„Gottes Toleranz nachahmen“

Hermann Gröhe spricht zum Schwerpunktthema „Tolerant aus Glauben“

Die Buntheit der pluralistischen Gesellschaft müsse für Christinnen und Christen Anlass sein, kräftig „Farbe zu bekennen“. Das sagte der Vorsitzende des Vorbereitungsausschuss der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hermann Gröhe, MdB, am Montag, den 7. November, in seiner Einbringungsrede zum Kundgebungsentwurf für das Schwerpunktthema „Tolerant aus Glauben“. Gröhe rief zu einer geistigen Auseinandersetzung mit den Grenzen der Toleranz auf. Wo die Grundlagen eines toleranten Miteinanders angegriffen würden, sei Entschiedenheit gefragt.

Die Synode der EKD hatte sich auf ihrer letzten Tagung im November 2004 für das Schwerpunktthema Glaubensfestigkeit und Toleranz entschieden, während in Deutschland über die Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh diskutiert wurde. „In der damaligen Debatte ging es um Toleranz und ihre Grenzen, um Christsein in einem Kontext religiöser, weltanschaulicher und kultureller Vielfalt, um die Grenzen der Zivilgesellschaft und um das protestantische Profil“, erinnerte Gröhe, der auch Mitglied im Rat der EKD ist.

Der Kundgebungsentwurf zum Schwerpunktthema entfalte eine Situationsanalyse, erläuterte Gröhe. „Unser Text meidet angstbesetzte Rückwärtsgewandtheit ebenso wie eine kritiklose Verklärung der bunten Vielfalt einer pluralistischen Gesellschaft.“ Die Anerkennung der gleichen Würde jedes Menschen habe christliche Wurzeln und sei eine wesentliche Grundlage der pluralistischen Gesellschaft. Dies werde im Entwurf ebenso benannt wie die Tatsache, dass in der pluralistischen Gesellschaft die Botschaft des christlichen Glaubens vielen Menschen nur als ein Angebot unter vielen erscheine.

Christinnen und Christen hätten allen Anlass, ihren Glauben „auskunftsfreudig einer Gesellschaft zu sagen, in der allen Prognosen zum Trotz die religiösen Sehnsüchte keineswegs verschwunden sind“, so Gröhe. Der Respekt vor dem gesellschaftlichen Pluralismus dürfe nicht dazu führen, auf die Betonung des eigenen Profils zu verzichten. Es gehe vielmehr darum, „die Klarheit des eigenen Standpunktes zu verbinden mit dem Respekt vor anderen Menschen und ihren Auffassungen.“ Das mache den Kern einer pluralistischen Gesellschaft aus.

Im Gegensatz zu einem bloß passiven Aushalten vertrete der Kundgebungsentwurf einen Toleranzgedanken, der ein aktives Element enthalte. „Es geht um die Achtung vor der Würde eines jeden Menschen, die die Achtung seiner Überzeugungen und Lebensweise einschließt.“ Gröhe warnte vor Missverständnissen: „Ignoranz, Desinteresse aus Bequemlichkeit oder geistige Enge versucht sich oft als Toleranz zu tarnen. Desinteresse ist aber das Gegenteil von Achtung.“ Wenn in Deutschland zu Mädchenbeschneidung, Zwangsverheiratung oder den sogenannten Ehrenmorden geschwiegen werde, habe dies nichts mit Respekt vor anderen Kulturen zu tun: „Es ist vielmehr schändliche Respektlosigkeit gegenüber den Opfern menschenfeindlicher Traditionen!“ Toleranz meine nicht wegsehen, sondern aufeinander zugehen.

Der Vorbereitungsausschuss sei zu der Erkenntnis gekommen, dass sich Glaubensfestigkeit und Toleranz nicht widersprechen. Denn schon Martin Luther habe von der „Toleranz Gottes“ gesprochen, von der „Geduld Gottes mit uns Menschen, denen seine bedingungslose Liebe gilt.“ Christinnen und Christen seien aufgefordert, diese Menschenfreundlichkeit Gottes nachzuahmen. „Toleranz gedeiht nur im Zutrauen zur Wahrheit Gottes und nicht in ihrer Relativierung“, zitierte Gröhe aus dem Entwurfstext. „Christinnen und Christen sind nicht tolerant, obwohl sie fest glauben, sondern weil sie fest glauben“.

Die Grenzen der Toleranz könnten zum Teil durch den Gesetzgeber gezogen werden, etwa wo es um Volksverhetzung oder gewaltbereiten Extremismus geht. „Doch die geistige Auseinandersetzung mit bestimmten Auffassungen muss bereits geführt werden, bevor diese zum Rechtsbruch führen.“ Der Kundgebungsentwurf nenne wichtige Stichwörter für diese geistige Auseinandersetzung, „ohne die im Text erläuterten Grundprinzipien durch verschiedene Themenfelder im Detail zu buchstabieren.“


Berlin, 6. November 2005

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Das Redetext im Wortlaut