Präses Kock: „Integration setzt Anstrengungen von beiden Seiten voraus.“

Integration müsse als langfristiger und wechselseitiger Prozess zwischen Zuwanderern und aufnehmender Gesellschaft verstanden werden. Dies hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, bei der Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft für die "Woche der ausländischen Mitbürger / Interkulturelle Woche 2003" am 31. Januar in der Evangelischen Akademie Rummelsburg bei Nürnberg unterstrichen. Wenn Integration gelingen solle, müsse das Grundgesetz als gemeinsame Grundlage akzeptiert werden. Die Politik müsse zudem die Rahmenbedingungen für ein Klima von Akzeptanz und Toleranz schaffen.

Die Politik trage mittlerweile den Realitäten von Zuwanderung und einer pluraler gewordenen Gesellschaft Rechnung, stellte Präses Kock in seinem Vortrag positiv heraus. Die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts, der Bericht der Süßmuth-Kommission und das geplante Zuwanderungsgesetz seien Ausdruck eines neuen Politikverständnisses. Bundesinnenminister Schily habe die Kirchen wörtlich als "erste gesellschaftliche Kräfte" bezeichnet, die die "Notwendigkeit des Dialoges mit den Zuwanderern erkannten, sie also nicht nur als Arbeitskräfte sahen, sondern als Menschen aus einem anderen Kulturkreis, die hier in Deutschland mit der Mehrheitsgesellschaft in Kontakt kommen wollen und sollen."

Ein Blick auf das bisherige Engagement der Kirchen für die Integration von Zuwanderern verdeutliche zwei Dinge, so der Ratsvorsitzende. Politische Versäumnisse der Vergangenheit seien besonders evident und ein Bild der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation werde erkennbar. Dieses zeige wie unentbehrlich der Beitrag der Kirchen weiterhin sei.

Kirchen waren frühzeitig „Anwalt der Zugewanderten“

Vor dem Hintergrund ihres biblischen Auftrags hätten sich die Kirchen schon frühzeitig auch gegen den politischen Trend zum "Anwalt der Zugewanderten" gemacht. Die Kirchen hätten in großem Einvernehmen die Rechte und Würde der Fremden eingefordert. 1975 habe der erste von der EKD initiierte bundesweite "Tag des ausländischen Mitbürgers" stattgefunden. Die Beteiligung der katholische Kirche und der griechisch-orthodoxen Metropolie sei hinzugekommen; die Initiative habe sich zur Institution "Woche der ausländischen Mitbürger / Interkulturelle Woche" ausgeweitet.

1980 habe der Ökumenische Vorbereitungsausschuss dieser Aktion erstmals von einer "multikulturellen Gesellschaft" gesprochen und damit eine breite Diskussion ausgelöst. Um den Begriff sei es inzwischen ruhig geworden, doch die Diskussion über politische Ziele und gesellschaftliche Grundlagen sei nicht abgeschlossen. "Die interkulturelle Komponente, die darin sichtbar wird, das heißt, der Hinweis auf den Beitrag der deutschen Bevölkerung und Politik zur "Integration" der Fremden ist in den meisten Stellungnahmen der Kirchen ausdrücklich enthalten."

Mit der Veröffentlichung "Gesichtspunkte zur Neufassung des Ausländerrechts" von 1985 habe die EKD auf einen gesetzlichen Rahmen für eine positive Integrationspolitik gedrängt. Integration sei dabei als langfristiger Prozess beschrieben, "dessen Gelingen", so das Papier, "nicht nur von Ausländern, sondern wesentlich auch vom Verhalten der Deutschen abhängig ist. Dabei verlangt Integration nicht Assimilation und nicht die Aufgabe der ethnischen, kulturellen und religiösen Identität."

1992, bei der Debatte um das Grundrecht auf Asyl hätten der Rat der EKD und die Deutsche Bischofskonferenz dazu aufgerufen, das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte zu schützen. Fünf Jahre später hätten sich die Kirchen in dem gemeinsamen Wort "... und der Fremde, der in deinen Toren ist" zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht geäußert. Darin heiße: "Zuwanderer haben ein Recht auf Wahrung, Pflege und Fortentwicklung ihrer kulturellen Identität, sofern deren Verwirklichung mit den Grundwerten der Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist."

Zwei Grundpositionen der EKD

Zwei Grundpositionen ließen sich zusammenfassen, resümierte Kock. Das Grundgesetz sei gemeinsame Grundlage für ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt. Integration sei ein langfristiger und wechselseitiger Prozess zwischen Zuwanderern und aufnehmender Gesellschaft. Diese Positionen lägen auch dem aktuellen Grundsatzbeitrag des Rates der EKD zugrunde, der im Dezember 2002 unter dem Titel "Zusammenleben gestalten" veröffentlicht worden sei. Durch den engen zeitlichen Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Zuwanderungsgesetz habe der Rat unterstreichen wollen, wie unverändert notwendig ein Gesamtkonzept für die Bereiche Arbeitsmigration, Aufnahme aus humanitären Gründen und Integration sei. Integration werde hier als ein Prozess entfaltet, "der alle Bereiche der Gesellschaft umfasst und zudem zu nachhaltigen Veränderungen führt."

Beiträge der Kirchen zur Integration seien der innerchristliche sowie der interreligiöse Dialog. "Dieser wichtige Beitrag der Kirchen zum gesellschaftlichen Dialog wird durchaus auch auf politischer Seite registriert und gewürdigt," betonte Kock. Auch die Kirche existiere als weltweite Gemeinschaft in ethnischer, konfessioneller und kultureller Vielgestaltigkeit. Dies sei kein Mangel an Einheit, sondern gehöre zum "geschichtlichen Wesen des Evangeliums". Übertrage man das religiös-theologische Konzept der „Einheit in versöhnter Vielfalt“ auf die Gesellschaft, so bilde die Verfassung die Grundlage, auf der sich die Gesellschaft in kultureller Offenheit und Pluralität entfalten könne.

Integration – ein Prozess des Zusammenwachsens

Ein integrationsfreundliches Klima herrsche derzeit in unserer Gesellschaft nicht. "Daher ist zunächst auch die Politik gefragt, die die Rahmenbedingungen für ein Klima von Akzeptanz und Toleranz zu schaffen hat." Schlüsselpositionen hätten dabei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der soziale Ausgleich. Dabei sei der Staat jedoch auf Hilfe durch Institutionen und die Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger angewiesen.

Nach dem vorläufigen Scheitern des Zuwanderungsgesetzes bestehe die Gefahr, dass erzielte Fortschritte wieder zunichte gemacht würden. Es gehe weder um eine Assimilierung der Migranten noch um deren einseitige Anpassungsleistungen unterstrich der Ratsvorsitzende. "Tatsächlich setzt die Integration Anstrengungen von beiden Seiten voraus. Unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen ist, der eingesessenen Bevölkerung Mut zur Akzeptanz der Zuwanderer zu machen." Es handle sich dabei um einen Lernprozess und einen Prozess des Zusammenwachsens, der nach historischen Erfahrungen selten im Laufe von nur zwei oder drei Generationen gelungen sei.

Hannover, 31. Januar 2003

Pressestelle der EKD
Anita Hartmann

Text im Wortlaut