedenen Freiheiten zueinander, sagte Huber in seinem Impulsreferat unter der Überschrift „Verantwortlich im Sinne der Pressefreiheit“. „Wenn aus solchen Anlässen Freiheiten gegeneinander abgehoben werden, erscheint mir das als verfehlt“, betonte er. Es gebe nicht verschiedene Freiheiten, denen man unterschiedliche Noten und Grade verleihen könne. Im Grunde gehe es um „die eine Freiheit in ihren verschiedenen Entfaltungen“ und um die Frage, wie Freiheit in einer offenen Gesellschaft zivil zu gestalten sei.

Aus evangelischer Perspektive sei zu fragen, „wie Freiheit gestaltet wird, indem wechselseitige Achtung der Freiheitssphären zur Geltung kommen und Freiheit so verantwortet wird“, sagte der EKD-Ratsvorsitzende. Eine solche Perspektive schließe aus, dass Menschen ihre religiös motivierten Überzeugungen mit Drohungen, medialer Hetze oder Einschüchterungsversuchen zum Ausdruck bringen. Sie schließe aber ebenfalls aus, dass mit Tabus mutwillig gespielt werde. Freiheit sei nicht mit Beliebigkeit oder mit Verantwortungslosigkeit gleichzusetzen, unterstrich Huber. „Handeln in Freiheit meint nicht ein beliebiges Tun, sondern dasjenige Handeln, das der Zukunft zugewandt und an der Frage orientiert ist, wie der Nächste leben kann.“ Das bestimme auch die Verantwortung im Blick auf die Freiheit der Presse.

Der Bischof erinnerte an den Philosophen Hans Jonas, der Fragen der Zukunftsfähigkeit und der Nachhaltigkeit zum letzten Maßstab der Verantwortung erklärt habe. Huber verwies darauf, „dass Zukunftsfähigkeit auch mit der Frage zu tun hat, ob eine Gesellschaft zukunftsfähige Lebensformen entwickelt, ob ihre Freiheit eingebettet ist in tragende Gemeinschaften, ob Menschen lernen, sich am wechselseitigen Anspruch auf Achtung zu orientieren“. Jeder, der für eine bestimmte Freiheitssphäre Verantwortung trage, sei mit der Frage konfrontiert, ob sein Handeln der Bewahrung und Entwicklung tragfähiger Grundhaltungen und Lebensformen diene oder zu ihrer Erosion beitrage. Auch die Presse, so der EKD-Ratsvorsitzende, müsse sich mit dieser Frage auseinander setzen. „Nach meiner Auffassung ist ein Presseorgan, das Tag für Tag durch obszöne Darstellungen Marktanteile zu erobern sucht, kein besonders glaubwürdiger Anwalt von Achtung und Würde, wenn es darum geht, obszöne Fotografien aus Afghanistan öffentlich zu machen und ihre Urheber bloß zu stellen“, kritisierte Huber mit Blick auf die Berichterstattung über Bundeswehrsoldaten, die sich mit Totenschädeln hatten fotografieren lassen.

Verlegerinnen und Verleger hätten für die Pressefreiheit eine besondere Verantwortung übernommen, betonte der Bischof. Sie böten die wirtschaftliche Grundlage dafür, dass Reporter, Journalisten und Redakteure ihrer Aufgabe gerecht werden könnten, verantwortlich im Sinne der Pressefreiheit zu informieren und zu unterhalten. Dies diene dem Ziel, Menschen in die Lage zu versetzen, sich selber ein Urteil zu bilden und so eigenständig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wo sie aber nicht an der Wahrheit orientiert zur Meinungsbildung und Orientierung dienten, sondern Ansätze von Desintegration und Desorientierung gäben, überall dort schwächten Medien ihre eigene Funktion für die individuelle und öffentliche Kommunikation, hob Huber hervor. Er unterstrich: „Manchmal ist ein nicht veröffentlichter Text, eine nicht veröffentlichte Karikatur, ein nicht gedrucktes Foto verantwortlicher als die kurzfristige Sensation, aus dem gesellschaftlichen Rahmen gefallen zu sein.“

Berlin, 03. November 2006

Pressestelle der EKD
Karoline Lehmann

Der Vortrag des EKD-Ratsvorsitzenden "Verantwortlich im Sinne der Pressefreiheit" im Wortlaut